Hospize für Russland

Die Eröffnung des Neubaues der Gesundheitseinrichtung  "Hospiz № 1" in St. Petersburg im Mai 2010. Foto: TASS

Die Eröffnung des Neubaues der Gesundheitseinrichtung "Hospiz № 1" in St. Petersburg im Mai 2010. Foto: TASS

Das Hospizsystem in Russland ist quasi nicht existent – doch dies soll sich nun ändern. Im Rahmen des Nationalen Projekts „Sostradanije“ („Mitgefühl“) will das Ministerium für Gesundheitsschutz und soziale Entwicklung das Problem in den Griff kriegen.

Russlands Mediziner sollen ihre Einstellung gegenüber hoffnungslos kranken Patienten ändern. Bereits im nächsten Jahr sollen in jeder Region des Landes zwei Hospize entstehen. Dies sei die Voraussetzung für die Regionalverwaltungen, wenn sie Mittel aus dem Programm zur Modernisierung des Gesundheitswesens in Anspruch nehmen wollten, erklärte gestern die zuständige Ministerin Tatjana Golikowa.

Über ein Programm zur Entwicklung der Palliativmedizin wird im Ministerium für Gesundheitsschutz und soziale Entwicklung seit langem gesprochen, doch jetzt hat die Gesundheitsministerin erstmals konkrete Richtlinien vorgegeben: In jeder Region soll es ein Hospiz für unheilbar kranke Kinder und eines für erwachsene Patienten im Endstadium der Erkrankung geben. Noch in jüngster Vergangenheit habe in einigen Regionen Russlands das unausgesprochene Verbot gegolten, ältere Menschen mit onkologischen Erkrankungen und nach Herzinfarkten stationär aufzunehmen, musste Tatjana Golikowa einräumen.

Noch vor einigen Jahren wurde das Wort „Hospiz“ im offiziellen Sprachgebrauch tunlichst vermieden. Darauf hinzuweisen, dass Russland spezielle palliativmedizinische Einrichtungen für unheilbar Kranke braucht, erlaubte sich in den Anfangsjahren nach der Jahrtausendwende erstmals der damalige Gesundheitsminister Juri Schewtschenko. Allerdings war sein Vorstoß der seinerzeitigen katastrophalen Unterfinanzierung des Gesundheitswesens geschuldet. Seither ist wesentlich mehr Geld in diesen Sektor geflossen, doch das Fehlen einer systematischen Palliativversorgung stellt nach wie vor ein akutes Problem dar. Es ist umso brisanter für einen Staat, in dem onkologische Erkrankungen die Haupttodesursache bilden und somit die Notwendigkeit besteht, die Leiden tausender Patienten zu lindern.

Getreu dem Leitmotiv „Wenn man einen Menschen nicht heilen kann, kann man ihm immerhin helfen“ haben bisher vor allem selbstlose Engagierte und ehrenamtliche Patienten im Endstadium der Erkrankung Beistand geleistet. Die Bereitschaft des Staates, das Netz der Hospiz-Einrichtungen zu erweitern, wird von diesen Freiwilligen als selbstverständlich begrüßt. „Ich bin sehr froh, dass die Ministerin das Wort ‚Hospiz‘ gebraucht und das Problem angesprochen hat. Ich hoffe, die Absichten des Ministeriums für Gesundheitsschutz und soziale Entwicklung werden tatsächlich umgesetzt“, erklärt Njuta Federmesser, Präsidentin des Wohltätigkeitsfonds „Wera“ zur Unterstützung von Hospizen und Tochter der Gründerin der ersten Moskauer Hospiz-Einrichtung, Wera Millionschtschikowa.

Der Wohltätigkeitsfonds „Wera“ hilft 14 Hospizen, die sich in verschiedenen Landesteilen befinden und von den jeweiligen regionalen Verwaltungen unterhalten werden. „Jetzt kaufen wir für sie praktisch alles – von Pampers und Anti-Dekubitus-Matratzen bis zu Nahrungsmitteln“, berichtet Njuta Federmesser. „Die Behörden vor Ort haben sich daran gewöhnt, die Hospize nach dem Prinzip ‚Ihr kriegt, was übrigbleibt‘ zu finanzieren. Zum Beispiel hat das Hospiz in Lipezk mit 25 stationären Plätzen einen Jahreshaushalt von 3 Millionen Rubel, also gerade einmal 75 000 Euro.“

Als eine der Initiatorinnen der Hospiz-Bewegung in Russland gibt Njuta Federmesser weiter zu bedenken: Die zuständigen Behörden müssen begreifen, dass man mit staatlichen Zuwendungen zwar den Bau eines Gebäudes veranlassen und Ärzte sowie Psychologen einstellen kann, aber das ergibt noch kein funktionsfähiges Hospiz. Olga Schargorodskaja, die die Sozialabteilung des einzigen Kinderhospizes von St. Petersburg leitet, teilt diese Ansicht voll und ganz. „Es gibt in Russland keine Hochschule, die Palliativmediziner ausbildet. Deshalb ist es sehr schwer, Fachkräfte mit einem derartigen Profil zu finden“, erklärt sie gegenüber „Moskowskije Nowosti“. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Arbeit in einem Hospiz eben nicht von morgens 9.00 Uhr bis abends 18.00 Uhr dauert. Wir sind keine Poliklinik. Ein Hospiz – das ist eine Ideologie.“

Hohe Kosten und Überregulierung

Das Ministerium für Gesundheitsschutz und soziale Entwicklung muss sich darauf einstellen, dass der Aufbau eines Hospiz-Netzes mit immensen Kosten verbunden sein wird, da die Palliativmedizin als Folge staatlicher Überregulierung eine wichtige Finanzquelle eingebüßt hat: die Spenden. „Seit Anfang dieses Jahres ist die Arbeit der bereits existierenden Hospize schwieriger geworden aufgrund einer neuen Verwaltungsvorschrift, die sämtliche Einrichtungen dieses Typs zu staatlichen Institutionen macht. Damit entsteht praktisch eine Kluft zwischen uns und den Spendern“, sagt Njuta Federmesser. Der neue Status der Hospize lässt zwar zu, dass ihnen Privatpersonen und Organisationen Zuwendungen gewähren, doch die mitfühlenden Spender müssen ihr Scherflein unmittelbar bei der zuständigen lokalen Gesundheitsverwaltung abliefern. Dort entscheiden dann die Beamten, wer wie viel aus dem „Spendentopf“ erhält.

Mit dieser formalen Umstrukturierung ging eine weitere Neuerung einher: In den Satzungen der Hospize wurde das Recht festgeschrieben, seit Beginn dieses Jahres Leistungen gegen Bezahlung anzubieten. Für eine Bewegung, die hauptsächlich auf den Prinzipien des freiwilligen Beistands und des Mitgefühls gründet, ist das ein alarmierendes Signal. Natürlich sind die Leiter der Hospize nicht verpflichtet, von den Patienten Geld zu nehmen. Doch wenn sich die finanziellen Bedingungen schwierig gestalten, könnten diejenigen, die in der Palliativmedizin tätig sind, einfach keinen anderen Ausweg sehen. 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitung Moskowskije Nowosti.

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