Russlands Glück und Westens Pech

Wladimir Putin. Foto: Kremlin.ru

Wladimir Putin. Foto: Kremlin.ru

Wladimir Putins Rückkehr in den Kreml sorgte in den westlichen Medien für Diskussionen über die Zukunft des heutigen Russlands. Dabei haben sich zwei Positionen herauskristallisiert.

Erste Position besagt, dass Putins Rückkehr das autoritäre Staatsmodell bestätigt, das sich innenpolitisch in einen Reformstau und außenpolitisch in einen antiwestlichen Expansionskurs äußert. Ein solches Russland wäre äußerst gefährlich, wenn es nicht eine Macht auf dem absteigenden Ast wäre, mit einem gekränktem Stolz, einem rasanten Bevölkerungsrückgang, grassierender Korruption und Rohstoffwirtschaft, die von außen in den Abgrund gestürzt werden kann. Vor so einem Land müsse man sich hüten, jedoch keine Angst haben, weil es unfähig ist, etwas zustande zu bringen. Deswegen sollte es einfach ignoriert werden. Statt Zugeständnisse müsse man einfach solange warten, bis Russland von selbst entgegenkommt, wenn es sich seiner Ausweglosigkeit bewusst wird. 

Die zweite, dass Russland trotz vieler Mängel gekonnt manövriert, sich relativ erfolgreich entwickelt, vor allem angesichts der sich zuspitzenden Krise in Europa. Russland ist für den Westen ein schwieriger, jedoch wichtiger (wenn nicht ein alternativloser) Partner, dessen Ressourcen und Potential der westlichen Welt im Wettbewerb mit den Boom-Staaten in Asien eine wichtige Rolle spielen.

Die Anhänger der ersten Position betrachten die vielen Probleme Russlands als fatal. Die Anhänger der zweiten Position sehen sie als normal für ein Land in dieser Entwicklungsphase. Die beiden Ansichten müssen getrennt unter die Lupe genommen werden, um deren Ursprung herauszufiltern. Russland hat eine sehr komplizierte und vielschichtige Gesellschaft, mit der jede Hypothese bestätigt werden könnte.

Interessant ist aber, dass der Westen seine Urteile nicht nach einer Analyse des Zustands Russlands, sondern nach Eindrücken fällt. Grob gefragt: Sind wir Augenzeugen eines historischen Machtwechsels in der Welt, in der der Westen nicht mehr die Führungsrolle spielt, sondern nur einer von vielen Akteuren ist?

Es gibt keine Antwort auf diese Frage, weil wir wissen, welche Folgen die Krise in Europa und die wachsenden Schulden der USA haben werden. Der Westen hat mehrmals gezeigt, dass er imstande ist, Zusammenbrüche in jeder Größenordnung zu überstehen. Sein potenzieller Rivale – China - kann der Welt nicht das bieten, was für eine globale Expansion notwendig ist – eine alternative Ideologie und Lebensweise. China kommt als Alternative nur in China und Asien in Frage. Dem Westen droht nicht nur die Entstehung eines alternativen Systems, sondern die Expansion der Schwellenländer im demografischen, kulturellen und geistlichen Sinne.

Das Paradox besteht darin, dass die „Verwestlichung“ der Welt nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges, die als der Triumph der Ideologie einer freien Welt wahrgenommen wurde, sich als das Gegenteil bewahrheitete.

Der Sieg des Kapitalismus über die Planwirtschaft und ein starkes Wirtschaftswachstum in den Dritte-Welt-Ländern haben ihre Rolle und Bedeutung zwar gesteigert, sie aber nicht in einen Teil Westens verwandelt. Eher ist das Gegenteil der Fall. Sie haben einen ernsthaften Wirtschaftskonkurrenten geschafft, von dem die Weltanführer wegen der globalisierten Wirtschaft abhängen. Die Abhängigkeit ist zwar gegenseitig, doch der Stärkere fühlt sich geschwächt, weil er nicht daran gewohnt ist, abhängig zu sein. Es stellt sich also heraus, dass die Welt ohne den Westen nicht nur vielfältiger, sondern auch einflussreicher ist, was die traditionellen Mächte irritiert.

Was hat Russland damit zu tun? Eigentlich dürfte es nicht mehr der BRICS angehören, weil sein Wirtschaftswachstum hinter den asiatischen Boom-Staaten oder Brasilien hinterherhinkt.

Das ist leider schwer zu bestreiten. Doch Russlands Phänomen besteht darin, dass sich seine relative Kraft und Einfluss nicht aus seinen Erfolgen, sondern aus der Krise und dem Verfall des politischen Modells ergibt, das nach dem Ende des Kalten Krieges als das einzig siegreiche und mögliche gegolten hat. In den zurückliegenden zwölf Jahren hat Moskau mit viel politischem Kalkül kaum Fehler begangen. Russland hat mehr erreicht als seine Anstrengungen wert waren – ob  Wirtschaftsreformen, Militäraufbau, Verbesserung des Images, u.s.w.

Russland hat zum Teil auch Glück, weil die Rohstoffmärkte boomten. Die Weltenlenker sorgten mit ihren waghalsigen Entscheidungen für Instabilität: unüberlegte Militäreinsätze mit den USA an vorderster Front oder das Abenteuer mit der europäischen Einheitswährung, das zu einer weiteren Weltfinanzkrise führen kann. Alles begann mit dem Versuch, die Weltordnung zu festigen, statt dessen ist sie ins Wanken geraten. Russlands Gereiztheit hängt damit zusammen. Russland ist der größte Begünstigte der undurchdachten Politik des Westens. Russland, das neben den USA und China weiter als einflussreiche Macht gilt, verwandelt sich in einen „Königsmacher“.

Die Integration Russlands in den Westen wird seine Position gegenüber Wachstumsstaaten der restlichen Welt stärken. Russland schwächt den Westen, weil es die letzte große Macht ist, die ihm historisch und kulturell verbunden ist. Ob dies wahrscheinlich oder gewünscht ist, steht außer Frage. Wichtig ist, dass Russland die Wahl hat. Das Gefühl vor einem großen Wendepunkt zu stehen, führt zu Diskussionen, in deren Mittelpunkt Russland steht – jedoch nicht aus eigenem Verdienst, sondern aus objektiven Gründen.

Der Kreml erhält dadurch nicht nur mehr Möglichkeiten, sondern trägt auch mehr Verantwortung für die Belange des Landes. Jede Wahl fällt schwer, zumal es um eine historisch wichtige geht. Am wichtigsten ist, Glück und günstige Umstände nicht als eigenen Verdienst zu porklamieren und sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen. Die Umstände und die Konjunktur können sich schnell ändern.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Zeitschrift “Russia in Global Affairs”

Dieser Artikel erschien zuerst bei RIA Novosti

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