Die russische Staatsduma. Foto: ITAR-TASS
Der Gesetzentwurf, der die Mindestmitgliederzahl einer Partei von momentan 40.000 auf 500 herabsenkt, könnte schon Anfang April in Kraft treten. Wie letzte Woche aus dem Justizministerium verlautet, gingen 68 Anträge auf Neugründung einer Partei bei der Behörde ein. Dies deutet auf eine grundsätzliche Veränderung der Parteienlandschaft Russlands hin, die sich ohnehin während der letzten Jahre gewandelt hat - die Analyse der turbulenten letzten Wahlen steht sowohl den Oppositionellen als auch der Regierungspartei noch bevor. Verändern müssen sich alle.
Regierungspartei: Umstrukturierung bis zur Auflösung
Dass sich in der Regierungspartei Einiges Russland etwas grundsätzlich ändern muss, wurde von ihrer Führung schon vor den Duma-Wahlen angesprochen. Auf dem Parteitag am 24. September verkündete ihr Spitzenkandidat Dmitri Medwedjew, dass die Partei „einer General-Modernisierung bedarf“. Welche Änderungen genau nötig wären, scheint allerdings weder den Parteimitgliedern selbst noch den Anhängern im Kreml klar zu sein. Nichtsdestotrotz werden in den Medien regelmäßig verschiedene Reform-Szenarien für die Regierungspartei erörtert. Die radikalste davon ist die völlige Auflösung der Partei Einiges Russland, die mit einer Nachfolgepartei ihre historische Mission als Regierungspartei erfüllt hätte.
Darin liegt eine gewisse Logik: Das von den Gegnern beförderte Image der „Partei der Gauner und Diebe“ (diesen Spitznamen gab ihr der Oppositionsblogger Alexej Nawalny) wird die Partei kaum loswerden. Doch ein solcher Schritt brächte auch Probleme mit sich, denn von einem Augenblick auf den nächsten eine Regierungspartei gegen eine andere auszutauschen, ist nicht einmal technisch möglich, noch dazu gäbe es Probleme mit der Rechtsnachfolge.
Ein weiteres Szenarium, wie es in den Medien nicht erst seit einem Jahr aufgebauscht wird, ist die Aufspaltung von Einiges Russland in zwei bis drei Großparteien unterschiedlicher ideologischer Richtungen. Auch das macht Sinn, versammelt die Partei doch Anhänger mit sehr verschiedenen politischen Ansichten. Aber auch diese Variante sieht nicht realistisch aus, da zu ihrer Realisierung viele „Einige Russen“ auf ihren Sitz in der Duma verzichten und ihn gegen einen Wahlerfolg ohne jede Garantie „irgendwann später in einer anderen Partei“ austauschen müssten.
Deshalb ist die wahrscheinlichste Entwicklung eine Kombination aus verschiedenen Varianten. Das „Rebranding“ von Einiges Russland wird kaum radikal sein und eher zu einer gewissen Erneuerung der Führung und zu einer weicheren Haltung gegenüber der Opposition führen. Im Rahmen dieses Wandels ist auch die Wahl Medwedjews zum neuen Parteichef sehr wahrscheinlich, und der frühere Parteivorsitzende Putin, der sich im Lauf der Präsidentschaftskampagne deutlich von Einiges Russland distanziert hat, wird weiterhin als „Präsident aller russischen Bürger“ regieren und sich dabei auf die letztes Jahr gegründete Gesamtrussische Nationale Front (ONF) stützend. Allerdings reizt ihn nach Meinung vieler Beobachter der Status einer wirklichen vereinigten Kraft ONF nicht sonderlich, weil sie genauso viele unversöhnliche Gegner hätte wie das Einige Russland.
Opposition: trübe Aussichten
Doch die oppositionellen Parteien haben nicht weniger Probleme. Die Kommunistische Partei braucht sich hinsichtlich ihrer Kernwählerschaft nicht zu sorgen: wie soziologische Umfragen zeigen, sympathisiert eine große Zahl von Russen immer noch mit den Kommunisten, und das Auftreten neuer Parteien im linken Spektrum wird daran kaum etwas ändern. Doch wenn die Kommunistische Partei wirklich nach Höherem strebt, muss sie früher oder später ihr Führungsproblem lösen. Für den 76-jährigen Gennadi Sjuganow, der seit über 20 Jahren an der Parteispitze steht, wird die neue Generation der Linkswähler wohl weniger gern stimmen.
Die Partei Gerechtes Russland hat ein anderes Problem: obwohl im Dezember viele Protestwähler für sie stimmten (das „geringere Übel“), hat sie praktisch keine Kernwählerschaft – glaubt man den Soziologen. Für die Mehrheit der Russen sind die Begriffe Sozialismus und Sowjetunion Synonyme, weshalb die Anhänger des sozialistischen Wegs in der Regel für die KPRF stimmen, die für eine „strahlende sowjetische Vergangenheit“ steht, und nicht für Gerechtes Russland, die einen eher unverständlichen „schwedischen Sozialismus“ als Vorbild vorschlägt.
Und schließlich vertieft die geringe Popularität des Parteiführers der „Gerechten Russen“, Sergej Mironow, noch das Problem, was das Gerede über den unvermeidlichen Zerfall der Partei noch mehr befördert.
Noch trüber sehen die Aussichten der Liberaldemokratischen Partei Russlands aus. Einerseits zeichnet sich das von Wladimir Schirinowski angeführte Gefüge durch eine erstaunliche Zählebigkeit aus. Andererseits ist klar, dass ihr Schicksal vollständig von der politischen und körperlichen Form ihres Führers Wladimir Schirinowski abhängt. Deshalb werden die Positionen der LDPR unveränderlich bleiben, zumindest so lange unter den neuen Parteiführern keine ebenso ausgeprägten Exzentriker in Erscheinung treten – oder gar Schirinowski selbst plötzlich beschließt in den Ruhestand zu treten.
Für drei nichtparlamentarische Parteien lohnt es sich kaum, auf eine höhere Platzierung zu hoffen. Den Resultaten der letzten Föderal- und Regionalwahlen nach zu urteilen, hat nur die Partei „Jabloko“ mit ihren 3,4 % Stimmen und einer gewissen Zuwachsperspektive dank der „Wutbürger“ irgendwelche Chancen, sich in der Oberliga der russischen Politik zu behaupten. Aber das Auftreten dutzender neuer Parteien als Folge der Parteigesetzreform wird unvermeidlich die Unterstützung der Alteingesessenen aufweichen, und darunter werden vor allem gerade die nicht in der Staatsduma vertretenen Parteimitglieder leiden. Wenn nämlich der KPRF oder LDPR bei Verlust von ein paar Prozenten lediglich eine geringere Anzahl an Sitzen im Parlament droht, kann das für „Jabloko“ schon fatal werden.
Neue Akteure: von den Jelzinisten bis zu den Nationalisten
Ungeachtet des zu erwartenden Wirrwarrs um neue Parteien sind in der systemkritischen Opposition nur drei politische Kräfte von Bedeutung. Erstens: Die Partei des Unternehmers Michail Prochorow, die allerdings noch nicht einmal einen Namen hat. Von anderen unterscheidet sie sich zumindest darin, dass für ihren Chef nach offiziellen Angaben bei den Präsidentschaftswahlen mehr als 5,7 Mio. russische Bürger stimmten. Durch die Mobilmachung des „Wutbürgers“ und das Fehlen anderer Alternativen könnte die Partei Prochorows schon bei den anstehenden Regionalwahlen einen Treffer zu landen - vor allem in den Großstädten.
Zweitens: Die Partei der Nationalen Freiheit (PARNAS) bemüht sich im Falle ihrer Registrierung ein bedeutender Spieler auf dem Parteifeld zu werden. Vermutlich wurden ihre demokratischen Anhänger Jelzinscher Prägung von soziologischen Daten inspiriert, die besagen, dass die Mehrheit der Russen mit den demokratischen Kräften sympathisiert. Aber um etwas zu erreichen müssen die „Parnasianer“ auf eine breite Koalition mit anderen namhaften Demokraten hinarbeiten.
Schließlich stellen die Nationalisten die dritte Kraft dar, die unbedingt die Früchte der Parteienliberalisierung genießen will. Bisher blieben fast alle ihre Versuche der Legalisierung vergebens. Zieht man die breite Akzeptanz des sogenannten alltäglichen Nationalismus im Land in Betracht, so haben die Verfechter der Losung „Russland den Russen“ allerdings gewisse politische Perspektiven.
Im Übrigen würden diese Perspektiven nur dann realisiert, wenn die Regierungsmacht plötzlich beschließen würde, aus irgendwelchen Gründen vom gegenwärtigen harten Kurs gegenüber den Nationalisten und Separatisten Abstand zu nehmen. Doch bislang ist ein anderes Szenario wahrscheinlicher, wonach das Justizministerium beharrlich fortfahren wird, gerade den nationalistischen Organisationen trotz Liberalisierung des Parteiengesetzes die Registrierung zu verweigern.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kommersant-Wlast.
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