Der bekannte Schriftsteller Boris Akunin gehört zu den Putin-Gegnern unter der russischen Kulturelite. Foto: RIA Novosti
Noch nie haben Russlands Künstler und Kulturschaffende so sehr im politischen Rampenlicht gestanden wie vor dieser Präsidentenwahl am 4. März. Wladimir Putin gerät als Kremlkandidat unter Druck eines Teils der Intelligenz, die auch die jüngsten Proteste gegen ihn mit organisiert.
Dagegen mobilisiert das Machtlager um Putin nicht ohne Erfolg kulturelle Schwergewichte als Unterstützer. Opernstar Anna Netrebko, der Dirigent Valeri Gergijew und Oscar-Preisträger Nikita Michalkow («Die Sonne, die uns täuscht») werben als Vertrauenspersonen für Putin, der seit zwölf Jahren an der Macht ist und nach Meinung einiger abtreten sollte.
Erst Regierungschef, dann zwei Amtszeiten als Präsident, nun wieder Premier und demnächst erneut Kremlherr – dies sei doch genug, befand etwa Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow nicht nur einmal in diesem Wahlkampf. Putin habe alle demokratischen Institute in Russland zerstört und noch schlimmere Machtstrukturen geschaffen als die Kommunisten in der Sowjetunion.
Putin-Bekennerliste mit hunderten Namen
Doch bei großen Teilen der russischen Elite prallen diese mahnenden Worte Gorbatschows ab. Hunderte haben sich auf einer Putin-Liste zu dem 59-Jährigen bekannt, darunter Netrebko bei Nummer 318, wie die Wahlleitung mitteilt.
«Das Wichtigste ist Putins Sieg, weil jede andere Variante eine Katastrophe für das Land bedeutet», sagt etwa Regisseur Michalkow. Er nennt wie die meisten Befürworter keine greifbaren Gründe, warum der Ex-Geheimdienstchef trotz der jüngsten Massenproteste sowie scharfer Dauerkritik von Menschenrechtlern das Land weiter führen sollte. Der Filmemacher mahnt nur, dass sich die Emotionen in der Gesellschaft legen müssten, damit der Dialog beginnen könne.
Druck von allen Seiten
Dabei beklagen einige dieser Prominenten inzwischen, sie würden wegen ihrer Wahlkampfhilfe für Putin nun selbst angefeindet, beschimpft und boykottiert von ihren Anhängern. Freundschaften und bisweilen sogar Familienbande zerbrechen wegen des politischen Bekenntnisdrucks, wie Medien berichten.
Einige Künstler deuten Druck an, dass ihnen nichts anderes übrig bleibe, als mit der Staatsmacht zusammenzuarbeiten, wenn sie nicht bei ihrer Arbeit oder ihren Projekten behindert werden wollten.
Die Abhängigkeiten zwischen Machtsystem und Kultur sind bisweilen groß. Dass Regierungschef Putin etwa auch Vorsitzender der Kommission ist, die über die staatliche Filmförderung entscheidet, erklärt nach Meinung von Beobachtern die hohe Zahl der Regisseure in seinem Wahlkampfteam.
In einem Internetprojekt erzählen viele Künstler in einer Videobotschaft, warum sie für Putin stimmen. Immer wieder nennen sie als Grund: «Für Stabilität in Russland.»
Reine Berechnung?
Eine Umfrage des Fonds Öffentliche Meinung (FOM) hat ergeben, dass 47 Prozent der Befragten glauben, dass die Kulturschaffenden aus «reiner Berechnung und Hoffnung auf Hilfe und Dankbarkeit der Machthaber» sich politisch für Putin festlegten.
Medien zufolge hat für Putin vor allem Regisseur Stanislaw Goworuchin, der auch den Wahlkampfstab leitet, die Kontakte zu den Stars geknüpft. Doch längst nicht mehr alle geben ihre Popularität her, um Putin Zugang zu den Teilen der Gesellschaft zu öffnen, in denen Künstler verkehren.
Unterstützung für Milliardär Prochorow
Die einflussreiche Popdiva Alla Pugatschowa unterstützt mit dem populären Musiker Andrej Makarewitsch den Präsidentenkandidaten Michail Prochorow. Der 46 Jahre alte Milliardär gilt als politisch unerfahren, ist aber das einzige neue Gesicht unter den insgesamt fünf Kandidaten.
Der Putin-Herausforderer Michail Prochorow hat kürzlich sein Wahlprogramm vorgestellt.
Auch der in Deutschland gelesene Schriftsteller Viktor Jerofejew («Der gute Stalin», 2004), der bisher nie Partei im Wahlkampf ergriff, unterstützt den Oligarchen. «In jedem normalen Land gibt es Meinungsvielfalt. Ich möchte, dass Russland ein normales Land wird», sagt Jerofejew in einem Interview mit der Zeitung «Nowyje Iswestija».
Der 64-Jährige bezeichnet auch die Parlamentswahl von Anfang Dezember als «unehrlich». Die umstrittene Abstimmung und Putins geplante Rückkehr in den Kreml hatten die jüngsten Massenproteste in Russland ausgelöst. Das Land brauche jemanden wie Prochorow, der die liberale und prowestliche Mittelschicht stütze, meint der Autor.
Die Rolle der kulturellen Meinungsführer sei stark gewachsen, schreibt die Zeitung «Wedomosti» in einem Leitartikel zum Thema Elite und Wahl. Die Menschen in Russland seien auf der Suche nach moralischen Autoritäten, die wirklich unabhängig seien.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Russland Aktuell.
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