Der Katun-Fluss im Altaigebirge, Sibirien. Foto: Alamy/Legion-Media
Doch mit der Ausbeutung von Öl und Gas dringen auch die "Segnungen" westlicher Kultur immer weiter in die entlegensten Winkel der Welt vor. Sie stellen traditionelles Wissen in Frage und stellen für die traditionelle Lebensweise eine Bedrohung dar.
So stellt sich für die Sibirjaki, wie die Einwohner Sibirien genannt werden, die Frage, welchen Weg man einschlagen soll, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Eine Möglichkeit besteht darin, das überkommene Wissen über die Natur zu Geld zu machen. Eine andere Option wäre, Menschen aus der westlich geprägten Zivilisation nach Sibirien zu bringen - vielleicht zum Urlaub.
Es ist kein Geheimnis, dass viele Großunternehmen in Sibirien durch die reichen Vorkommen an Öl, Gas und Nutzholz zu Reichtum gelangt sind. Die natürlichen Ressourcen der Taiga wollen sich auch 110 000 kleinere und mittelständische Unternehmen in der Region Krasnojarsk zu Nutze zu machen. Darauf weist Roman Boltow, Direktor des Small Business Support Center (SBSC) in Krasnodar hin. Doch sie werden noch ganz schön zu strampeln haben, bevor sie das große Geld machen können.
Kluge Ideen für Wald und Körper
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Den Einheimischen wird langsam bewusst, dass die Taiga eine Schatzgrube ist, deren Kostbarkeiten manchmal direkt vor ihren Füßen liegt. Einer von ihnen ist Wladimir Terentjew, früher Agrarwissenschaftler. Er hat beispielsweise das Unternehmen Ecovit gegründet, das Pflanzenextrakte und -öle, Balsame und Tannenwasser herstellt und sie zu Parfüms, Getränken und Nahrungsergänzungsmitteln weiterverarbeitet. „Ich habe meine Firma 1998 mit 4000 Rubel (rund 100 Euro) gegründet, die ich als Abfindung erhalten hatte. Damit habe mir einen alten Tannenshredder angeschafft”, sagte er stolz. Ecovit bekam danach sogar internationale Fördergelder zur Unterstützung seines Projekts. Es passte zur Idee, großflächige Waldbrände zu verhindern.
„Die Rohstoffe für meine Produkte sind neben Kräutern auch Tannen- und Kiefernnadeln, die in unerschöpflichen Mengen auf dem Waldboden liegen”, fährt er fort. „In dem Maße, wie wir sie aufsaugen, schützen wir die Wälder auch vor Bränden: Denn die trockenen Nadeln brennen wie Schießpulver.”
Ecovit bietet mittlerweile Taiga-Produkte an, so gibt sich Terentjew überzeugt, die für Verdauung, Durchblutung und für die Wundheilung gut sind. Außerdem können sie Hautverätzungen heilen und andere Leiden lindern. Dass Bioflavonoide aus Kiefern eine positive medizinische Wirkung haben, ist unumstritten, doch räumt Terentjew ein, dass auf diesem Feld noch weitere Forschungen nötig seien.
Wachsender Markt
Igor Gorjanin, Vorsitzender des biomedizinischen Clusters in Skolkowo, dem russischen Silicon Valley nahe Moskau, bestätigt, dass weitere klinische Tests zur Untersuchung der medizinischen Wirksamkeit verschiedener Taiga-Produkte notwendig seien.
„Wir müssen gründliche Nutzenbewertungen anstellen, um die Erzeugnisse für einen größeren, vielleicht sogar den internationalen Markt fit zu machen”, sagte er. „Unter anderem ist herauszufinden, wie die biologisch wirksamen Bestandteile isoliert und in größerem Maßstab gewonnen werden können.”
Wie Andrej Sisow, Direktor von SovEcon, der führenden Unternehmensberatung für landwirtschaftliche Märkte, einschätzt, ist der Anteil an Taiga-Produkten am Binnenmarkt noch recht gering. Doch ihre Beliebtheit wachse proportional zum Einkommen, denn gut situierte Konsumenten könnten sich vermehrt etwas teurere, dafür umweltfreundlichere Produkte leisten.
Beispielsweise dringen Pinienkerne oder in der Taiga produzierte Öle und Heilmittel in das Sortiment spezialisierter Ökoläden vor. Viktor Mogiljow, Direktor eines Moskauer Online-Shops, der Naturprodukte aus Sibirien und der Altai-Region anbietet, ist stolz auf seinen steigenden Umsatz. „Die Verbraucher sind inzwischen auf der Suche nach hundertprozentig ökologischen Alternativen."
Juri Rudakow, ein Krasnojarsker Mitglied des Verbandes kleiner und mittelständischer Unternehmen „Delowaja Rossija“, kann auch bestätigen, dass sich der Markt für erneuerbare biologische Erzeugnisse, etwa Pilze oder medizinische Kräuter, rasant entwickle. Dennoch sei für ihn der Agrarmarkt eine unsichere Sache: „Sibirien ist wegen der klimatischen Bedingungen risikoreich für die traditionelle Landwirtschaft.” Ein weiteres Problem sei, dass die Unternehmer unbeholfen darin sind, potenzielle Anleger für ihre Geschäftsideen zu begeistern.
Doch Investitionen seien schon deshalb nötig, weil die Region durch ihre Entfernung zu den wichtigsten Absatzmärkten und die daraus resultierenden hohen Transportkosten nur Waren mit höherer Wertschöpfung produzieren könne. Dann seien die Konsumenten auch bereit, einen Preisaufschlag zu tolerieren, so Rudakow.
Geschäfte mit Kultur und Natur
Produkte mit hohem Mehrwert könnte beispielsweise das regionale Kunsthandwerk liefern. Das hat sich auch Arthur Mursachanow gesagt, ein in Omsk geborener Unternehmer, der in die Region Krasnojarsk gezogen ist. Er versucht, ein ganzes Kunsthandwerk-Gewerbe aufzubauen. In diesem Winter beauftragte er einige Einheimische damit, Möbelstücke aus Wurzelholz herzustellen oder Bilder mit Federn sibirischer Vogelarten zu gestalten. Sein Kapital: „Die Dorfbewohner haben sehr geschickte Hände."
Mursachanow verkauft nicht nur Erzeugnisse aus der Taiga. Er hat außerdem ein eigenes Ökotourismus-Unternehmen aufgebaut. Zusammen mit Freunden und Geschäftspartnern hat er 340 Kilometer von Krasnojarsk entfernt ein Dorf im Stil des 17. Jahrhunderts hingesetzt. „Die Touristen sind begeistert! Dieser Ort ist einfach schön, wie im Märchen. Die Leute verbringen die ganze Zeit damit, durch das Dorf und die umliegende Natur zu steifen und deren Schönheit zu bestaunen.”
Es bleibt viel zu tun
Sibirien bietet nicht nur Öl und Gas, sondern eine reiche Fauna und Flora. Das wollen sich findige Unternehmer zu Nutze machen. Sie stehen noch vor so manchem Problem bei der Herstellung und Vermarktung ihrer Produkte, aber es mangelt ihnen nicht am Ideenreichtum, und wachsendes Umweltbewusstsein sowie der Ökoboom bei Lebensmitteln spielt ihnen in die Hände.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitung The Moscow News.
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