Europa in der Krise

Der Euro muss vorsichtig sein. Bild: Niyaz Karim

Der Euro muss vorsichtig sein. Bild: Niyaz Karim

Russische Experten bewerten die schwierige Situation in Griechenland. Während die Analysen zu einer möglichen Lösung sehr unterschiedlich ausfallen, steht fest: Europa steckt in einer schweren Krise, wobei Griechenland nur der Anfang ist.

Wie schafft es Europa aus der Krise?

Wie schafft es Europa aus der Krise? Da gibt es einerseits sehr radikale Ansätze, wie zum Beispiel den des russischen Publizisten Michail Leontjews. Der ist sich sicher, dass “Europa in der gegenwärtigen Form keine Überlebenschancen hat”. Auch der Wirtschaftsexperte Michail Chasin glaubt, dass “das Entwicklungsmodell, auf dem das euroatlantische System basiert, sein Leben aushaucht”. Der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew sieht die Situation dagegen etwas positiver: “Europa wird gerettet werden”, äußerte er sich auf dem G8-Gipfeltreffen.

Seit über zwei Jahren schon befindet sich Griechenland mit seinen Finanzproblemen im Fokus der weltweiten Aufmerksamkeit. Seither hat eine Reihe von Analytikern versucht, das wirtschaftliche Unvermögen, die Verschwendungssucht und den unpassenden Lebensstil der “faulen Griechen” nachzuweisen. Es gab Versuche, das launische Land zu retten – im Sommer 2010 wurden die ersten mehr als einhundert Milliarden Euro überwiesen, doch die erhoffte Wirkung blieb aus.

Vasallenvertrag

Der zweite Versuch erfolgte im Dezember 2011. Den griechischen Politikern wurde im Austausch für eine fünfzigprozentige Schuldenabschreibung und weitere finanzielle Unterstützungen in Höhe von 130 Milliarden Euro Bedingungen diktiert, die man nur als Vasallenvertrag bezeichnen kann. Seit über zwei Jahren baut Athen auf Druck der Gläubiger das Sozialsystem ab: Lohnsenkungen von 35 – 40 – 50 %; eine Arbeitslosenquote (nach offiziellen Angaben) von 22 % als Ergebnis der massenhaften Stellenkürzungen (nach inoffiziellen Angaben liegt die Quote deutlich höher). Und das Tragischste: Die Zahl der Selbstmorde in Griechenland stieg im Jahre 2011 rasant an und erreichte eine Zahl von mehreren Tausend Menschen.

Die harte Politik des “Gürtelengerschnallens” ohne gleichzeitiges Stimulieren der Wirtschaft führt Griechenland - und in Folge auch ganz Europa - in die Sackgasse. “Griechenland war das erste Land, in dem das neoliberale euroatlantische Modell gescheitert ist”, glaubt Michail Chasin.

Angela Merkel und deren Wirtschaftselite hingegen wiederholen gleich einer buddhistischen Gebetsmühle, dass die Griechen verpflichtet sind, die von ihnen übernommenen – oder besser gesagt: die ihnen von außen aufgezwungenen – Haushaltsverpflichtungen auf das Strengste einzuhalten. Doch bereits in ganz Europa, ja sogar auf dem G8-Gipfeltreffen, werden Stimmen laut, die dieser Position widersprechen und denen zufolge es unmöglich ist, diese Verpflichtungen ohne ein Wirtschaftswachstum einzuhalten.

Einige sind mit dem Vorschlag vorgeprescht, Griechenland aus der Eurozone zu entlassen. Aber, so behauptet M. Leontjew, “die unmittelbaren Verluste eines solchen Ausstiegs aus Europa betragen 300 Milliarden Euro, wobei das Schicksal Griechenlands selbst dabei noch vollkommen ungelöst ist”. Schließlich wird es auch einen mittelbaren Schaden geben, zum Beispiel durch den Vertrauensverlust, die drastische Verteuerung der Kredite und deren weniger freizügige Vergabe. Dieser Weg, so glauben die Vertreter dieses Standpunktes, führe in den Abgrund.

Griechenland als Testballon neoliberaler Politik

Griechenland als Testballon neoliberaler Politik

Der 37-jährige Führer der griechischen Linkspartei Alexis Zipras, dessen politischer Stern im Zuge der vielfältigen Proteste gegen die Zerstörung des Sozialsystems im Lande aufgegangen ist, behauptet, dass “Griechenland der Übungsplatz für die Realisierung der Politik des Gürtelengerschnallens ist. Sollte dieses Experiment  in Griechenland erfolgreich verlaufen, wird es weiter in ganz Europa fortgeführt werden”. Die Wahlen in Griechenland am 6. Mai haben gezeigt, dass das griechische Volk die führenden Parteien abgestraft und somit faktisch das Zwei-Parteien-System zerschlagen hat, das bis dahin nahezu vierzig Jahre existierte.

Alexander Baunow, der das griechische politische System von innen kennt, glaubt, dass für den Absturz der PASOK und der Nea Demokratia bei den jüngsten Wahlen (und es wird angenommen, dass das Bild sich für diese beiden Parteien bei den Neuwahlen am 17. Juni nicht verbessern wird) “Brüssel, die Hauptverantwortung trägt, da die EU darauf bestand, dass die beiden großen Parteien in ihren Programmen keine Möglichkeit haben, von der Politik des Gürtelengerschnallens abzuweichen”.

Die politischen Prozesse in Griechenland gleichen in den letzten Monaten denen, die auch in Frankreich, Italien und Spanien ablaufen. “Die rapide Verschlechterung des Lebensstandards der Bevölkerung führt nicht einfach nur zu sozialen Protesten, sondern auch zur Abschaffung des Sozialstaates in der Form, in der er in den Sechzigerjahren geschaffen wurde”, unterstreicht Michail Chasin. “Damit all dies nicht zur Katastrophe führt, müssen die politischen Eliten, die Europa in die Sackgasse geführt haben, abtreten und das ökonomische Modell verändert werden”.

Da Griechenland sich als das schwächste Glied in dieser Kette erwiesen hat, hat es auch die größte Bürde zu tragen: Bis zum Schluss für das Recht auf eine Alternative zu kämpfen.

Bereits jetzt schon beharren die obersten Eurobeamten darauf, dass nach dem 17. Juni  Griechenland entweder alle Verpflichtungen erfüllen oder aber die Eurozone verlassen werden muss. Eine dreistere Erpressung kann man sich kaum vorstellen!

Der ehemalige Präsidentenberater und jetzige Vize-Ministerpräsident Russlands Arkadij Dworkowitsch bemerkte, dass “der Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone ein schlechtes Szenario ist. Griechenland sollte in der Eurozone verbleiben, allerdings eine verantwortungsvolle Politik führen”.

Russland, dessen Außenhandel zu faktisch 50 % mit der Europäischen Union realisiert wird und das einen Großteil seiner Staatsreserven in Euro hält, ist an einem stabilen Europa interessiert. Diese Position sollte die Führung der Europäischen Union nicht ignorieren.

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