„Der weiße Ring“ um Moskau

Foto: Jan Lieske

Foto: Jan Lieske

Am 26. Februar 2012, genau eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen in Russland, fand erneut eine Protestaktion mit dem Titel „weißer Ring“ in Moskau statt. Die Liga der Wähler, Anhänger der Opposition, und einfach alle mit der heutigen Politik des Landes nicht einverstandenen Bürger bildeten eine Menschenkette mit weißen Bändchen entlang dem Moskauer Gartenring.

34.000 Menschen müssen es sein, um die 16 Kilometer des Gartenrings zu füllen. Dem Gefühl nach zu urteilen waren es deutlich mehr, denn erstens, man hat es tatsächlich geschafft den gesamten Ring zu „besetzten“ und zweitens, viele Menschen liefen die Route auf den Gehwegen oder fuhren in ihren Autos. Meiner subjektiven Meinung nach, war dies die mit Abstand beste Protestaktion seit Langem. Die großen, weißen Schneeflocken waren wie bestellt, die Menschen noch friedlicher als sonst und unglaublich gut gelaunt. Selten sieht man so viele freudestrahlende Gesichter auf unseren Straßen. „Verdammt, wo sind diese Menschen wenn ich morgens früh in der Metro, eingequetscht wie in einer Konservenbüchse, zur Arbeit fahre?!“, wunderte sich meine Freundin, mit der ich den „weißen Ring“ entlang lief. Und wirklich – es galt lange Zeit sich vor einander zu verstecken. Nur nicht auffallen, war das Credo. Jetzt ist alles anders. Sogar die Wochenenden verbringt die Jugend nicht mehr in Bars oder Klubs. Nein, es ist fast schon peinlich, wenn man unzählige Rubel und kostbare Minuten seine jungen Lebens bei einem Cocktail vergeudet. Stattdessen geht man am Freitagabend beispielsweise zu einem Training für zukünftige Wahlbeobachter, am Samstag klebt man Flyer in Vorbereitung für die nächste Aktion, am Sonntag geht man protestieren…

„Weißer Ring“ – wir kreisen den Kreml ein


Die Aktion am 26.Februar war kein Meeting und hat demnach keine Genehmigung der Stadt gebraucht. Wichtig war dabei nur keine Parolen zu skandieren oder Plakate mitzubringen. Doch für die Kreativität der Menschen war dies keineswegs ein Hindernis. Weiße Engelsflügel, Zöpfe mit weißen Bändern geflochten, weiße Jacken und Mützen, weiße Ganzkörperanzüge, Aufkleber und sogar weiße Regenschirme hatte man stattdessen mitgebracht. Das Hupen der vorbeifahrenden Autos (mit weißen Bändern geschmückt), so wie die winkenden Menschen (natürlich mit weißen Bändern) in den vorbeifahrenden Bussen, lösten jedes Mal Jubelrufe am Straßenrand aus. Es war wie Geburtstag und Weihnachten zusammen.

 Foto: Jan Lieske

„…kein Zar und kein Gott“


Offiziere und Soldaten der Luftlandetruppen, umhüllt in ihre Fahnen, standen auch am Gartenring. Schon vor knapp einem Monat zeigten sie ihren Protest mit einem Video bei Youtube. Darin sieht man starke Männer mit Gitarren bewaffnet ein Lied singen, was Putin gewidmet ist. „Du bist genauso wie ich, kein Zar und kein Gott, ich bin genauso wie du ein Mensch und kein Idiot“ – ist der Refraintext. Die protestierende Luftlandeformation versuchte auch am Straßenrand „Russland ohne Putin“ zu skandieren, doch die Bürger um sie herum beruhigten sie.  Schließlich sind Parolen ein Zeichen für ein Meeting – und das wäre ein Grund zur Festnahme. Die gab es auch dieses Mal nicht.  

Dafür mischten sich junge bis sehr junge Menschen mit roten Kartonherzen und der Aufschrift „Putin liebt alle“ unter die „weißen Bänder“. Sie waren stark engagiert und damit beschäftigt aufzufallen. „Ich bin für Putin, weil er für Stabilität sorgt“, antworteten sie auf nahezu alle Fragen der Journalisten. „Meine Großeltern leben jetzt besser, als in den Neunzigern. Sie müssen keine Kartoffeln mehr anbauen, um zu überleben. Ihre Rente ist hoch“. Wie hoch, das wusste die 21-jährige Studentin mit dem Herz um den Hals nicht. In kritischen Situationen ist Angriff der beste Schutz und ein Iphone, was sie und ihre Kollegen (mit Herz) sofort zückten um die Gesichter der Verräter, die fiese Fragen stellen, zu filmen. Kurz gesagt, an diesem Tag versuchten die „weißen Bänder“ und die „Kartonherzen“ einander klar zu machen die falsche Wahl gemacht zu haben. War es bei den ersten Protestaktionen noch nicht der Fall, so ist jetzt deutlich geworden: die Gesellschaft hat sich geteilt in die „für“ und die „gegen“.

Fotos: ridus.ru

Verschieden, aber doch vereint


Eine ältere Frau mit weißem Band und weißem Schal, mit dem sie fleißig durch die Luft wedelte erklärte, dass sie davor am meisten Angst habe, dass diese zwei Parteien“ aneinander geraten. Sie für ihren Teil reiste in der kalten Elektritschka, dem Elektrozug aus dem Moskauer Gebiet an, um an dem „weißen Ring“ teilzunehmen. Sie ist für Stabilität, aber auch für Reformen, faire Wahlen und gegen Korruption. Und dementiert die allgemeine Ansicht, dass nur die so genannte kreative Bevölkerungsschicht auf die Straße geht: „Schauen sie sich um! Es sind weitaus mehr Menschen, als nur diese Schicht. Alle sehr verschieden, und aus sehr verschiedenen Bevölkerungsschichten.“ Verschiedener könnte man gar nicht sein. Es stellte sich heraus, dass dies kein Hindernis ist am Straßenrand gemeinsam das weiße Band zu halten.    

Das war die letzte Protestkundgebung der Opposition vor den Wahlen, die die Zukunft eines großen Landes bestimmen werden. Manche sagen, es wäre der letzte friedliche Protest. Der 5. März wird es zeigen. Wie dem auch sei, in Russland macht jetzt folgender weißsagender Spruch die Runde: Russland hat drei Auswege – Scheremetjewo, Domodedowo und Wnukowo. Hoffentlich finden wir noch einen vierten.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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