Im eigenen Namen - ein Erfahrungsbericht

Ein Bild, das Bände spricht: Die Hofjournalisten der Machthaber. Foto: AP

Ein Bild, das Bände spricht: Die Hofjournalisten der Machthaber. Foto: AP

Wie gehen Journalisten mit dem „Druck von oben“ um, wo beginnt Selbstzensur? Ein Lokaljournalist erzählt, wie es mit der Pressefreiheit in der Region Moskau bestellt ist.

Wenn ich mich mit Kollegen auf ein Bierchen treffe, stoßen wir oft darauf an, zu schreiben, zu sagen und zu filmen, was und wie wir wollen - und „dass wir dafür stets nur was von unseren Lesern und Zuschauern abbekommen - und zwar Anerkennung!“. Dieser Satz sorgt regelmäßig für trauriges Gelächter in der Runde. 

„Sagen Sie bloß, Sie müssen die Zeitungsseiten vor dem Druck nicht bei der Verwaltung vorlegen?“, fragte eine sympathische junge Dame erstaunt, als ich auf einem Seminar für angehende Journalistinnen und Journalisten einen Vortrag hielt. Ihre Verwunderung war so aufrichtig, ihr Blick so unschuldig, dass ich anfangs partout nicht darauf kam, die russische Verfassung ins Feld zu führen. „Im Grunde, meine Teuerste“, hob ich an, als ich mich wieder gefasst hatte, „nennt man das, wovon Sie reden, Zensur. Und diese kommt bei uns in der Region Moskau nur noch äußerst selten vor.“ 

Dass ich ein unverbesserlicher Idealist bin, stellte sich bald darauf heraus.

Wieder zu Hause, erzählte ich Kollegen von der „Gruselgeschichte“ der Journalistin, und plötzlich räumte der eine oder andere ein, dass es leider auch im Dunstkreis der Hauptstadt diese Praxis gebe. Zum Glück nicht überall. Doch die regionalen Medien stünden nach wie vor unter der Fuchtel der Selbstzensur. 

Der Chefredakteur einer Kreiszeitung wurde entlassen, weil er vor den Wahlen ein Interview mit dem Vertreter der „falschen“ Partei abdruckte. Nein, das Interview enthielt keine Kritik an der „richtigen“ Partei, die Obrigkeit erzürnte die Selbstständigkeit: Ein Chefredakteur muss wissen, wer das Exklusivrecht auf Veröffentlichungen in seiner Zeitung hat.

Ein Trauerspiel. Viele meiner Kollegen kennen dieses Gefühl. Ich will niemandem einen Vorwurf machen. Fast jeder hat Angst, seine Arbeit zu verlieren. Die einen haben kleine Kinder, die anderen kranke Eltern, wieder andere Schulden. Längst nicht alle sind zu eiskalten Zynikern geworden, die jeden Schreibauftrag bedienen, sobald er von oben kommt. Die Mehrheit versucht, die Balance zu halten: kein überschwängliches Lob und keine allzu harsche Kritik. 

Viele meiner Freunde und Bekannten, die ihren Beruf eigentlich liebten, haben ihn hassen
gelernt. Aber viele haben sich auch durchsetzen und der Lügen enthalten können. Die Hürden einer Zensur überwinden zu müssen – etwas, wovon sie im Studium in den Geschichtsbüchern gelesen hatten –, gehört für die meisten zum Lebensalltag. Neidvoll schauen sie auf die Moskauer Kollegen, die sich weitaus mehr erlauben können. Nachwuchsreporter wollen es ihnen nachmachen und riskieren eine dicke Lippe.

Man kann Gift darauf nehmen: Je mehr Angst Menschen haben, desto tiefer werden sie unterjocht. Je mehr Freiheiten sich die Zeitungen und einzelne meiner Kollegen herausnehmen, umso mehr achtet man sie. Ja, es kommt vor, dass man sich eine andere Arbeit suchen muss. Aber besser die Branche wechseln als sein Gewissen gegen Angst eintauschen.

Und doch wäre zu wünschen, dass das Recht auf freie Berichterstattung nicht nur im Pressegesetz festgeschrieben ist, sondern dass Journalisten dieses Recht auch ausüben können. Und zwar unter und in ihrem eigenen Namen.

Alexej Sokolski ist Journalist in der Stadt Klin bei Moskau.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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