Familien gründen ihr eigenes Dorf

Das Bauprojekt der Familie Dobryntschenko. Foto: Facebook-Gruppe

Das Bauprojekt der Familie Dobryntschenko. Foto: Facebook-Gruppe

Eine Gruppe von Moskauern baut unweit der Hauptstadt eine energieeffiziente Siedlung mit Kindergarten und Schule. Ganz autark soll das Dorf jedoch nicht werden.

Im Winter 2011 bekamen Daniil und Nina Dobryntschenko ihren vierten Sohn. Das war es, was das Ehepaar endgültig überzeugte, ihren lang gehegten Traum zu realisieren: aus dem Großstadtmoloch wegzuziehen und näher an der Natur zu leben.

Doch die bestehenden Datschadörfer und „ökologisch saubere“ Siedlungen haben den Dobryntschenkos allesamt nicht zugesagt, und da haben sie kurzerhand beschlossen, selbst eine Siedlung zu gründen, die all ihren Anforderungen genügen würde: Nah genug an Moskau, energieeffiziente Häuser, keine hohen Zäune, anständige Nachbarn, eine gute Schule und ein Kindergarten.

„Wir wollen Moskau nicht vollständig den Rücken kehren“

 

„Wir sind erwachsene Menschen, haben schon mehrere Kinder und haben auch beruflich etwas erreicht. Und nun möchten wir mit vereinten Kräften ein Projekt realisieren, das für uns alle interessant ist“, sagt Nina Dobryntschenko.

Ihr Mann Daniil hatte auf Facebook eine Gruppe gegründet, in der er sein Vorhaben öffentlich machte, worauf er umgehend eine „riesige Anzahl“ Rückmeldungen von Interessenten bekam. Die meisten dieser Leute wünschten sich ein Leben weitab von Moskau, um als Selbstversorger im Einklang mit der Natur zu leben, doch diesen musste Daniil eine Absage erteilen. „Es gibt bereits solche ökologischen Siedlungen, in die Sonderlinge ziehen, die sich in der Stadt nicht zurechtfinden können. Unser Konzept unterscheidet sich jedoch grundlegend davon. Wir wollen keinen Bruch mit Moskau vollziehen, weil wir dort arbeiten und diese Stadt uns ernährt“, sagt Daniil.

So sehen die Bauarbeiten heute aus.


Eine zentrale Aufgabe sehen die Dobryntschenkos in der Gewährleistung einer vollwertigen Infrastruktur für Kinder. Sowohl ein Kindergarten als auch eine vollwertige Schule sollen gebaut werden. „In den bestehenden Einfamilienhaus-Siedlungen gibt es manchmal zwar schon Schulen, aber in der Unterrichtsqualität hinken sie den Moskauer Schulen hinterher. Die Kinder jeden Tag in die Stadt zu fahren ist auch keine langfristig akzeptable Lösung - die Menschen würden einfach wieder in der Stadt sesshaft werden und das neue Zuhause würde zum Wochenendhaus verkommen“, sagt Nina.

Für die neue Schule sollen deshalb Lehrer aus Moskau angeheuert werden, für die eigens Mietwohnungen gebaut werden sollen. Um ein gutes Bildungsniveau zu gewährleisten, steht Nina bereits jetzt mit Preisträgern des Skolkowo-Wettbewerbs für Schul- und Vorschulbildungskonzepte in Kontakt.

Energieeffizienz

 

Nina und Daniil Dobryntschenko wollen im neuen Dorf möglichst energieeffiziente Häuser bauen. Für die Heizung wird momentan ein System mit Holzpellets in Betracht gezogen. Das Wasser soll aus einem noch auszuhebenden Grundwasserbrunnen gepumpt und durch Sonnenkollektoren aufgeheizt werden. In der kalten Jahreszeit kann das Wasser zusätzlich mit der Pelletheizung auf die nötige Temperatur gebracht werden.

„Die Elektrizitätsversorgung ist das größte Planungsproblem. Um das Problem ökologisch zu lösen, bietet das Moskauer Klima zu wenig Sonne für Sonnenkollektoren und zu Wenig Wind für Windräder“, so Daniil. Den einzigen Ausweg sieht er in der Kombination mehrerer Energiequellen und fügt hinzu, dass Gas zwar die einfachste Lösung des Elektrizitäts- und Heizungsproblems wäre, ein Anschluss jedoch sehr kostenintensiv ist.

Doch noch gibt es keine endgültige Auswahl der zahlreichen zur Verfügung stehenden Technologien. „Im Internet gibt es so viel zu lesen über die Erfahrungen mit Ökosiedlungen in Ländern mit einem ähnlich sonnenarmen Klima wie Russland, zum Beispiel England, Dänemark oder Argentinien. Wir planen, professionelle Experten heranzuziehen“, so Daniil.

Ein kinderreiches Dorf

 

Gemäß dem aktuellen Plan wird das energieeffiziente Dorf 200 Häuser umfassen. Zusammen mit den Dobryntschenkos arbeiten jetzt zehn Familien aktiv an der Planung mit und werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch darin leben. Weitere 30 Familien sind bereit, ihre Moskauer Wohnungen zu verkaufen, um ein fertiggestelltes Haus in der neuen Siedlung zu kaufen oder darauf ein Grundstück zu erwerben und eine Bleibe nach eigenen Wünschen zu errichten. Die meisten dieser Familien haben mehrere Kinder.

„Ich wollte schon lange aus der Stadt wegziehen, suchte nach einem passenden Grundstück, nahm Kontakt mit Vertretern bereits existierender Ökosiedlungen auf“, erzählt Pjotr Sokolan, der als Bademeister arbeitet und sich vor kurzem der Initiative der Dobryntschenkos angeschlossen hat. Das Hauptproblem der anderen Siedlungen war für Sokolan die große Entfernung von Moskau. Der Umzug dorthin wäre mit dem Job in Moskau unvereinbar und würde den Verlust der aktuellen Existenzgrundlage bedeuten. „Vor ein paar Tagen bin ich zum vierten Mal Vater geworden. Ich trage eine Verantwortung gegenüber meinen Kindern, und die Variante des Eigenbrötlerlebens weitab von der Zivilisation kommt für mich nicht in Frage“, erzählt Sokolan.

Gemäß Igor Baschmakow, Direktor des Zentrums für effiziente Energienutzung, gibt es in vielen europäischen Staaten Förderprogramme für den Bau experimenteller energieeffizienter Siedlungen, während man in Russland vorerst nur davon träumen kann. Baschmakow betont, dass energieeffiziente Siedlungen auch für den russischen Staat ein Gewinn wären: Dank ihnen kann man beispielsweise Gas sparen, das dann für den Export – zu massiv höheren Preisen – zur Verfügung steht.

Dieser Artikel erschien zuerst bei der Tageszeitung Moskowskije Nowosti.

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