Fragen Sie doch Ihren Taxifahrer

Taxifahrer in Aleppo,Syrien. Foto: Neil and Kathy Carey

Taxifahrer in Aleppo,Syrien. Foto: Neil and Kathy Carey

Als die Nachricht, Muammar al-Gaddafi sei von Aufständischen gelyncht worden, im Radio kam, war ich gerade mit dem Taxi in Hamburg unterwegs. Der Fahrer, er kam aus Nigeria, war über diese Meldung gar nicht erfreut. Die Libyer würden sich noch nach al-Gaddafi zurücksehnen, meinte er. Früher hätten sie kostenlose medizinische Versorgung gehabt. Jetzt würden ihnen blutige, langwierige Stammesfehden bevorstehen. Damit, so versicherte er mir glaubhaft, würde er sich auskennen.

In den öffentlichen Stellungnahmen des Westens überwog damals die Euphorie. Es ist schade, dass Taxifahrer nicht häufiger bei Entscheidungen über militärische Interventionen gehört werden. Viele von ihnen könnten aus erster Hand berichten, was die humanitären Feldzüge der „Weltgemeinschaft“ wirklich bedeuten. In Jugoslawien zum Beispiel, in Afghanistan oder im Irak. Wären die Beglückungsversuche erfolgreich, dann wären die von dort geflohenen Taxifahrer vermutlich keine Taxifahrer mehr, sondern längst wieder zu Hause. Anstatt Demokratie und Menschenrechten bringen die militärischen Eingriffe meistens Bürgerkriege, Korruption sowie das Erstarken antiwestlicher Fanatiker und krimineller Banden mit sich. Sie kosten viel Geld, und noch teurer sind die Wiederaufbauarbeiten, an denen sich insbesondere auch die Nationen zu beteiligen haben, die dem Einsatz skeptisch gegenüberstanden.

Ich habe durchaus Verständnis für die Forderung, die Souveränität von Staaten hinten an zu stellen, wenn durch ein Eingreifen wirklich Schlimmes verhindert und eine bessere Zukunft bereitet wird. Saddam Hussein, Milosevic, Mubarak und wie sie alle hießen, haben ihr Schicksal zweifellos verdient. Im Zeitalter von Satellitenfernsehn und Internet ist es unsinnig, Menschen glauben zu machen, es gäbe für sie nur eine Option: von einem korrupten Clan regiert zu werden, der sich auf Gewalt und Überwachung stützt. Aber wenn nichts Besseres nachkommt? Lohnt das Blutvergießen, lohnen die Kosten? Gerade auch für die Betroffenen? In Afghanistan zeichnet sich ab, dass nach dem Abzug des Westens die Taliban zurückkehren, und viele Afghanen sind nicht einmal unglücklich darüber. Warum also immer wieder den gleichen Fehler widerholen? Weil man nicht tatenlos zusehen darf, wenn blutrünstige Tyrannen ihre Bevölkerung massakrieren? Natürlich kann man zusehen, solange der blutrünstige Tyrann zufällig ein guter Verbündeter ist. Gibt es also andere Gründe, für die völkerrechtlich umstrittenen Aktionen? Die Antwort der Russen und Chinesen auf diese Frage mag ja parteiisch sein. Die sind ja selber Diktatoren, heißt es. Sie fürchten ja nur, Verbündete zu verlieren und vielleicht selbst einmal Objekt so einer unfreiwilligen Demokratisierung zu werden. Aber fragen Sie doch mal ihren Taxifahrer…

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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