Wladimir Putin - ein Brand in der Politik. Foto: kremlin.ru
Vor dem Hintergrund zunehmender konzeptioneller Unsicherheiten, moralischer Relativität und allgemeiner Zukunftsängste regte sich in den zerfallenen und orientierungslosen Staaten das Bedürfnis nach starken Führungspersönlichkeiten. Man sehnte sich nach Leadern, die ihren Kurs entschieden, ohne Rücksicht auf hemmende Konventionen verfolgen und dem Land so Stabilität verleihen. In einer etablierten Demokratie ist so etwas praktisch unmöglich. Auch wenn im Westen über die verheerende Ineffizienz der demokratischen Herrschaftsform lamentiert wird. Gesellschaften im Übergang tolerieren dagegen starke Persönlichkeiten, weil die staatlichen Institutionen, die die persönliche Macht eines Einzelnen beschränken, noch nicht fest etabliert sind. Dafür herrscht ein unerschütterlicher Glaube an schnelle und relativ einfache Lösungen.
In kleineren, abhängigen Ländern kann so ein Einzelherrscher zum gesetzlosen Diktator tendieren (wie in Belarus) oder zum "Enfant terrible" auflaufen (wie in Ungarn). Etwas völlig anderes ist die Rolle einer Führungspersönlichkeit einer Großmacht mit gewaltigem Rohstoff- und Nuklearpotential, die definitiv eine führende Rolle in der Weltpolitik spielt. Jetzt kommt das Phänomen Wladimir Putin ins Spiel.
Die Welt nimmt die Führungspersönlichkeit Putin selbst als einen stärkeren und einflussreicheren Faktor wahr als das Land, an dessen Spitze er steht. Schrumpfender „Ölstaat“ und dahinsiechende "Kleptokratie" – diese Bilder von Russland sind im Westen weit verbreitet, doch der russische Staatschef wird nicht derselben Kategorie der Diktatoren zugeordnet wie ein Mobutu in Zaire oder ein Mugabe in Simbabwe, so sehr dies der Opposition in Russland auch in den Kram passen würde.
Wladimir Putin gilt als konzilianter und raffinierter Politiker. Weil er es versteht, seine Ziele auch gegen Widerstände erfolgreich durchzusetzen, wird er geachtet, bewundert und - auch als gefährlich eingestuft. Dafür wird Putin in den Massenmedien des Westens dämonisiert, weil er etwas tut, was sich westliche Staats- und Regierungschefs aufgrund der institutionellen Rahmenbedingungen nicht leisten können.
Wladimir Putin gibt sich betont antiideologisch. Dadurch ist es ihm möglich, seinen politischen Kurs schnell zu ändern, wenn ihm das opportun erscheint. Putin missachtet bei Bedarf die althergebrachten Spielregeln politischer Korrektheit, was ihm erlaubt, direkt und unmissverständlich seine Prioritäten zu setzen. Die starke Fokussierung auf die Souveränität Russlands und seine Person ermöglicht ihm ein außerordentlich schnelles und flexibles Agieren auf der Bühne der internationalen Politik. Hier kommt Russland zugute, dass es eines der wenigen Länder ist, die nicht durch Verpflichtungen im Rahmen einer Allianz gebunden sind und deshalb Handlungsspielräume haben. Zugleich verfügt das Land über die gebührende Macht und den Einfluss, um diese Freiräume auch auszunutzen. Wladimir Putin demonstriert eine Realpolitik, bei der das Kräfteverhältnis den Ausschlag gibt. Nicht Absichten, sondern Machtkalkül und Potenziale zählen.
Last but not least wird Wladimir Putin im Ausland als uneingeschränkter Herr wahrgenommen, der in Russland schalten und walten lassen kann, wie ihm beliebt. Genau das steht westlichen Staats- und Regierungschefs nicht zu Gebote. Sie sind Gefangene der jeweiligen Parteiideologie, der militärischen Allianzen und ökonomischen Vertragswerke. Sie sind gezwungen, ihre politischen Absichten in eine propagandistische Hülle zu verpacken. Außerdem sind sie abhängig von staatlichen Gewalten, der öffentlichen Meinung, den Wählern oder verschiedenen Interessengruppen ab.
Wladimir Putin wuchert mit einem weiteren Pfand: Er besitzt das Image eines Politikers, der sich dem amerikanischen Hegemonieanspruch entgegenzustellen und eine multipolare Welt zu befördern vermag. Diesem Bild liegt weniger die objektive Realität zugrunde (in der Praxis kann sich Russland eher keine Konfrontation mit den USA leisten), als viel mehr die offensiv zur Schau getragene Willensstärke Putins und seine erfolgreiche Kommunikationsstrategie. Beiden Faktoren ist zu verdanken, dass Russland in der ehemaligen „dritten Welt“ einschließlich - Chinas und Indien - noch immer den Rest einer Reputation als Gegengewicht zu Amerika genießt. Und das, obwohl in Wirklichkeit bestimmt Peking diese Funktion besser ausüben könnte.
Die ambivalente Popularität, die Wladimir Putin weltweit genießt, zeugt von der immer noch herrschenden Konfusion und Ratlosigkeit. Ein Gemisch aus Furcht vor demjenigen, der im allgemeinen Durcheinander Handlungsfähigkeit an den Tag legt, und der vagen Hoffnung, dass gerade dieser Typus des Alpha- Männchens Ordnung und Stabilität in die verworrene Lage bringt.
Wird Wladimir Putin dieses Image und folglich auch sein Gewicht in der internationalen Arena auch über eine dritte Amtszeit hinweg aufrechterhalten können? Was könnte passieren?
Ein Abgleiten in Richtung Diktatur nach dem Muster Alexander Lukaschenkos in Weißrussland würde Putin zu einem gewöhnlichen Autokraten machen. Derartige Herrscher verlieren zuerst die adäquate Wahrnehmung der Realität und irgendwann auch ihre Macht. Eine Hinwendung zu größerer Liberalisierung würde dagegen das Flair des mächtigen Führers zerstören, der auf alle Fragen die Antworten weiß und sämtliche Prozesse im Lande beherrscht. Wladimir Putin steht also in den nächsten Jahren eine schwierige Gratwanderung bevor. Strauchelt er, wird so mancher – innerhalb wie außerhalb Russlands – nur allzu gerne den ersten Stein werfen. Doch Putin ist eine Marke in der Politik. Es besteht kein Anlass zu zweifeln, dass er seinen Weg unbeirrt fortsetzt.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Gazeta.ru
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