Ein Wahlbeobachter beaufsichtigt die Wahlurnen. Foto: Wahllokal-Webcam
Bei einer Wahl müsse das Ergebnis offen sein, sonst sei es eben keine echte, legitime Wahl. Das sagt Tonino Picula, Oberwahlbeobachter von der OSZE. Dass nach diesem Kriterium die meisten Wahlen in der EU, bei denen es Favoriten gab, sofort anulliert werden müssten, störte die Beobachter nicht. Auch das laute Gelächter, das dieses Argument weltweit auslöste, verhinderte nicht, dass es von vielen EU-Medien kolportiert wurde.
Tatsächlich stand nicht nur das Wahlergebnis in Russland sei einigen Wochen ziemlich fest. Auch die Kritik an den Wahlen stand von vornherein fest - und das eigentlich schon seit Jahren.Das liegt offensichtlich daran, dass zumindest einige der Kritiker die Wahrheit prinzipiell und für immer gepachtet haben. Darum kann es gar nicht anders sein, als dass es Wahlbetrug ist, solange nicht Boris Nemzow oder Garri Kasparow von den Russen als Präsident gewählt werden. Oder irgendjemand anderes, der ebenfalls lzensierter Träger des universellen (angeblich westlich-liberalen), alleinseligmachenden Wertesystems ist.
Diesen Eindruck eines fast schon totalitaristischen Dogmatismus erwecken zumindest viele der "Beobachter" (eine Ausnahme war nur der CDU-Abgeordnete Wellmann) von OSZE und PACE, Tiny Kox, Tonino Picula oder auch die Bundesgrüne Marie-Luise Beck. Ihre Pressemitteilungen über die Präsidentschaftswahl hätten auch schon vor einigen Wochen geschrieben sein können. Dafür hätten sie die Reisekosten sparen können. Denn es geht gar nicht um die Wahlen.
Das Ärgerliche daran ist nur, dass dieser Dogmatismus (immer streng entlang der amerikanisch-angelsächsischen Leitlinie) den Blick auf das verstellt, was wirklich interessant und beobachtenswert ist. Und leider kann dieser grün-atlantische Dogmatismus auch verhindern, dass die westeuropäische Öffentlichkeit sich ein zutreffendes Bild über die Prozesse macht, die in Russland wirklich ablaufen.
Unregelmässigkeiten in jedem dritten Wahllokal
Dem OSZE-Hauptargument ("Das Wahlergebnis stand schon vorher fest") wurde wenig später hilfsweise die Behauptung nachgeschoben, es habe in jedem dritten Wahllokal in Russland Unregelmässigkeiten gegeben. Also, so abermals die Schlussfolgerung, habe es keine freien und fairen Wahlen gegeben. Wladimir Putin kann demnach gar nicht als Präsident Russlands legitimiert sein, heisst es. Ihm blüht das Schicksal von Gaddafi.
Tatsächlich kann es durchaus sein, dass es in 33% der Wahllokale irgendwelche Unregelmässigkeiten gegeben hat. Die Frage ist nur eben, welcher Qualität.So kann es durchaus sein, dass die Wählerlisten nicht vollständig waren. Ein grosser Teil der Beschwerden in den Wahlkommissionen betrifft zum Beispiel dies. Das in Russland viele Einwohnermeldelisten unvollständig sind, ist keine Neuheit. Aber das macht die Wahlen nicht illegitim.
Tatsächlich hat es Fälle von "Karussels" (Massenhafte Mehrfachabstimmung) gegeben. Aber diese wurden oft von Wahlbeobachtern (von denen es über 300.000 gab) oder den 95.000 Webkameras (die von etwa 2 Millionen Menschen genutzt wurden) entdeckt und verhindert, zumindest im Moskauer Raum. Dasselbe gilt für Versuche, massenhaft Wahlzettel in die Urnen einzuwerfen.
In Moskau recht korrekt dank massenhafter zivilgesellschaftlicher Kontrolle
Auch unabhängige Wahlbeobachter sagen, dass es bei den Wahlen jetzt in Moskau im Wesentlichen korrekt zugegangen sei - eben dank der massiven zivilgesellschaftlichen Kontrolle. Im Ergebnis landete Putin in Moskau unter 50%.
Anders die Situation in St.Petersburg, wo Putin über 58% erreichte. Auch das ist weniger, als der russische Durchschnitt von etwa 64% - aber um etwa 10% mehr, als nach Meinungsumfragen im liberalen Petersburg zu erwarten war. Es gibt gerade aus St.Petersburg Berichte von massiven, frechen Fälschungen der Abstimmungsprotokolle durch die Beamten der Wahlkommissionen selbst.
Unabhängige Wahlbeobachter sagen, dies habe auch daran gelegen, dass es diesmal in St.Petersburg - im Unterschied zu den vergangenen Duma-Wahlen und zur Situation jetzt z.B. in Moskau - keine gut organisierte zivilgesellschaftliche bzw oppositionelle Wahlbeobachtung gegeben habe.
Legitim oder nicht?
Auch KP-Chef Gennadi Sjuganow kündigt nach jeder Wahl finster entschlossen an, den Fälschern auf die Finger zu klopfen - und jedesmal verläuft sich das Versprechen sang und klanglos im Sande. Und solange es keine klaren Beweise und Belege für massenhafte Fälschungen gibt, kann die Legitimität der Wahlen nicht abgestritten werden. Die Russen haben mehrheitlich Putin gewählt. Und die zivilgesellschaftliche interne Selbstkontrolle ist tausendmal mehr wert, als die Gebetsmühlen der OSZE. Es geht mir gar nicht darum, um jeden Preis Putin zu verteidigen. Es geht mir darum, den Blick auf Entwicklungen freizuschaufeln, die wirklich wichtig sind.
Es hat in den vergangenen Jahren und Monaten tatsächlich ganz entscheidende Veränderungen in Russland gegeben, die jetzt auch in den Präsideschaftswahlen kulminierten. Nicht weil Putin gewählt wurde, sondern trotz dieses Ergebnisses. Oder auch wie dieses erreicht wurde. Und wie es in Russland diskutiert wird, zum Beispiel sogar im Staatsfernsehen.
Eine Strategie für den Wandel von unten
Jenseits der dogmatischen Gebetsmühlen der OSZE/PACE ist zum Beispiel wirklich interessant, was Grigori Jawlinski auf der Kundgebung am Puschkin-Platz als politische Strategie für alle ausserhalb der Kremlpartei formulierte: Teilnahme an den regionalen und kommunalen Wahlen, Teilnahme an den Gouverneurswahlen, die es wieder geben soll. Also: Aufbau von Positionen von unten, die das Land nachhaltig verändern können.
Und irgendwann wird der politische Wandel (zusammen mit dem sozialen) auch im Kreml ankommen. Denn die Menschen in den Regionen und Dörfern Russlands sind inzwischen aufmerksamer und informierter, als es sich die Dogmatiker träumen lassen.
Dieser Artikel erschien zuerst ungekürzt bei Russland Aktuell.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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