Putin braucht die Mittelschicht nicht. Bild: Natalia Mikhaylenko
Nun ist Wladimir Putin also wieder Präsident. Demos gegen Wahlfälschungen und Spott über die Selbstinszenierungen des Kandidaten konnten ihm nichts anhaben. Den Erfolg allein geschickter Auszählung anzulasten, wäre zu einfach. Putin hatte die besten Wahlhelfer, die ein Kandidat in Russland sich wünschen kann: Seiner Gegner im In- und Ausland.
Die meisten der über 100 Millionen russischen Wahlberechtigten mögen einfach keine Leute, die sie für reich, arrogant und pro-westlich halten. Genau diese Art von Menschen war es, die gegen Putin agitierte und ihm damit zum Sieg verhalf.
Da war der Milliardär und Präsidentschaftskandidat Michail Prochorow – ein beinharter Neoliberaler, der vor seiner kurzen politischen Karriere vor allem durch Eskapaden mit Prostituierten und Forderungen nach der 60-Stunden-Woche für Arbeiter auf sich aufmerksam machte. Prominente Unterstützerin Prochorows war die geliftete Pop-Greisin Alla Pugatschowa, früher mal ein Publikumsliebling. Heute hat sie auch den letzten Fan vergrault durch ihre dreiste Omnipräsenz und ihr groteskes Posieren mit angeblichen Liebhabern, die ihre Urenkel sein könnten. Oder die Promi-Nervensäge Xenja Sobtschak, im Westen gerne auch als „russische Paris Hilton“ bezeichnet. Sie ist die Tochter des Petersburger Bürgermeisters Anatoli Sobtschak, der in den 90ern wegen Korruptionsvorwürfen ins Ausland fliehen musste. Das Töchterlein, das ansonsten durch Shows und Nachtclubs tingelt, entdeckte plötzlich ihre Sympathie für die Opposition.
Wer noch? Garri Kasparow, der Lieblingsdissident des Westens, wird in Russland von niemandem als ernsthafte politische Kraft gesehen. Die Russen sind überzeugt: Wo Kasparow draufsteht, ist Amerika drin. Darum ist auch er kein überzeugender Antagonist.
Boris Nemzow war als Vizepremier unter Jelzin ein Vater der Privatisierung. Damit sind seine Sympathiewerte bei denen, die nicht zu den Gewinnern des Wandels zählen, äußerst gering. Wenn zu dieser Menagerie noch die Dauerkritik der westlichen Medien an Russland und an Putin hinzukommt, dann ist für die Masse der Wähler der Fall klar. Selbst der weniger glamouröse Blogger und Antikorruptionsaktivist Alexej Nawalny erreicht vor allem ein großstädtisches und intellektuelles Publikum. Wer keine Ahnung hat, was so ein Blog eigentlich ist und wo man das finden kann, wird nicht viel mit ihm anfangen können.
Diejenigen, die nicht in Moskau oder Petersburg leben und wenig verdienen wählen lieber den, der den „reichen Nichtstuern“ in den Metropolen die Stirn bietet. Und Putin, das politische Chamäleon, hat es geschafft, sich als dieser Anwalt der kleinen Leute zu positionieren. Das Empfinden dieser Menschen, nach eine schweren Krise wieder zu ein bisschen Stabilität und Wohlstand gekommen zu sein, beruht nicht nur auf Propaganda. Die Statistik stützt ihr Bauchgefühl.
Putin kann vielen etwas bieten: mal ist er konservativ-orthodoxer Patriot, mal neosowjetischer Machtpolitiker, effizienter Marktwirtschaftler oder sozialistisch angehauchter Globalisierungskritiker. Wie das Chamäleon orientiert er sich an seiner Umwelt, anders als dieses kann er aber durch die Wahl seiner Farbe auch herausstechen aus der Menge. Ein solches Talent sollte eigentlich keine gefälschten Wahlzettel nötig haben.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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