Bild: Niyaz Karim
Wir sitzen im Kinderbuch-Bus Bumper („Stoßstange“), dessen Fahrer verzweifelt versucht, sich seinen Weg durch einen engen Hof zur Schule zu bahnen. Währenddessen erzählen die beiden Projektleiterinnen über das bislang einzigartige soziale Projekt, das gleichzeitig ein Buchladen auf Rädern, Kinderclub und Beratungszentrum ist.
Das Bumper-Team wird hier an einem Event teilnehmen, das Vorschulkinder für das Thema Toleranz sensibilisieren soll. Anna Tichomirowa, die Projektleiterin, erklärt, dass die heutige Veranstaltung auf Pernilla Stalfelts Buch Aus dem gleichen Holz geschnitzt aufbaut. Die Kinder werden die Texte der schwedischen Kinderbuchautorin lesen, die Illustrationen anschauen, spielen und darüber reden, wie verschieden wir alle sind und wie wir mit diesen Unterschieden umgehen sollten.
„Unsere große Idee war es, auf die Wiederbelebung oder, genauer gesagt, auf die Schaffung einer Kultur des Kindseins in Russland hinzuarbeiten, die neben speziellen Projekten, Kindergärten, interessanten Schulen und kreativen Initiativen auch noch eine respektvolle und angemessene Haltung gegenüber den Kindern und der Kindheit kennt. In einer solchen Welt zählt das Kind als eigenständige und interessante Person, nicht nur als Steuerzahler von morgen. Wir haben sogar eine Stiftung für die Kultur des Kindseins gegründet. Bumper ist nur eines ihrer Projekte“, erläutert Tichomirowa.
Fotos: Tatiana Shulz
Es ist kalt im Bus, aber der gestaltete und individuelle Innenraum verbreitet sommerliche Atmosphäre. Hellblaue und grüne Bücherregale, gestreifte Rollhocker, Schiebetische und sogar eine echte Stoßstange vor der Kasse. Auch ein Büro gibt es. Wir sitzen auf einer großen Couch im hinteren Teil des Busses mit hellgrünen Decken und gelben Kissen. Alles ist hell und kindgerecht.
Alle Arten von Büchern sind in speziell gefertigten Regalen untergebracht. Wir erfahren, dass die meisten Bücher von kleinen Verlagen in geringen Stückzahlen geliefert werden. Das Spektrum reicht von klassischen, von Wiktor Wasnezow illustrierten Büchern bis zu modernen schwedischen Märchen und Jugendbüchern.
Man findet Bücher, die vorgeben, Kinderliteratur zu sein, aber tatsächlich Probleme der Erwachsenen beschreiben. „So erklären wir den Eltern die Welt”, sagt eine andere Anna, die künstlerische Leiterin des Projekts, schmunzelnd. Einige Bücher fallen aus den Regalen, als der Bus ruckartig bremst. Beide Annas springen auf und stellen sie wieder an ihren Platz.
„Offiziell wird das Projekt von der Michail-Prochorow-Stiftung gefördert – mit einem hübschen Bus, Computer, Heizung und anderen netten und nützlichen Sachen. Bislang steht das aber alles nur auf dem Papier. Wir haben noch kein Geld gesehen. Daher sind wir auf Einnahmen aus dem Verkauf von Büchern angewiesen“, erläutert Tichmorowa.
Bumper ist ein soziales Projekt, kein kommerzielles. Die Erlöse aus dem Buchverkauf fließen in Kulturförderprogramme, die Bumper unterstützen will. In diesem Sommer wird Bumper durch Russland fahren und Regionen mit Kinderbüchern beliefern, in denen es nur wenig oder gar keine Bücher gibt.
„In Russland kommt man fast nur in den großen Zentren wie Moskau oder St.-Petersburg an gute und moderne Kinderliteratur”, sagt Tichmorowa. „Vielleicht werden wir ein paar Schriftsteller mitnehmen auf unsere Reisen. Das hängt davon ab, ob wir solche risikofreudigen Personen finden“, erklärt uns Anna, die künstlerische Leiterin.
Für’s erste wird der Bücherbus mit seinen farbenfrohen Rollhockern, seiner Couch, den lächelnden jungen Frauen und wunderbaren Büchern die Kinder in literarische Welten führen, in denen man sich nichts Schöneres denken kann, als wieder einmal als Kind aufzuwachen.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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