russische Milliardär und Ex-Präsidentschaftskandidat Michail Prochorow. Foto: mdp2012.ru
Prochorow, der bei der Präsidentschaftswahl am 4. März überraschend auf den dritten Platz gelandet war, kündigte danach die Bildung einer „prinzipiell neuen Netzpartei“ an, „die es im Land noch nie gegeben hat.“ Danach folgten jedoch keine neuen Informationen über seine Pläne als Politiker. Ende April berichteten einige Medien, dass Prochorow auf die Gründung der Partei verzichten und eine Bürgerbewegung ins Leben rufen könnte.
Der Pressedienst Prochorows gibt zu diesem Thema keine Kommentare ab, mit der Begründung, dass „keine Informationen dieser Art vorhanden sind.“
Zwei Monate Funkstille
Experten sind überzeugt, dass Prochorow unmittelbar nach der Präsidentenwahl gute Chancen für die Gründung einer Partei hatte, die von vielen Russen unterstützt worden wäre. „Direkt nach der Präsidentenwahl wurde einiges von ihm erwartet, denn der politische Stern Prochorows stieg sehr hoch und leuchtete sehr hell“, so der Politologe Wladimir Slatinow.
Der Milliardär habe am 4. März „einen kolossalen Vertrauenskredit von der Mittelklasse und den so genannten „bösen Stadteinwohnern“ erhalten“, so der Experte. Er hätte einer der führenden Köpfe dieser Gesellschaftsschicht werden können. „Herr Prochorow hat dieses politische Kapital innerhalb von nur zwei Monaten komplett vernichtet. Er ist in dieser Zeit einfach abgetaucht“, stellte Slatinow fest.
Prochorow, der Ende 2011 und Anfang 2012 an den Massenaktionen „Für faire Wahlen“ teilgenommen hatte, äußerte sich erst am 11. Mai zu den Protesten vor und nach der Amtseinführung Wladimir Putins. Dabei rief er auf, „die Ruhe in den Köpfen und in den Städten wiederherzustellen“ und nicht nach Feinden unter eigenen Mitbürgern zu suchen.
Am 6. Mai hatte in Moskau der von der Opposition organisierte „Marsch der Millionen“ stattgefunden, der mit Auseinandersetzungen zwischen Protestlern und Polizisten endete. Seit der vorigen Woche organisieren die Oppositionellen so genannte „Volksfeste“, bei denen es auch zu etlichen Festnahmen kommt.
„Das war eine merkwürdige und viel zu friedliche Aussage“, sagte Slatinow zu dem Aufruf Prochorows. „Das war eine Art Versuch, sich aus dem Schützengraben zu erheben, der aber zu spät kam.“ Prochorow habe zwei Monate lang geschwiegen: Der Vertrauenskredit der Mitbürger sei aufgebraucht, stellte der Experte fest.
Gefährliche Vorsicht
Der Politologe Valeri Chomjakow stimmte zu, dass Prochorow keine Zeit verlieren und von seinem politischen Potenzial profitieren sollte. Der Milliardär sollte eine Partei gründen. „Das ist normal für jeden Politiker. Eine Person, die bei einer Präsidentschaftswahl es auf den dritten Platz schaffte, ist stark genug. Herr Prochorow verhält sich aber aus unklaren Gründen zu vorsichtig. Meines Erachtens ist das kaum gerechtfertigt“, so der Experte.
Auch sein Kollege Dmitri Orlow verwies auf den „Zeitfaktor, der gegen Prochorow wirkt.“ „Seit der Präsidentenwahl ist ziemlich viel Zeit vergangen, und es besteht die Gefahr, dass Prochorows Erfolg vergessen wird. Er ist doch nicht Putin. Prochorow war nur wenige Monate in der Politik aktiv. Sollte er im Laufe eines halben Jahres nicht in Erscheinung treten und sein Projekt vernachlässigen, dann könnten seine Mitbürger gewisse Fragen haben.“ Deshalb wäre es naheliegend, sofort eine eigene Partei zu gründen. „Prochorows Bekanntheitsgrad und sein Erfolg bei der Präsidentschaftswahl sind Kapital, das sich in kurzer Zeit auflösen kann“, warnte Orlow.
„Diese Verzögerung wird meines Erachtens negative Folgen für Prochorows politische Karriere haben“, stimmte Chomjakow zu. „Er sollte schnell und entschlossen handeln. Die Verzögerung könnte für ihn den politischen Tod bedeuten.“
Frage der Selbstständigkeit
Prochorows Schweigen löst große Zweifel an seiner politischen Selbstständigkeit, finden die Experten. Während des Wahlkampfes hatte Prochorow immer wieder unterstrichen, dass er die Entscheidung, in die Politik zu gehen, selbst getroffen hätte, ohne sich im Präsidialamt oder im Regierungsapparat beraten zu lassen.
„Prochorows politische Karriere entwickelt sich eigenartig. Es kursieren Gerüchte, dass er politisch keine selbstständige Figur ist“, so Valeri Chomjakow weiter. „Wenn das aber so ist, dann ist er uninteressant für seine Wähler.“ Wladimir Slatinow vermutete seinerseits, dass der Milliardär vergeblich „auf ein klares Signal aus dem Kreml gewartet hatte und sich dann aus der Politik verabschiedet hat.“
„Her Prochorow war leider nur ein klassischer Sparringpartner, der für die städtische Mittelklasse interessant sein sollte, um deren Proteste zu mäßigen. Unmittelbar nach der Wahl wurde dieses Projekt vom Kreml auf Eis gelegt. Was Prochorow selbst angeht, so hatte er keine Kraft oder auch keinen Mut, um seinen politischen Weg weiter zu gehen“, ergänzte der Experte.
Pawel Swjatenkow hat nach seinen Worten auch den Eindruck, dass Prochorow von gewissen Kräften beauftragt worden war, ins Wahlrennen einzusteigen.
Prochorows Perspektiven
Zur politischen Zukunft des Milliardärs sagte Experte Slatinow, Prochorow habe seine Chance bereits versäumt. „Er hat das Vertrauen verloren. Die Mehrheit der „bösen Stadteinwohner“ glaubt ihm nicht mehr.“
Dmitri Orlow ist dagegen nicht so pessimistisch: „Die Gesellschaft braucht nach wie vor eine rechte Kraft, und Prochorow ist immer noch in der Lage, diesen Bedarf zu befriedigen.“ „Laut Studien hat er zwar vorerst keine fünf Prozent, aber 2016 könnte er diese Wahlhürde überwinden und eine wichtige Rolle in der Exekutive spielen“, ergänzte er.
Das größte Hindernis sind „die großen Kontroversen unter den Anhängern Prochorows und seine eigenen Zweifel“.„Diese Zweifel muss er überwinden. Wenn er ein großes Spiel plant, dann sollte er es selbst in die Hand nehmen. Die Erwartungen spielen eindeutig gegen ihn“, fuhr der Experte fort.
Swjatenkow findet aber, dass die Tatsache, dass Prochorow seine Partei immer noch nicht gebildet hat, kein Zufall sei. „Ich habe den Eindruck, dass Michail Prochorow der Politik eher fremd ist, dass er kein Interesse an einer Tätigkeit in der Öffentlichkeit hat. Möglicherweise wäre ein hoher Posten attraktiv für ihn, aber er hat offenbar keine Lust, ein Parteiboss zu sein, an Oppositionsaktionen teilzunehmen usw.“
Swjatenkow vermutete, dass Prochorow „entweder die Politik endgültig verlässt oder ein hohes Amt im Staatsdienst anstreben wird.“ Der Milliardär scheine die Parteiaktivitäten „für kein ausreichendes Instrument zur Umsetzung eines solchen Konzeptes zu halten“, schlussfolgerte er.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei RIA Novosti
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