Kabinettsneubildung, doch die Macht verbleibt im Kreml. Foto: ITAR-TASS
Wladimir Putin: „Wie viele neue Gesichter haben wir? Ich denke, die Zusammensetzung hat sich zu 75 Prozent geändert ...“
Dmitri Medwedjew: „Ich habe mal überschlagen, dass drei Viertel der Regierung aus neuen Leuten besteht, die erst seit Kurzem in der Politik sind oder zum ersten Mal der Regierung angehören.“
Diese Bälle warfen sich Präsident Putin und Premierminister Medwedjew Mitte Mai im russischen Fernsehen zu. Ihre Botschaft: alles neu. Wer genauer hinschaut, erkennt allerdings: Die Regierung ist zwar außerordentlich jung, der jüngste Minister (für Telekommunikation) Nikolaj Nikiforow ist gerade einmal 29 Jahre alt, aber nur bedingt neu - sechs der Minister waren zuvor Vizeminister. Hinzu kommt, dass die neuen Minister ausgewiesene Fachleute sind, aber über wenig politische Erfahrung verfügen: Medwedjew hat eine Regierung der Manager um sich versammelt.
Russische Experten betonen deshalb das geringe politische Gewicht des neuen Kabinetts: „Das ist keine Regierung für einen Durchbruch, sondern eine technische. Und ich habe große Zweifel, dass sie adäquat auf jene Herausforderungen antworten kann, vor denen Russland heute steht“, ätzte Alexej Kudrin, langjähriger Finanzminister, der im letzten Herbst zurücktreten musste. Als „technisch“ wurden jene Regierungen bezeichnet, die Putin während seiner beiden ersten Amtszeiten dazu dienten, seine strategischen Pläne durchzusetzen.
Umgeben wird Premierminister Medwedjew von sechs Vizepremiers, darunter mehrere Vertraute aus seiner Zeit im Kreml wie der liberale Arkadi Dworkowitsch oder der „Chefideologe“ Wladislaw Surkow. Dass es ihm gelungen ist, einige Positionen mit „seinen“ Leuten zu besetzen, wird als Beleg dafür gewertet, dass Medwedjew immerhin ein gewisses politisches Gewicht hat.
Putin behält die Kontrolle
Die vielleicht wichtigste Auswechslung in der Regierung ist die von Raschid Nurgalijew. Der Innenminister stand mehr als alle anderen in der Kritik, weil immer wieder Korruptionsskandale und Übergriffe von Polizisten öffentlich wurden. Da auch die groß angekündigte Polizeireform nichts Substanzielles geändert hat, wird Nurgalijews Posten nun Wladimir Kolokolzew übernehmen. Dieser war bis dato Polizeichef von Moskau und hat es über die letzten Jahre geschafft, selbst unter Oppositionellen ein gewisses Maß an Vertrauen aufzubauen.
Einige politische Schwergewichte sind auf ihren Posten geblieben, darunter Außenminister Sergej Lawrow. Dass die Minister für Finanzen und Rüstung nicht ausgewechselt wurden, stärkt Beobachtern zufolge die
Position Putins. „Er hat damit
die Kontrolle über die machtausübenden Strukturen und den
finanziellen Block der Regierung
behalten“, erklärt Politologe Igor Bunin. „Diese Leute erlauben
es ihm, von innen heraus die
wichtigen Regierungsentscheidungen zu beeinflussen, besonders die wirtschaftlichen.“
Der einzige neue Minister, dessen Ernennung Unverständnis, bei manchen sogar Ärger hervorruft, ist jener für Kultur. Wladimir Me-dinskij ist eine der wichtigsten
Figuren der Kremlpartei Einiges Russland. Er verdiente in den letzten Jahren Millionen mit populärwissenschaftlichen und patriotischen Büchern über russische Geschichte. Das Magazin Russkij Reporter sieht in seiner Ernennung gar einen „Racheakt“ Putins an der künstlerisch-intellektuellen Elite des Landes: Besonders die war in den vergangenen Monaten gegen ihn auf die Straße gegangen.
Jeder bekommt sein Pöstchen
Eine Besonderheit des politischen Systems in Russland ist es, dass der Präsident mit der Kremlverwaltung über eine Struktur verfügt, die sich formell zwar nur aus Beratern und Assistenten zusammensetzt, aber aufgrund ihrer Nähe zum Präsidenten ein größeres politisches Gewicht als die Minister hat. Putin hat beim Umzug in den Kreml seine engsten Vertrauten mitgenommen: sieben ehemalige Minister, darunter Elwira Nabiullina, vormals Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung. Lediglich den unbeliebten Innenminister Nurgalijew hat Putin in den Sicherheitsrat abgeschoben, seine politische Karriere ist damit wohl beendet. Der ehemalige Geheimdienstler Sergej Iwanow, erst
vor Kurzem vom Vizepremier zum Leiter der Präsidialverwaltung ernannt, wird hingegen seinen Posten behalten.
Nur einige wenige wie der Energieminister Sergej Schmatko sind beim Stühletausch ganz aus dem politischen System ausgeschieden. Dazu gehört auch der ehemalige Vizepremier Igor Setschin. Allerdings ist der enge Putin-Vertraute und graue Eminenz des russischen Öl- und Gassektors nun zum Präsident des staatlichen Ölriesen Rosneft ernannt worden. Rosneft ist zuständig für eines der wichtigsten Projekte der nächsten Jahrzehnte: die Erschließung der Rohstoffe auf dem arktischen Schelf.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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