Bild: Sergej Jolkin
Die Zeit ging über die Ritter hinweg, aber manches aus ihrem Arsenal kommt wieder in Mode. Zum Beispiel in Form des Raketenschilds. Schon Ronald Reagan wollte russische Interkontinentalraketen mit Weltraumwaffen zerstören. Für das Projekt, genannt SDI, gaben die USA rund 29 Milliarden Dollar aus, anscheinend ohne greifbare Resultate. Eine größere Anzahl von Raketen im Flug abzufangen und unschädlich zu machen ist technisch überaus schwierig, wenn nicht unmöglich.
Heute verhandeln Nato und Russland über einen Schild, der angeblich Europa gegen Angriffe aus dem Iran schützen soll. In Moskau befürchtet man, das System sei in Wahrheit gegen Russland gerichtet. Paranoia?
Egal, ob man bei der Raketenabwehr von Schild oder Schirm spricht: Was auf den ersten Blick so schön defensiv klingt, ist in Wirklichkeit geeignet, das sicherheitspolitische Gleichgewicht auszuhebeln. Wer sich hinter dem Schild versteckt, der kann von dort ungestraft auf diejenigen schießen, die keinen haben. Anders als ein mittelalterlicher Schild ist ein Raketen-Abwehrsystem nämlich eine teure Angelegenheit, die sich nur die wenigsten leisten können. Da ist es schon billiger, neue Raketen zu entwickeln, die in der Lage sind, den Schild zu durchlöchern. Der Betreiber des Abwehrsystems muss dann seinerseits nachziehen, die Rüstungsindustrie freut sich.
Das illustrieren die Erfolge der amerikanischen Patriot-Systeme, Mini-Schildchen, die im ersten Golfkrieg gegen die irakischen Scud-Raketen eingesetzt wurden. War anfangs von Trefferquoten zwischen 100 und 80 Prozent die Rede, schwanken die Expertenschätzungen heute zwischen null bis zehn Prozent. Im zweiten Golfkrieg lieferten modernisierte Patriot-Stationen dann ein besseres Resultat gegen die veralteten irakischen Flugkörper.
Ein Raketenschild ist also weder in technischer noch in psychologischer Hinsicht ein echter Schutz. Weder ist sicher, dass das System so funktioniert, wie es soll. Noch ist es wahrscheinlich, dass es den Gegner davon abhält, es einfach mal darauf ankommen zu lassen. Ein Schild trägt also nicht zum „Gleichgewicht des Schreckens“ bei, sondern führt zu Wettrüsten und gewährt eine gefährliche Illusion der Unverwundbarkeit. Die alten Rittersleut‘ hatten es da besser. Sie konnten sich auf ihre Schilde verlassen.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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