Die Anschi-Fans lassen Ihrer Fantasie freien Lauf. Foto: www.fc-anji.ru
Von Fußballgöttern und armen Teufeln
Fotos: http://www.fc-anji.ru/
Auf dem Platz vor dem Stadion Dinamo in Machatschkala herrscht aufgeregtes Gedränge. Nichts weniger steht bevor, als ein Spiel gegen den Moskauer Rekordverein Spartak. Die Fans des Heimatvereins Anschi warten fiebrig in der Schlange darauf, durch die Tore gelassen zu werden. Man hat dabei den Eindruck, dass sie jeden einzelnen Security-Mitarbeiter persönlich kennen. Sie grüßen sich mit Handschlag und diskutieren eine Weile. Oft heißt es dann „das geht nicht, tut mir leid“ und der Fan sucht sein Glück an einem anderen Eingang.
Eine Karte für das Spiel Anschi - Spartak an der Kasse zu erstehen, ist unmöglich. Sie waren innerhalb weniger Tage bereits vor dem Spiel ausverkauft. Jetzt gibt es nur noch eine reale Chance, an die begehrten Tickets heranzukommen, und zwar mithilfe von Spekulanten, die gerade ihren Gewinn für die nächsten zwei Wochen – bis zum nächsten Heimspiel von Anschi – einfahren. Die Fans aber bleiben auch nicht untätig. Sie telefonieren unentwegt, fragen, verabreden sich. Schließlich gelingt einigen der Einlass ins Stadion.
Für die Stimmung auf der Fan-Tribüne sorgt der Leiter des Fanclubs Wilde Division Ramasan Gasijew. Er springt zwischen die Sitzreihen, wirft seine Arme in die Luft und fordert die anderen auf, das gleiche zu tun: Der Fantanz der Anschi-Anhänger ist eine kaukasische Lesginka. In den 45 Minuten einer Halbzeit bringen sie den Volkstanz sechs Mal unter und halten sich so bei Laune. „Die Lesginka macht munter, und die Stimmbänder können sich in dieser Zeit erholen“, erläutert der Fan Maga.
Weder die aufmunternde Lesginka, noch die anfeuernden Rufe allerdings vermögen es dieses Mal, Anschi zum Sieg zu verhelfen. Das Spiel endet unentschieden mit einem 0:0. Die durchschwitzten Spieler verschwinden sofort in den Umkleideräumen und sitzen bald darauf in einem Bus, der sie mit Blaulicht fortschafft – zum Flughafen, von wo aus sie ihr Trainingslager bei Moskau ansteuern. Die zurückgebliebenen Fans fangen derweil an, das nächste Spiel zu diskutieren.
Alles für die Gäste
Es ist acht Uhr abends. In der menschenleeren Straße unweit des Zentrums von Machatschkala erkennt man, schwach beleuchtet von zwei oder drei Laternen, eine kleine Bäckerei. Gegenüber erstreckt sich ein Wohnkomplex, ganz offensichtlich eine Investitionsruine. Daneben ein kleines Landhäuschen, in seinem Hof hängt Wäsche. Ein weißer BMW biegt in die Straße. Er umfährt vorsichtig die Schlaglöcher und bleibt nach 200 Metern stehen. Ein Mann steigt aus und winkt uns freundlich zu. Es ist Machatsch Gadschijew, ein Mittelfeldspieler von Anschi. In dieser dunklen Straße besitzt der Profifußballer ein Haus – eine große Villa mit hübschen Spiegeln, einer großen Küche, Fußbodenheizung und Designersofas. Ein solches Haus ist einem Spieler eines der reichsten russischen Fußballvereine durchaus angemessen. Nichts scheint daran ungewöhnlich. Nur der Kontrast zur dagestanischen Wirklichkeit der Umgebung könnte größer nicht sein.
Diese Art der Kontraste ist in Machatschkala so allgegenwärtig, dass man irgendwann aufhört, sie zu bemerken. So etwa das Fünf-Sterne-Hotel Abu Dagi, in dem das Anschi-Team während seiner seltenen Machatschalka-Besuche absteigt. Unmittelbar daneben breitet sich das öde Terrain einer Industriebrache und angrenzenden Baustelle aus. Das Ambiente im Inneren der Luxusherberge glänzt dafür mit Bildern der Vereinsfußballer und prächtigen Leuchtern. Im Foyer steht ein Klavier. Den wenig reizvollen Blick durch’s Fenster verdecken schwere Gardinen.
Der Geschäftsführer des Hotels Teofil Pikulik, ein Slowake, arbeitete 20 Jahre in der slowakischen Botschaft in Moskau, bevor er im vergangenen Jahr nach Machatschkala zog. Während er uns durch das Hotel führt, wiederholt er beständig, das sei „alles für Anschi“. Er präsentiert uns die sehr geräumigen Zimmer und redet dabei über den europäischen Standard in der Hotellerie, der mittlerweile auch in Machatschalka angekommen sei. Teofil Pikulik hat es sich offensichtlich zum Ziel gesetzt, auf den ihm anvertrauten Quadratmetern ein Stück Europa zu schaffen. Kaum jemand jedoch kommt in den Genuss, diesen Einsatz würdigen zu können. Außer Pikulik und sein Team beherbergt das Hotel keine Menschenseele. „Unsere Zielgruppen sind Ehrengäste und Ausländer. Einheimische haben kein Verhältnis zum Eigentum“, erläutert ein Mitarbeiter des Empfangsbereichs.
Ein Fest für Momente des Lebens
Der Fußballverein Anschi ist in Dagestan sehr beliebt. Die Mitglieder des größten Fanclubs von Anschi, der Wilden Division, klagen allerdings darüber, dass die Mannschaft sich schon seit über einem Jahr nicht bei ihnen hat blicken lassen. Die Lokalpresse scheint für die Stars des Vereins auch nicht zu existieren. Die Mannschaft hält sich maximal ein paar Tage in der Stadt auf. Sie spielt und nimmt noch den Nachtflug zurück nach Moskau. Lediglich die dagestanischen Spieler bleiben etwas länger. Sie haben noch einen Tag, um sich mit ihren Verwandten zu treffen.
Der Verein selbst begründet die Unterbringung des Anschi-Teams im zwei Flugstunden entfernten Moskau mit den äußeren Umständen. Die Infrastruktur von Machatschkala entspricht noch nicht den Anforderungen der hochkarätigen Mannschaft. Es gibt weder Trainingslager noch Spielplatz. In zwei bis drei Jahren aber, wenn alles das vorhanden ist, wird Anschi in jedem Fall in Machatschkala sesshaft werden. Die Frage, womit ein Samuel Eto’o sich dort die Abende vertreiben soll, beantworten die Fans der Wilden Division zunächst mit einem Lachen, räumen dann aber jegliche Bedenken aus dem Weg: „Wir werden uns schon etwas einfallen lassen.“
Die mit hoch dotierten Verträgen verpflichteten Anschi- Spieler kann man sich in der Tat nur schwer vorstellen in einer Republik, deren Durchschnittseinkommen russlandweit zu den niedrigsten zählen und in der die krassen Unterschiede im Lebensstandard mit den Händen zu greifen sind. Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass der Region das Image eines militärischen Krisengebietes der Russischen Föderation anhaftet. Die einheimische Bevölkerung steht der Frage, ob es gefährlich sei, hier zu leben, freilich sehr gelassen gegenüber. Als am Tag des Spieles Anschi – Spartak in Machatschkala im Zuge einer Anti-Terror-Operation zwei Rebellen getötet wurden, schien die Stadt davon nichts zu bemerken.
Der Mehrheit der jungen in ihren Heimatverein verliebten Dagestaner ist es vollkommen gleichgültig, ob Suleiman Karimow sein Geld aus tiefer Überzeugung in den Verein gesteckt hat oder letzterer ihm von oben aufgezwungen wurde. Für sie ist er ein großes Vorbild. Im Februar veröffentlichte die russische Ausgabe der Zeitschrift Forbes einen Artikel über den steinigen Lebensweg des Suleiman Karimow. Eines der Lokalblätter von Machatschkala druckte ihn ab. Nach Auffassung der Dagestaner ist Kerimow ein erfolgreicher Geschäftsmann, der in Russland reich wurde, während der Krise alles verlor, erneut bei Null anfangen musste und heute wieder in die Klasse der russischen Supermilliardäre aufgestiegen ist. Im Unterschied zu Roman Abramowitsch, dem Patron des FC Chelsea (mit dem Kerimow stets verglichen wird), hat der Präsident von Anschi Machatschkala zudem sein Geld in seiner Heimat gelassen.
Große Pläne
Vor Kerimow hatte Anschi nicht viel mehr als seine Spieler und einen Vereinsbus. Heute wird vor der Stadt das Stadion Chasar modernisiert, in ganz Dagestan sollen Vereinsgruppen für Kinder entstehen. Ein ambitioniertes Bauprojekt der Zukunft wird das Zentrum Anschi-City mit einem weiteren Hotel, Trainingsplätzen und einem neuen Stadion für über 40.000 Personen sein.
Über das Verhältnis der Spieler selbst zu Kerimow muss man nicht lange spekulieren. Nach den Worten des Spielers Machatsch Gadschijew erhöhte der neue Vereinspräsident die Gehälter der Spieler auf mindestens das Dreifache, stellte für Transfers sein Privatflugzeug zur Verfügung, zahlte die Unterbringung der Mannschaft in den teuersten Hotels der Welt, macht großzügige Geschenke und zeigt sich immer interessiert an Fragen, die das Team als Gruppe betreffen. Machatsch erwähnt einen sehr persönlichen Einsatz von Kerimow. Als dieser vor einigen Monaten erfuhr, dass Gadschijew gerade Vater wird, brachte er dessen Frau auf der besten Entbindungsstation Russlands unter und übernahm dafür alle Kosten. „Ein solches Verhältnis zu den Spielern besticht. Das ist ein große Seltenheit“, erklärt Gadschijew.
Aber das Leben geht einstweilen seinen gewohnten Gang: das neue Trainingslager ist noch nicht gebaut und die Fans sehen ihre Fußballgötter meist nur auf Plakaten.
Zu besichtigen gibt es auch noch das Vereinsgeschäft Anschi. „Die Leute schockt das natürlich: T-Shirts für 2100 Rubel“, erläutert der Manager des Geschäfts Eldar. Der Schrecken ist nicht unbegründet. Das Durchschnittseinkommen in der Region liegt beharrlich auf dem Niveau von 10.000 Rubel. Sich für ein Fünftel des Monatseinkommens schick zu machen, erlauben sich nur die wenigsten. Aber es gibt Alternativen: erschwingliche Halstücher, Mützen, Cappys.
Eldar ist einer der wenigen, die dank Anschi Karriere gemacht haben. Nachdem Suleiman Kerimow in den Verein eingestiegen ist, bekam er seinen Job als Manager. Die Frage nach seinem Gehalt beantwortet Eldar: „Das Geld ist gut, aber nichts mehr“. Geld zu verdienen ist in Machatschkala in der Tat schwierig und jeder schaut, wie er durchkommt.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Ogonjok.
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