Der russische Tourismusmarkt hat viel zu bieten. Foto: russiaturforum.com
Die Deutschen fahren nicht ausgesprochen gerne nach Russland. Vor drei Jahren kamen aus Deutschland gerade einmal 334.000 Touristen - warum auch sollten sie dorthin reisen? Der Moskauer Korrespondent einer großen deutschen Tageszeitung hat einmal in einem Interview erzählt: „Über Tourismus in Russland zu schreiben, ist eine schwierige Angelegenheit, ganz anders als über Tourismus in Italien! Was gibt es denn schon bei Euch? Moskau, Sankt Petersburg und Karelien?“
Deshalb führt die Föderale Tourismusagentur seit Anfang des vergangenen Jahres in verschiedenen Städten die Russian Tourism Roadshow durch, im Rahmen derer sich die russischen Regionen mit ihren Sehenswürdigkeiten, Hotels und – gezielt für potentielle Investoren – geplanten Tourismusobjekten vorstellen. „Unsere Aufgabe besteht darin, das Interesse an russischen Reisezielen auf dem deutschen Markt zu wecken“, erklärt Rostourismus-Chef Alexander Radkow.
„Wenn Sie zu uns zu Besuch kommen, werden Sie Snegurotschka sehen, die Tochter von Väterchen Frost. Sie wohnt in einer Hütte, in der ein Zimmer ganz und gar aus Eis besteht“, erzählt die Vertreterin der Verwaltung von Kostroma. Sie hält einen der Roadshow-Vorträge auf der Bühne des Russischen Hauses für Wissenschaft und Kultur in Berlin. „Außerdem gibt es bei uns auch noch eine Elch-Farm, auf der man die Heilwirkung der Milch dieser Tiere erproben kann. Herzlich willkommen nach Kostroma!“ schließt sie in nicht ganz perfektem Deutsch ihren Vortrag.
Sprache, Visa, Infrastruktur: Die Probleme bleiben
„Aber gibt es denn in den Hotels in Kostroma Auffahrtsrampen? Können Rollstuhlfahrer sich denn frei in der Stadt fortbewegen?“ ist die erste Frage der deutschen Gäste. Auffahrtsrampen, so stellt sich heraus, gibt es in einem einzigen Hotel. Aber man habe das Problem erkannt und arbeite bereits daran. Es werden auch andere „Minuspunkte“ des Tourismus in Russland angesprochen: hohe Preise für Hotelübernachtungen, die lange und unbequeme Anreise per Flugzeug, keine Übersetzung der Internetseiten russischer Museen ins Deutsche oder Englische, Probleme bei der Visabeschaffung. Es wird sogar erwähnt, dass die Russen selten lächelten, weshalb die Ausländer den Eindruck hätten, sie seien nicht willkommen.
„Wenn Sie uns im Mai besuchen, können Sie morgens im Meer baden, tagsüber die Skipisten herunterfahren und abends wieder das Meer genießen!“ beschreibt der Vertreter der Republik Dagestan seine Region. Da erhebt eine deutsche Journalistin die Hand, um eine Frage zu stellen. „Aber wir wissen doch schließlich alle, dass es im Nordkaukasus Unruhen gibt. Können Sie denn die Sicherheit der Touristen garantieren?“, will sie wissen. Es stellt sich heraus, dass Dagestan im vergangenen Jahr von 35.000 ausländischen Gästen besucht worden ist. Und keinem Einzigen von ihnen ist etwas zugestoßen. Mit Inguschetien verhält es sich ebenso. In die „Problemgebiete“ dieser Regionen würden die Touristen gar nicht erst herein gelassen, versichert man von russischer Seite.
Ja, es gibt Probleme. Der Flug dauert sehr lange. Aber liegt Kuba etwa näher? Die Hotels sind teuer. Doch sind sie in Stockholm preiswerter? Dafür ist Russland nicht von Touristen überlaufen, wie zum Beispiel Korsika oder Mallorca. „Wenn Sie zu uns kommen, werden Sie quasi zum Erstentdecker“, werben die Inguschen. Doch das kann man mit Fug und Recht auch von einem Dutzend anderer russischer Regionen behaupten.
Während der Mittagspause sieht Dieter Schaefer aus der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben sich aufmerksam die Reklameprospekte über Jakutien an. Auf die Frage „Warum sind Sie zur Russian Tourism Roadshow gekommen?“ kann er sich das Lachen nicht verkneifen. Im Prinzip weiß Herr Schaefer von Russland alles. Deshalb hat er Freunde zu der Präsentation mitgebracht. Damit diese sich mit dem ihm vertrauten Land näher bekannt machen können. Dieter Schaefer hat zwei Jahre in Russland gelebt und ist während dieser Zeit viel gereist. In Sotschi hat er seine zukünftige Frau kennengelernt. Doch kann er trotzdem nachvollziehen, warum die Deutschen Angst vor Russland haben und es vorziehen, ihren Urlaub auf den Kanarischen Inseln oder in Ägypten zu verbringen.
„Die Deutschen wissen nicht, was sie in Russland erwartet. Wie sie von den Menschen dort in Empfang genommen werden. Können sie, ohne die russische Sprache zu beherrschen zu müssen, selbstständig zu ihrem Hotel gelangen?“ erläutert er. „Ich würde in Russland nicht auf Massentourismus setzen, dafür ist dieses Marktsegment zu heiß umkämpft. Ich glaube, die Deutschen würde eher ein Sparten-Tourismus interessieren.“
Einer der von ihm mitgebrachten Freunde ist der Journalist Henning Schwannecke. Er ist mit hierher gekommen, um sich die Präsentation der russischen Regionen anzusehen und zu entscheiden, ob es sich lohnt, nach Russland zu fahren und Reiseberichte darüber zu schreiben oder doch lieber zu Hause zu bleiben. „Natürlich werde ich fahren!“, versichert Schwannecke. „Im Mai. Ich bin sehr erstaunt von dem, was ich hier gesehen habe. Das war sehr interessant. Leider sind heutzutage die Vorstellungen der Deutschen über Russland immer noch vor allem mit Politik verbunden. Wir hören die ganze Zeit nur von Erdöl, Gasprom und irgendwelchen Konflikten… Über andere Themen, darunter auch den Tourismus in Russland, wird bei uns nicht geredet.“
Negatives Image
Russlands unattraktives Image ist einer der Hauptgründe, warum die Touristen für ihren Urlaub fast immer andere Ziele auswählen. Dessen sind sich viele Experten sicher, darunter auch Alexander Radkow. „Das Image Russlands ist nicht adäquat und entspricht nicht immer der Wirklichkeit“, sagt er. „Es existiert diese Meinung, die noch aus den Zeiten des Kalten Kriegs stammt, dass Russland ein unbehagliches Land sei. Dass es nicht bereit dazu sei, Touristen aufzunehmen. Dass die Menschen dort unfreundlich seien. Und dass überall rundherum die Gefahr lauere. Deshalb erfolgt in der nächsten Zeit ein Re-Branding Russlands auf dem internationalen und dem einheimischen Tourismusmarkt. Es soll mehr über das Land berichtet werden, darunter auch in Deutschland. „Wir möchten die Mode wieder mehr auf Russland richten“, sagt Radkow.
Damit sich eine Mode herausbildet, müssen erst einmal Marken vorhanden sein. Davon gibt es gegenwärtig in Russland nicht all zu viele. Die bekanntesten sind der Kreml und der Rote Platz. Die Regionen fernab von Moskau haben es in dieser Beziehung viel schwerer. „Dabei sind wir und ihr gerade einmal sechzehn Eisenbahnstationen von einander entfernt!“, sagt der Vertreter Saratows. „Ihr könnt bei Euch in Berlin einsteigen und steigt bei uns auf dem Bahnhof wieder aus – ohne umzusteigen“. Die Deutschen waren ganz interessiert und haben sich Notizen gemacht. Später hat sich dann allerdings herausgestellt, dass man sich dafür im Zug 45 Stunden lang durchschütteln lassen muss. Aber ist das etwa wirklich ein Problem, wenn man nach Russland fährt?
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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