Blogger Nawalny während der Razzia. Foto: AP
Die drastische Verschärfung der Strafen bei Verstößen gegen das Versammlungsrecht war den russischen Behörden offenbar noch nicht genug – nun geht man präventiv gegen die führenden Köpfe der Anti-Putin-Protestbewegung vor: Am Tag vor dem für den morgigen Nationalfeiertag (Dienstag) angesetzten „Marsch der Millionen-2“ in Moskau wurden mehrere prominente Vertreter der Oppositionsbewegung morgens unsanft aus den Betten geklingelt – Hausdurchsuchung.
Betroffen waren der Blogger und Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalny, das Ehepaar Sergej und Anastasija Udalzow (er ist Anführer, sie Pressesprecherin der „Linken Front“), Ex-Vizepremier Boris Nemzow und Ilja Jaschin von der Oppositionsbewegung Parnas sowie die bekannte TV-Moderatorin Ksenia Sobtschak, die sich in den letzten Monaten vom Society-Girl zur kämpferischen Kreml-Gegnerin gewandelt hat. Auch die Wohnungen der Eltern der Oppositionellen sowie die Büros von Nawalnys Stiftung wurden durchsucht.
Begründung: Die Straßenschlacht vom 6. Mai
Formell
begründet wurden die Einsätze von der Ermittlungsbehörde mit einem
Verfahren wegen der Gewalttätigkeiten beim ersten „Marsch der Millionen“
am 6. Mai. Am Vortag der Putin-Amtseinführung war es dabei zum ersten
Mal seit Aufkommen der Massenproteste in Russland zu gewaltsamen
Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen.
Zwölf Personen, denen vorgeworfen wird, Polizisten angegriffen zu haben,
sind inzwischen festgenommen und zum Teil in U-Haft genommen worden.
Udalzow, Nawalny und Nemzow gehörten zu den Organisatoren der Demo.
Antreten zum Verhör - statt auf die Demo-Bühne
Die
Durchsuchungen am eigentlich arbeitsfreien Montag waren exakt getimt:
Nachdem die Ermittler bei den fünf Oppositionellen Computer, Disketten
und Mobiltelefone beschlagnahmt hatten, wurden sie alle samt und sonders
zu Verhören einbestellt – just für 11 Uhr am folgenden Tag, eine
Stunde, bevor im Moskauer Zentrum die genehmigte Demonstration beginnt.
Auch wenn dies, formaljuristisch und rein theoretisch, Zufall sein könnte, ist doch offensichtlich, dass die Behörden versuchen, die Oppositionsbewegung mundtot zu machen und einzuschüchtern.
Das
Organisationskomitee des Marsches erklärte jedoch, dass die
Veranstaltung davon ungeachtet stattfinden wird – und dass man wegen der
aktuellen Ereignisse mit noch mehr Teilnehmern rechne. Demonstranten
wie Organisatoren stehen dabei unter dem Damoklesschwert eines letzte
Woche im Eilverfahren verabschiedeten neuen Strafkatalogs, der
Rechtswidrigkeiten im Rahmen von öffentlichen Aktionen mit drakonischen
Geldbußen in Höhe einiger tausend Euro belegt.
Warnungen vor einer Radikalisierung - auf beiden Seiten
Menschenrechtler wie auch gemäßigte Kreml-Kritiker verurteilten das Vorgehen der Ermittler scharf und fürchten jetzt eine Eskalation der politischen Spannungen in Russland: „Die Durchsuchungen bei den Oppositionellen und das neue Gesetz radikalisieren den Protest und demonstrieren die Stärkung der Hardliner an der Macht“, twitterte Ex-Finanzminister Alexej Kudrin.
Michail Fedotow, der Vorsitzende des Menschenrechtsbeirats von Präsident Wladimir Putin, erklärte, er sei schockiert über das Geschehen: Der zeitliche Zusammenfall der Durchsuchungen und der Verhörtermine mit der Oppositions-Demonstration sei „das Schlimmste“, was man sich hinsichtlich der von Russlands Führung angestrebten Modernisierung und der politischen Reformen für den gesellschaftlichen Konsens vorstellen könne.
Fedotow erklärte, er habe wegen dieser Eskalation eine Dienstreise abgesagt, um das Geschehen um die Groß-Demo beobachten zu können.
Opposition warnt den Polizeistaat vor den Folgen
Vor einer Einschüchterung der protestbereiten Opposition durch Polizeimethoden warnten auch andere Oppositionspolitiker. Diese könnte zu einer „Explosion“ führen, für die dann Putin und seine Mannschaft die Verantwortung zu tragen hätten, so Ex-Premier Michail Kassjanow und Wladimir Ryschkow, der Chef der vor kurzem wieder zugelassenen Republikanischen Partei.
Die Oppositionspartei "Gerechtes Russland" verglich das Vorgehen der Moskauer Behörden mit der Verfolgung von Regimegegnern am Ende der Zarenzeit - mit den "bekannten Folgen".
Die von ihrer eigenen Veranstaltung per Verhörtermin ausgesperrten Oppositionellen kündigten am Abend an, eine Videobotschaft an die Demonstranten aufzuzeichnen.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Russland Aktuell.
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