Wahllokal Im Generalkonsulat in Bonn. Foto: Dmitry Vachedin
"Wisst ihr, warum Putins Töchter nie wählen gehen?", fragt uns auf Russisch eine junge Studentin Anfang zwanzig in schrillen blauen Hosen und gibt selbst die Antwort: "Weil man sich die Eltern nicht auswählen kann". Dass man sich die Eltern nicht aussucht, sagt man gewöhnlich, wenn man keinen besonderen Grund hat stolz auf sie zu sein. Die Familie Putin gilt nicht mehr als beneidenswert. Es ist äußerst uncool einen Vater wie Putin zu haben. Darum fährt die junge Studentin nach Bonn, um ihn abzuwählen.
Wir fahren Berg ab durch die kurvenreichen Straßen von Bonn Bad Godesberg, wo sich das russische Generalkonsulat befindet. Mehr als die Hälfte der Fahrgäste im Bus dürften Russen sein. Die Studentin spielt mit ihrem iPhone. Ich vernehme Stimmen, die behaupten, die Schlangen vor dem Konsulat seien so groß, dass man auf die Stimmabgabe mehrere Stunden warten müsse.
Zum Überbrücken der Wartezeit – Posieren mit Puschkin
Ein wenig später sehen wir sie auch - die riesigen Schlangen, erschreckend und faszinierend zugleich. „500 oder 600 Menschen warten da draußen“, verrät uns ein Konsulatsmitarbeiter, der einen solchen Andrang auf seinen Arbeitsplatz noch nie erlebt hat. Die Wahlbeteiligung ist etwa dreimal höher als bei den letzten Dumawahlen.
Bereits im Gebäude sehen wir aus dem Fenster, wie sich wartende Menschen mit einem bescheidenen Puschkin-Denkmal photographieren lassen – aus Langweile und weil der russische Dichter noch immer sehr beliebt ist. Eine der weniger Konsensfiguren in der russischen Geschichte. Ein Dichter, der seinerzeit keine Genehmigung für eine Europa-Reise von der russischen Regierung erhielt, steht nun in Bonn, umkreist vom hohen Zaun des Konsulats.
„Die Menschen sind wie erwacht“, sagt ein Konsulatsmitarbeiter und fügt hinzu: „Aber der Wandel, auf den andere Kandidaten schwören, führt uns in die falsche Richtung“. Die wartenden Menschen teilen wohl diese Ansicht. Schließlich gaben 53 Prozent der Wähler in Bonn ihre Stimme für Putin ab, schreibt Deutsche Welle. Obwohl man im Konsulatsgebäude orangefarbene Luftballons verteilt, nimmt keiner die Symbolik ernst. Hier entsteht keine „orangene Revolution“ wie in der Ukraine. Orange ist hier einfach nur eine grelle Farbe.
„Hoffentlich bricht kein politischer Winter aus“
„Haben Sie schon gewählt?“, fragt mich im Wahlraum der Beobachter Daniil, als ich mich dafür interessiere, welchen Kandidaten er hier vertritt. Nur als ich bejahe, antwortet er: „Prochorow“. Daniil macht es richtig, denn den Namen des Kandidaten zu nennen gilt indirekt auch als eine Wahlwerbung. Fast alle Wahlbeobachter hier sind von Michail Prochorow. Manche aus Überzeugung, andere, weil es so einfacher war den Beobachterstatus zu erhalten.
Daniil, ein Hobby-Informatiker, der sein Geld als Fahrer in Düsseldorf verdient, kannte Michail Prochorow noch vor paar Monaten nur vom Namen her und war weitgehend unpolitisch. Jetzt steht er als sein Beobachter, zitiert mit sichtlichem Vergnügen die russische Wahlordnung und wirkt dabei wie ein Profi-Politiker. Dieser Riesenschritt ist vielleicht das wichtigste Ergebnis der Wahlen. Heute haben junge Russen erfahren wie man Wahlmanipulationen verhindert und Wahlen organisiert, morgen entdecken sie wie man Parteien gründet und übermorgen – so hoffen sie - sind sie schon im Parlament. Zu erkennen, dass man Wahlen nicht auf Anhieb gewinnt, ist strategisch gar nicht verkehrt. Vorausgesetzt, in Russland zieht kein politischer Winter ein.
Allem Anschein nach verläuft die politische Trennlinie zwischen den Wählern in Bonn auf Generationsebene. 45- bis 50-jährige, die Mehrheit der Wähler in Bonn, haben ihre Gründe Putin zu wählen. Kein Politologe hätte damit gerechnet, dass Proteste in Russland auch Putin-Anhänger mobilisieren, die ihren Kandidaten plötzlich bedroht sehen. Doch genau das ist vermutlich geschehen. Diese Schicht für sich zu gewinnen könnte das große Ziel der russischen Opposition für die bevorstehenden sechs Jahre werden.
Heute aber befinden sich viele Oppositionelle noch in „Weihnachtsmarktstimmung“. „Wisst ihr, wie man mich zu der Protestkundgebung gelockt hat?“, fragt die junge Studentin an der Bushaltestelle. „Man sagte mir, du gehst doch auch zum Weihnachtsmarkt, oder?“.
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