Alte Regeln gelten wieder

Nach den Präsidentschaftswahlen demonstrierte Opposition am Abend des 5. März gegen den Wahlsieg Wladimir Putins. Die Staatsmacht reagierte auf die alte Art - mit Gewalt.

Über der Twerskaja-Straße im Zentrum Moskaus kreist ein Polizei-Hubschrauber an diesem Montagabend nach der Rückkehr Wladimir Putins. Der Grund sind die 20.000 Bürger, die ab sieben Uhr auf den Puschkin-Platz strömen. Vor dem Kino „Puschkinskij‟ steht eine Bühne, darauf die gesammelten Führer der Opposition. Aus den Lautsprechern kommt Protestmusik, der Klassiker „In unseren Herzen fordern wir Veränderungen‟ von der Band Kino, den einstigen Vorboten der Perestrojka. 


„Putin - Wor‟ ruft von der Bühne später der Blogger Alexej Nawalny, und aus zehntausenden Kehlen schallt es zurück: „Wor!‟ Putin – Dieb. Links neben der Bühne jedoch erklingt immer wieder „Putin, Putin‟, wie am Sonntagabend am Kreml. Es sind allesamt kräftige Jungs in schwarzen Jacken, einige mit schlechten Zähnen, andere riechen nach Alkohol. „Das sind sicher Fußballfans, bezahlt vom Kreml‟, meint ein Demonstrant. Ständig provozieren sie Schlägereien, irgendwann kommt ein Polizist, aber nach ein paar Minuten ist er wieder weg. An diesem Tag gibt es auch wieder eine Demonstration der Putin-Befürworter am Roten Platz. Der Kreml will zeigen, dass er die Straße nicht an die Opposition abgibt.

Die Stimmung im Zentrum Moskaus ist nach den Wahlen, bei denen Putin mit knapp 64 Prozent gewonnen hat, angespannt: Der Oberste Wahlleiter Wladimir Tschurow hat Putin am Mittag zum Sieger erklärt, aber in den unabhängigen Medien werden die massenhaften Fälschungen diskutiert.Besonders häufig ist es offenbar zu so genannten „Karussellen“ gekommen: Wähler werden mit Bussen von Wahllokal zu Wahllokal transportiert und stimmen mehrfach ab, in manchen Fällen für Geld. Ksenija Sobtschak, das Glamourgirl, das sich in den letzten Monaten zur Oppositionellen gemausert hat, berichtet auf dem unabhängigen TV-Sender „Doschd“, wie sie ein solches Karussell aufgedeckt hat. Aus ganz Russland hat die Wahlbeobachter-Organisation „Golos“ über 2500 Wahlrechtsverletzungen registriert.

Die Demonstranten auf dem Puschkin-Platz sind unzufrieden, aber kaum jemand von ihnen ist bereit, das System mit Gewalt zu verändern, auch wenn das Wort „Revolution‟ von manchen Rednern auf der Bühne immer wieder fällt. Die meisten Menschen hier haben sich mit dem Sieg Putins schon abgefunden. „Wir müssen jetzt eine neue Bewegung schaffen‟, ist der 32-jährige Michail überzeugt, Journalist beim Magazin „Forbes‟, der seine Tochter auf den Schultern trägt. „Sie muss aber ganz anders sein als die bisherigen: Mit einer horizontalen Struktur, an der Spitze ein Manager‟, sagt er. Der Präsidentschaftskandidat Michail Prochorow, der am Sonntag fast acht Prozent der Stimmen bekommen hat, verkündet am Abend von der Bühne, eine solche Partei zu gründen. „Ihr wollt Veränderungen – ich tue alles dafür, dass ihr diese Veränderungen sehen werdet‟, ruft der Zweimetermann den Menschen zu. Aber viele glauben nicht an seine Unabhängigkeit. „Prochorow ist eine vom Kreml abgesegnete Alternative‟, sagt der 42-jährige Headhunter Airat, der auf dem Brunnen vor dem Kino „Puschkinskij‟ steht.

Inzwischen verkündet der Politiker Sergej Udalzow von der Bühne, dass er die Nacht auf dem Puschkin-Platz verbringen wird. Später schlägt er sein Zelt auf, während die Demonstranten sich auf den Nachhauseweg machen und in die Metro-Eingänge strömen.

Rund um den Brunnen im Zentrum des Platzes stehen am Ende Sergej Udalzow, der Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarjow und einige Hundert Demonstranten. Aber gegen zehn Uhr beendet die Polizei den Spuk: OMON-Polizisten umzingeln die Demonstranten, teilen sie in kleinere Gruppen, nehmen einzelne von ihnen fest. Ohne überflüssige Gewalt, aber mit Härte drängen sie die Menschen vom Platz. „Schande, Schande‟, skandieren diese. Auf der Twerskaja-Straße ziehen die Demonstranten dann plötzlich in Richtung Majakowskij-Platz, verfolgt von zahlreichen Journalisten und den Bussen der Polizei. „Russland ohne Putin‟, schallt es von den Wänden der teuren Boutiquen und dem Marriott Grand Hotel.

Am Majakowskij-Platz werden dann die übriggebliebenen Demonstranten eingesammelt: Einen nach dem anderen verfrachten die Polizisten sie in die bereitstehenden Busse, ohne größere Gegenwehr der Beistehenden, aber unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen. Über tausend Menschen, so der Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarjow, seien festgenommen worden, darunter die Oppositionsführer Alexej Nawalny, Ilja Jaschin und Sergej Udalzow.  „Das war eine Provokation der Oppositionellen‟, ist sich Maxim sicher, ein Demonstrant Mitte 30, der nicht festgenommen wurde. „Damit haben sie das nächste Mal, wenn wir eine Demonstration machen wollen, ein Argument in der Hand: Ihr haltet euch nicht an die Regeln, also dürft ihr nicht demonstrieren.‟ Das harte Vorgehen der Polizei könnte auch ein Vorgeschmack auf die nächste Amtszeit Putins sein: Die Wahlen sind gelaufen, nun gelten wieder die alten Regeln. 

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