583 Milliarden Euro will Russland im Laufe des kommenden Jahrzehnts in Streitkräfte und Rüstungsindustrie investieren. Foto: http://premier.gov.ru/
Meinst Du, die Russen wollen Krieg? Heute sind mache Politiker aus den Nachfolgestaaten des Ostblocks und der westlichen Welt gewillt, diese rhetorisch gemeinte Frage spontan mit „ja“ zu beantworten. Zu Recht? Handelt es sich bei den Versen des Dichters Jewgenij Jewtuschenko um heuchlerische Propaganda einer aggressiven Großmacht? Oder um die Quintessenz des russischen Verhältnisses zu Krieg und Frieden?
Das Paradox spaltet die Beobachter seit mehr als zweihundert Jahren: Russland die Militärmacht, die vom Frieden singt. Ein Land, in dem Uniformen aus dem Straßenbild nicht wegzudenken sind, wo Soldatenstiefel und Panzer bei Paraden über den Roten Platz donnern und im Fernsehen auch heute noch zu jedem Anlass Soldatenlieder erklingen. Fakt ist: Im Laufe der Geschichte hat Russland vergleichsweise wenige Kriege vom Zaun gebrochen, wurde häufig angegriffen und konnte die Abwehrschlachten dazu nutzen, seine Machtbereich zu konsolidieren. Der Schock des zweiten Weltkriegs sitzt dem Volk und seinen Politikern noch tief in den Knochen. Die defensive Großmacht Russland, so ein weit verbreitetes Geschichtsbild, sei unbesiegbar, solange ihre Soldaten nicht angreifen, sondern sich verteidigen.
Da passt es gut in Bild, wenn Premier Putin umfassende Aufrüstung ankündigt mit dem Argument, nur ein starkes Russland könne den Frieden garantieren. „Wir sollten nicht zulassen, dass wir schwach werden und damit andere in Versuchung bringen“, formulierte der Regierungschef in seinem Artikel, der hierzulande in der „Financial Times Deutschland“ erschien. „Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg“, sagten schon die Römer, die selbst bekanntlich nicht gerade Pazifisten waren. Putin starte ein neues Wettrüsten unter umgekehrten Vorzeichen, meinen einige Kommentatoren.
Während der Westen in der Krise steckt und die Verteidigungshaushalte zusammenstreicht, dreht Russland voll auf. So wie damals, als die Nato die marode UdSSR zwang, im Rüstungswettlauf mitzuhalten und das Land damit wirtschaftlich zu Grunde richtete. 583 Milliarden Euro will Russland im Laufe des kommenden Jahrzehnts in Streitkräfte und Rüstungsindustrie investieren. Das klingt beeindruckend. Aber allzu sehr sollte der Westen sich nicht fürchten. Wenn Putin es ernst meint, dann müssen die Milliarden erst einmal dort ankommen, wo sie hin sollen. Schon im Zarenreich war Rüstung ein hochkorruptes Geschäft. Die russischen Soldaten werden nur dann neue Kasernen, anständiges Essen und moderne Waffen bekommen, wenn nicht Heere von Beamten und Offizieren das Budget in die eigenen Taschen leiten. Damit das nicht passiert, müsste sich einiges ändern in Russland. Und wenn es wirklich so weit kommt? Dann empfiehlt der Poet Jewtuschenko, sich bei den Ehefrauen und Müttern zu erkundigen, ob Russland den Krieg will. Alternativ tut es auch ein Blick ins Geschichtsbuch.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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