Straße, Internet, Wahlbeobachter

Die Aktion der Putin-Anhänger unter dem Motto „Wir haben etwas zu verlieren.“ auf dem Poklonnaja-Berg in Moskau am 4. Februar. Foto: RIA Novosti

Die Aktion der Putin-Anhänger unter dem Motto „Wir haben etwas zu verlieren.“ auf dem Poklonnaja-Berg in Moskau am 4. Februar. Foto: RIA Novosti

Vergangene Woche hat Wladimir Putins PR-Maschinerie eine Pro-Putin-Demo mit 200.000 Teilnehmern für den 23. Februar angekündigt. Dmitrij Kamyschew, Kommentator des Wochenmagazins „Wlast“, ist der Meinung, dass die aktive Nutzung der „Straße“ als Ressource eine Besonderheit der aktuellen Präsidentschafts-Wahlkampagne ist – zusammen mit harten Auseinandersetzungen im Internet und dem Kampf um Transparenz bei den Wahlen.

Der Kampf um die Straße

 

Die erste und auffälligste Neuerung dieses Wahljahres war für die meisten Russen der „Krieg der Demos“. Natürlich haben politische Bewegungen auch früher schon die Menschen bewegt, so zum Beispiel die kremltreue Jugendorganisation „Naschi“ mit ihren Aktionen, an denen jeweils mehrere Tausend Menschen teilnehmen. Die Kommunisten organisieren jedes Jahr am 23. Februar und 7. März Umzüge durch die Stadt. Die außerparlamentarische Opposition demonstriert auf dem Moskauer Triumphplatz und anderen Orten in ganz Russland seit langem regelmäßig für die Versammlungsfreiheit. Doch jene Aktionen dienten in der Regel einzig der Äußerung einer politischen Meinung, ohne dass es zu einer direkten Gegenüberstellung zweier Demonstrationen kam, die gegensätzliche Standpunkte vertreten.

Nach den Dumawahlen vom vergangenen Dezember hat sich die Situation abrupt geändert, als „wütende Stadtbewohner“ in Massen auf die Straßen gingen. Am 12. Dezember fand der erste Versuch der Machthaber statt, der Demonstration „Für faire Wahlen“ vom 10. Dezember eine angemessene Antwort entgegenzustellen. Doch die Aktion war wenig überzeugend: Auch wenn die Polizei die Menschenmenge gut und gerne auf 25`000 schätzte, haben viele Medien diese Zahl als überhöht bewertet, dies mit Fotos belegt und eine Teilnehmerzahl von rund 6000 genannt.

Die zweite große oppositionelle Kundgebung fand in Moskau am 24. Dezember statt (nach Polizeischätzungen 29`000 Teilnehmer) und blieb vorerst ohne Antwort. Doch auf die Kundgebung vom 4. Februar hat sich die politische Klasse gut vorbereitet: Auch ohne lange Diskussionen über die Korrektheit der offiziellen Schätzungen (Oppositionsveranstaltung 36`000, kremltreue Demo 138`000 Teilnehmer) wird klar: Die Staatsmacht will die Opposition bei den Teilnehmerzahlen um jeden Preis schlagen.

Mittlerweile hat auch der Premierminister persönlich die offiziellen Zahlen kommentiert und behauptet, gemäß Informationen des Moskauer Bürgermeisters Sobjanin hätten sogar 190`000 Personen teilgenommen. Am 9. Februar hat Putins Wahlstab das nächste Ziel mitgeteilt: Die 200`000er-Hürde solle an der bevorstehenden Kundgebung vom 23. Februar, die an prominenter Lage zwischen Twerskaja-Straße und Manegeplatz stattfinden wird, geknackt werden.

Die Opposition mengenmäßig zu übertreffen ist das offensichtlichste, jedoch bei weitem nicht das einzige Ziel der Machthaber. Erstens können dank der erfolgreichen Pro-Putin-Demonstration vom 4. Februar die Polittechnologen des Premiers wieder mit Gelassenheit behaupten, es gebe in Russland weit mehr Putin-Anhänger als Putin-Gegner. Und zweitens haben solche Veranstaltungen zum Ziel, die ehemalige Selbstsicherheit der kremltreuen Wählerschaft wiederherzustellen. Diese „passive Mehrheit“, die traditionell für die aktuellen Machthaber wählte, hatte im Dezember plötzlich begonnen Verdacht zu schöpfen, dass eine uneingeschränkte Unterstützung der aktuellen politischen Elite und „das Wählen wie alle anderen“ zwei Paar Stiefel sein könnten.

Der Kampf ums Netz

 

Der zweite Unterschied zwischen den diesjährigen und den früheren Präsidentschaftswahlen war zunächst nur für intensive Nutzer des Internets ersichtlich. Im Cyberspace liefern sich die Befürworter und die Gegner des „Hauptkandidaten“ regelrechte Informationsschlachten. Bisher gab es solche Cyberkämpfe nur als Episoden: Einmal starteten kremltreue Hacker eine DDoS-Attacke auf einige Medien (u.a. die Zeitungen Nowaja Gaseta und Kommersant), ein andermal haben oppositionell gestimmte Internetaktivisten die Seite der Putin-Partei „Einiges Russland“ gehackt. Seit dem Jahr der Dumawahlen gehören solche empfindlichen Attacken jedoch zum Tagesgeschäft.

Als erste hat auch hier die Opposition die Kampfansage gemacht. Bereits im Februar 2011 hat sich der bekannte Blogger Alexej Nawalny für Putins Partei die alternative Bezeichnung „Partei der Diebe und Gauner“ ausgedacht und die neue „Marke“ im Internet gehörig propagiert. Die Beschützer des aktuellen Regimes haben darauf zunächst relativ träge mit verschwommenen Absichtserklärungen reagiert. Im August hat Wassili Jakemenko, Vorsitzender der föderalen Agentur für Jugendangelegenheiten und Gründer der „Naschi“, ein programmatisches Dokument in Umlauf gebracht, in dem er seine Mitkämpfer dazu aufrief, „Menschen über soziale Netzwerke zu manipulieren“ und „selbständig eine föderale Informationskampagne zu starten und News zu generieren“.

Nach dem offiziellen Start der Präsidentschaftskampagne im letzten November ist der Internetkrieg zwischen Staatsmacht und Opposition in eine neue Phase getreten. Am Vortag und am Tag der Dumawahlen wurden mehrere Medien und andere Internetressourcen Opfer einer synchronen DDoS-Attacke. Die Opposition entschied sich für einen asymmetrischen Vergeltungsschlag und begnügte sich mit der aktiven Verbreitung zahlreicher Mitteilungen über Wahlfälschungen, unterlegt mit Foto- und Videomaterial. Besonders diese Informationen wurden zum Multiplikator der Unzufriedenheit der „wütenden Stadtbewohner“, die darauf in Massenproteste mündeten.

Der Kampf um Transparenz

 

Der Kampf um Sauberkeit und Transparenz ist die einzige der drei neuen Arten von Konkurrenz im Wahlkampf, die unmittelbar mit dem Wahlprozess verbunden sind. Auch in diesem Fall waren es die „wütenden Stadtbewohner“, die als erste die Initiative ergriffen. Nach der berühmten Ankündigung der Rochade im regierenden Tandem Medwedew-Putin im September letzten Jahres, meldeten zahlreiche Menschen sich als freiwillige Wahlbeobachter für die bevorstehenden Wahlen. Es waren besonders deren Berichte über die festgestellten Unregelmäßigkeiten an den Wahlen, die – von der Presse und in den Blogs multipliziert – die kritische Masse an Bürgern hervorbrachten, die das Vertrauen verloren hatten und auf die Straße gingen.

Wladimir Putins Haltung gegenüber der Meinung der „wütenden Stadtbewohner“ war eher skeptisch, was ihn allerdings nicht daran hinderte einige von deren Forderungen zu übernehmen. Die durchaus unerwarteten Initiativen des Premiers, in allen Wahllokalen Webcams zu installieren und durchsichtige Wahlurnen aufzustellen, sind eine Antwort auf gewisse Forderungen der Opposition.

Anfang Februar richtete sich Putins Augenmerk auf die Mobilisierung der Wahlbeobachter. An einem Treffen mit jungen Juristen, die gerne die Wahlen beobachten würden, zeigte sich Putin mit deren Wunsch absolut einverstanden. Das ganze Land solle „verstehen, dass die Wahlen ehrlich und das Resultat objektiv sein wird“.

In diesem Wahlwinter hat sich eine durch die Protestwelle prinzipiell neue Situation ergeben. Um die Öffentlichkeit von der Ehrlichkeit der Präsidentschaftswahlen im März zu überzeugen, reicht es nicht mehr, den Protokollen der von der Opposition gestellten Beobachter die „echten“ Protokolle der Wahlkommission entgegenzustellen. Die Urteile der Opposition müssen nun mit ebensolchen Meinungen von „Leuten aus dem Volk“ aufgewogen werden, also von Beobachtern des „wichtigsten Kandidaten“.

Mehr noch. Um ein klares Signal für ehrliche Wahlen zu setzen, hat sich Putins Wahlstab einverstanden gezeigt, sogar Vertreter der „Liga der Wähler“ von Grigori Jawlinski als Beobachter zuzulassen. Jawlinski war vor Kurzem die Zulassung als Präsidentschaftskandidat verweigert worden. Dieser Schritt birgt auf den ersten Blick einige Risiken. Wenn, entgegen Putins Zusicherungen, die Wahlkommissionen anfangen sollten, am 4. März Stimmen für den „wichtigsten Kandidaten“ zu fabrizieren, werden die Vertreter der „wütenden Stadtbewohner“ kaum schweigen.

Andererseits können gerade diese Leute zu einem gewichtigen Argument in der Diskussion um die Legitimität der Wahlen werden, falls sie die Wahlen als ordnungsgemäß beurteilen - zumindest in jenen Wahllokalen, in denen sie zugegen waren. In die für „merkwürdiges Wählerverhalten“ bekannten Gebiete wie Tschetschenien oder Mordwinien werden diese Beobachter ohnehin nicht gelangen.

Die ungekürzte Fassung des Artikels erschien zuerst in der Zeitschrift Wlast

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