Russisch-deutsche Realsatire
Die Gitarre hängt lässig über der Schulter, die Lippen sind ganz nah am Mikro, die Finger sausen rasend schnell über das Minimischpult, aus einem Büchlein rezitiert er handschriftlich geschriebene Texte - ein paar Akkorde, zugespielte Audioclips, zwischendrin der Rücktritt von Wulff im Originalton. Alles muss passen. Alles ist auf den Bruchteil einer Sekunde abgestimmt.
„Der einzige nichttrinkende Russe der Welt ist zwar in Moskau geboren, aber er ist die größte Kartoffel, die du dir vorstellen kannst. Sauber, politisch korrekt, engagiert und an Fernreisen interessiert“, so stellt Nikita Gorbunov sich im Internet vor.
Kleiner Mitschnitt von "Tiergedicht" & "Tokio", gespielt beim 7PS Gig im Straßenbahnmuseum in Bad Cannstatt. Juli 2011.
Das, was der 28-Jährige auf der Bühne macht, ist schwer zu
beschreiben. Er ist ein russisch-deutscher Tontechnik-Hörspiel-
HipHop-Rapper-Poetry-Slam-Liedermacher aus Stuttgart und aus Moskau. Seine Themen: Alles, was junge Leute und ihn beschäftigt. In seinen Stücken fügt er zusammen, was definitiv nicht zusammengehört. An nicht wenigen Stellen seiner Show würde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein diskreter Piepton bei 800 Hertz zu hören sein. Provokationen des Publikums sind ein Markenzeichen des Moskowiters: „Ich bin doch nur unflätig. Ich habe Spaß an Schimpfwörtern. Manchmal rutscht mir so ein Wort wie … raus.“ Wieder ein Piepton bei 800 Hertz. „Aber ich finde nicht, dass ich Grenzen überschreite.“
Gelacht wird bei Gorbunovs Auftritten viel. Mancher Zuschauer schweigt aber bis zuletzt, ist irritiert, versucht zu verstehen, was da auf der Bühne eigentlich vor sich geht, was das eigentlich ist, was Gorbunov macht. Ob man Russe sein muss, um den auf Deutsch vorgetragenen Humor des Künstlers zu verstehen?
Da ist zum Beispiel die Geschichte von Frau Pfeifer. Sie wohnt am Stuttgarter Feuersee, ist schon ziemlich alt, schrullig, ohne Familie und Freunde. Der demografische Wandel lässt grüßen, der Pflegenotstand auch. In Gorbunovs Geschichte beschäftigt Frau Pfeifer einen Pflegeroboter. „Sie sitzen nun schon anderthalb Stunden in Ihrem Rollstuhl, Frau Pfeifer“, sagt der Pflegeroboter mit blecherner vorproduzierter Computerstimme. „Sie müssen einen Spaziergang machen, Frau Pfeifer.“ Die Geschichte ist surreal und mit einer großen Portion schwarzem Humor gespickt. Auch als die alte Dame schließlich tot aus dem Haus getragen wird, wiederholt der Roboter hartnäckig sein Kommando: „Sie haben sich nun schon 83,5 Stunden nicht bewegt. Sie müssen einen Spaziergang machen, Frau Pfeifer.“ Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
„Weil alle gegangen sind“
Nikita Olegowitsch Gorbunov: geboren 1983 in Moskau, Urenkel des aus der Sowjetunion ausgebürgerten und 1997 in Köln verstorbenen Regimekritikers Lew Kopelew, Nachfahre des Malers Igor Grabar, im Alter von sieben Jahren nach Deutschland ausgewandert. Warum? „Weil alle gegangen sind.“ Noch am Flughafen dachte der kleine Nikita, es gehe in den Urlaub. Das Urlaubsziel wurde zur neuen Heimat,
Aachen, Freiburg und Stuttgart zu Stationen seiner Familie. Brüche in der Biografie gehören auch dazu. „Meine Leute waren nicht gerade systemkonform“, sagt Gorbunov: „Aber ich glaube nicht, dass sich so etwas vererbt.“
Deutsch spricht er absolut akzentfrei, Russisch auch nicht schlechter. Manchmal fällt ihm ein
russisches Wort nicht ein, im Russischen gibt es ja sehr viel mehr Wörter als im Deutschen. Was wäre, wenn er seine Show auf
Russisch machen würde? „Ich denke, Humor ist universell. Vergleiche zwischen deutschem, englischem und russischem Humor sind unpassende Gedankenschablonen“, sagt der gelernte Tontechniker. Auch mit dem Begriff
der Mentalität, der gerade in Russland so oft bemüht wird, kann er nur wenig anfangen, mit Fragen nach seiner Ethnie oder Identität schon gar nicht. Cogito ergo sum Gorbunov.
Zu Hause humorlos
„Zu Hause bin ich übrigens ziemlich humorlos“, sagt der Vater einer dreijährigen Tochter, der seine Brötchen hauptsächlich in der Poetry-Slam-Szene und Jugendkulturarbeit verdient. Er kämpft um Gelder aus öffentlichen Programmen, zum Beispiel für seine Projekte mit jungen Migranten an Stuttgarter Schulen. „Wie die Programme alle heißen“, lacht er, „das ist eh schon Kabarett: ‚Literatur 2.0‘, ‚Les.bar‘, ‚Bleib-am-Ball‘. Ich bin ein Freier-Träger-Apparatschik“, neudeutsch: Fundraiser. Zur Frage nach seinen Hobbys, nach seinen Leidenschaften jenseits seiner Minihörspiel-Poetry-Slam-Nummer: „Ich mach sonst nichts. Es tut mir leid, dass ich so lebe“, antwortet er lachend.
Und mal wieder ist sein Humor für den Deutschen ohne russisches Genom nicht so ganz begreiflich. Echt wolle er sein, nicht so wie manch andere Kabarettisten: „Die müssen zum Teil ein zu großes Publikum bedienen. Da machen die nur seichten Humor und spielen eine Kunstfigur. Ich will authentisch sein.“ Auch oder gerade besonders, wenn er nur vor ein paar Dutzend Menschen spielt. Die ganz große Publicity, das große Geld, das ist nicht das, was Gorbunov antreibt. Die erste CD spielt er gerade erst ein, auf Facebook hat er noch keine Fanseite und ans Telefon geht kein Manager, sondern er selbst. Etwa zehn Auftritte pro Monat macht er, eine kleine Fangemeinde reist ihm hinterher. Und einen guten Namen in der Szene hat er sowieso. Die Größe der Bühne spielt keine Rolle. „Ich mach es auch gerne auf der Couch“, sagt er. Und lacht.
Prof. Dr. Michael C. Hermann ist Journalist und Medien-
wissenschaftler. Er lebt in Stuttgart.
Interview mit Gorbunov
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