Spaß mit Fake-Nachrichten

Bild: Anton Panin

Bild: Anton Panin

Interessante Nachrichten verbreiten sich in Windeseile – dumm nur, wenn es sich dabei um Schabernack handelt. Der allerdings hat Unterhaltungswert und wirft gleichzeitig ein wenig Licht auf die Frage: Wer konstruiert eigentlich unsere Realität?

Die Einwohner von Barnaul (3.400 km von Moskau entfernt, 600.000 Einwohner) entdeckten 2008 eine Website der U-Bahn in ihrer Stadt. Der Administrator der Seite Danil Tschurilow war „verblüfft über die große Zahl der Nutzer, die Rückmeldungen über den Betrieb der Metro zusendeten“. „Ich wurde überschüttet mit Beschwerden über defekte Rolltreppen. Darüber, dass die Polizei jemanden angehalten und ausgenommen hatte wie eine Weihnachtsgans. Und dann erschienen im Gästebuch eines Tages Einträge von Reisenden aus Moskau, die um die genauen Betriebszeiten der Metro baten. Sie brauchten eine Verbindung vom Flughafen zum Hotel.“ Das einzige Problem an der Geschichte: es gibt in Barnaul keine U-Bahn, es gab nie eine und es wird wahrscheinlich nie eine geben.

 

Erstaunlich viele klinkten sich ein in das Spiel und überraschend viele glaubten tatsächlich an die U-Bahn. Wir können davon ausgehen, dass in Moskau oder St.-Petersburg kaum jemand eine Vorstellung von Barnaul hat – vielleicht spazieren dort ja Bären in der Mittagssonne durch die Straßen. Aber noch nicht einmal alle Einheimischen erkannten den Fake.

 

 

„Unwahre Dingen zu behaupten ist nicht besonders interessant“, findet Alexej Lawinskij, Gründer des Projektes Smixer.ru, das sich der Verbreitung erfundener Nachrichten widmet. „Man kann schreiben: ‚Diese oder jene berühmte Sängerin hat sich scheiden gelassen’ oder ‚Putin ist zurückgetreten’, und dabei stimmt das nicht. Aber wo ist da der Kick? Und wer glaubt solche Sachen noch ein zweites oder drittes Mal?"

 

„Für mich ist die Nachricht die gelungenste, die fast alle sofort als Fake begreifen und dabei massenhaft zitieren, weil diese erfundene Geschichte gut und lustig ist“, erklärt er. „Das Faken ist nicht das Ziel und nicht die Grundlage einer erfundenen Nachricht. Gelungene Fake-Nachrichten haben einen guten und wohlgeformten Text, einen interessanten Inhalt, Humor, Satire, ein wenig Sarkasmus, Parodie und vieles andere. Es kann sogar eine wahre Nachricht sein, ohne jede Fakerei, die aber in einer originellen Sprache abgefasst ist.“

 

Das Geschäft mit den Spaß-News


Die Seite Fognews.ru, über die das Verbot eines Betretens der Straße ohne Unterwäsche  nachhaltig im russischen Internet verbreitet wurde, kam auf die Idee, ihre Fake-Nachrichten zu Geld zu machen. „Wir haben den Anzeigenkunden etwas zu bieten. Unser Angebot ist kompatibel mit Social Media, es ermöglicht eine Erkennbarkeit von Marken und ist ein Weg der Verkaufsförderung“, erklären die Projektgründer, die anonym bleiben wollen. Bislang haben sie mit ihrer neugeborenen Idee jedoch noch keine nennenswerten Einnahmen erzielt. „Die Hauptquelle unseres Ertrages ist der Enthusiasmus der Redaktion.“

 

„Um spaßige Ideen umzusetzen bedarf es ernstzunehmender Investitionen und solider Profis“, so die Einschätzung von Alexej Lawinskij, dessen Seite Smixer.ru ein nichtkommerzielles Projekt bleibt, sein Hobby, das vielleicht auch ein wenig Geld einbringt. „Man muss eine klare Vorstellung von dem Format haben. Die Autoren müssen Nachrichten produzieren, keine Märchen und keinen Klamauk."

 

„Fake-Nachrichten haben ein markantes Merkmal. Solche Projekte müssen ihren Rezipienten ständig überraschen. Das ist keine leichte Sache, denn eine Zunahme an Überraschungen erfordert wachsende Ressourcen. Man muss also alle paar Monate einen qualitativen Sprung vollziehen, damit der kritische Rezipient zu dem Schluss kommt: das Projekt wächst“, erklärt ein Vertreter von Nobosti.ru, einem Fake-Projekt aus Nowosibirsk.

 

 

Schafft die Barnauler U-Bahn den Sprung auf die nächste Stufe? „Man muss verstehen, dass die U-Bahn ein Traum ist. Aber alles ist möglich und realistisch. Die Kosten für einen Metrobau sind nicht so übermäßig hoch, wie man gemeinhin annimmt. Es besteht außerdem die Möglichkeit, Betriebe aus der Region, die Wirtschaft mit einzubeziehen. In Barnaul gibt es alles, nur wer soll das alles umsetzen? Gefragt ist ein gutes und groß angelegtes Investitionsprojekt. Eines, das die Wirtschaft vor Ort mit Aufträgen pusht und zugleich die Attraktivität des Standortes für Investoren erhöht. Warum sollte das eigentlich nicht möglich sein?", so Tschurilow. Für ihn ist die Metro von Barnaul nicht einfach Spielerei oder Fake. Das Projekt ist ein Experiment zum Thema: „Was überhaupt schafft Realität. Wer konstruiert sie?“

 

Gekürzte Fassung. Die vollständige Version ist erschienen in „Kommersant-Dengi“.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!