Die Fische sind zurück: dank des steigenden Wassers und sinkenden Salzgehalts. Foto: East News
Nikolaj Aladin nähert sich einem rostigen Kutter. Unter dem Rost ist noch der Name des Schiffes zu erkennen: „Otto Schmidt“. Das Brachland ringsum war früher einmal der Boden des Aralsees. Ironischerweise wurde das Forschungsschiff nach dem berühmten russischen Nordpolforscher benannt. Die letzte Fahrt der „Otto Schmidt“ endete 1996 - es war das letzte Schiff, das auf dem See fuhr. „Auf diesem Schiff habe ich an 25 Expeditionen teilgenommen“, erinnert sich der braungebrannte Aladin mit seiner dröhnenden Stimme. Er, Professor am Zoologischen Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg, der den austrocknenden Salzsee wie seine Westentasche kennt, half dabei, seinen nördlichen Teil wieder nutzbar zu machen.
Verschwiegene Katastrophe
Den Aralsee erblickt er erstmals 1978, als er Urlaub macht in Aralsk, der nördlichsten Hafenstadt. „Als ich ankam“, erinnert sich Aladin, „war der Hafen trocken, das Wasser hatte sich bereits über 30 Kilometer zurückgezogen.“ Der Salzgehalt hatte sich binnen 20 Jahren auf zwei Prozent verdoppelt. Aladin nimmt Proben, führt Messungen durch und beobachtet fortan, wie sich die Fauna an die hereinbrechende Umweltkatastrophe anpasst.
Seine Warnrufe und Vorschläge zur Regenerierung des Sees nimmt man in Sankt Petersburg kaum wahr: Die Bewässerung der Baumwollfelder in der Umgebung ist den Sowjetbeamten wichtiger als der zurückgehende Fischfang. Aladins Studien über die entsetzlichen Folgen für die Ökologie und das Leben der Bevölkerung werden nicht beachtet, die Ökokatastrophe wird nach innen wie außen totgeschwiegen: „Im Westen gab es hin und wieder Hinweise, dass der Wasserspiegel des Arals
zurückgeht und der Salzgehalt steigt. Dass aber der See austrocknet, darüber hatten wir keine
Informationen“, erinnert sich
Philip Micklin, Professor für
Geografie an der Western Michigan University und führender Aralexperte.
Ein Institut für den Aralsee
Aladin finanziert seine Untersuchungen teils aus eigener Tasche. Sein Vater, ein Marineoffizier, steht ihm zur Seite. Auf wissenschaftlichen Konferenzen darf er seine Arbeitsergebnisse zwar ab und zu vortragen - aber nicht veröffentlichen. Erst mit Perestrojka und Glasnost werden sie publik. Und die Akademie der Wissenschaften richtet für Aladin ein eigenes Forschungszentrum mit einem Labor für Brackwasser-Hydrobiologie ein.
Gerade als Moskau beginnt, nach Wegen zu suchen, um die Katastrophe abzuwenden, bricht die Sowjetunion zusammen. Der Aral, inzwischen auf drei kleinere Seen zusammengeschrumpft, wird durch die
Der einsame Retter des Arals: Nikolaj Aladin vor der „Otto Schmidt“. Foto: aus dem persönlichen Archiv |
usbekisch-kasachische Grenze halbiert. Die russischen Behörden halten sich mit der Finanzierung von Expeditionen ins neue Ausland zurück, auch weil das Geld fehlt. „Beschäftige dich doch mit dem Kaspischen Meer“, wird Aladin erklärt. Er hat keine Wahl - aber den Aral gibt er nicht auf. Als sein Vater stirbt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Forschungsvorhaben selbst zu stemmen, indem er zahlungskräftige Touristen auf die Expeditionen mitnimmt. Auf seiner jüngsten Exkursion muss er sich von einigen Gästen 200 Euro leihen, damit er seinen Sohn und Assistenten auszahlen und mit der Bahn nach Hause fahren kann.
1993 bringt er einen kasachischen Gouverneur dazu, einen provisorischen Deich zu bauen, der das Wasser aus dem Syrdarja-Fluss im nördlichen Teil des Arals zurückhält. Der Salzgehalt sinkt, einige Fische kehren zurück, aber der Deich bricht immer wieder ein, sobald das Wasser steigt.
Schließlich finanziert die Weltbank den Bau eines stabilen, 17 Kilometer langen Erddeichs mit Betonschleusen, der 2005 fertiggestellt wird. Das Projekt soll das Wasser im See speichern und die Feuchtgebiete regenerieren.
Retten, was zu retten ist
Heute, fast sieben Jahre später, ist der Fischbestand im kasachischen Teil des Sees von 3500 auf 18 000 Tonnen gestiegen, sagt der Direktor einer örtlichen Fischerei. Seine Fischer ziehen 6000 Tonnen pro Jahr an Land. In den Dörfern entstehen neue Häuser und eine Schule, kürzlich eröffnete ein Fischverarbeitungsbetrieb in Aralsk, 41 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen.
„Der erste Staudamm war ein Experiment“, meint Aladin. „Wir wollten beweisen, dass Katastrophen, die durch Menschenhand entstanden sind, auch wieder neutralisiert werden können. Ich bin sehr stolz darauf, dass alles zum richtigen Zeitpunkt gebaut worden ist.“
Die kasachische Regierung erwägt die weitere Sanierung des Arals. Zwei Vorgehensweisen werden in Betracht gezogen: eine Erhöhung des Kokaraldeichs, sodass der Wasserpegel um weitere 20 Meter steigt und der See sich von 5900 auf 8590 Quadratkilometer ausdehnt. Oder der Bau eines Kanals im Norden, um mit dem Wasser des Syrdarja Aralsk zurück ans Meer zu bringen. Aladin, der weiterhin jedes Jahr an den Aral reist, fordert die Umsetzung beider Schritte – einen nach dem anderen.
Der Aralsee - eine Katastrophe in Bildern
Quelle: Laif/Vostock-Photo; Reuters; AFP/ Eastnews; TASS
Der Aral, ehemals viertgrößter Binnensee der Welt, liegt in der Wüste östlich des Kaspischen Meeres. Er wird von den zentralasiatischen Flüssen Syrdarja und Amudarja gespeist.
Bis in die 60er-Jahre wurden jährlich 50 000 Tonnen Fisch gefangen. Damals begannen die sowjetischen Behörden, das Wasser aus den Flüssen umzuleiten, um Baumwolle für Uniformen und Schießpulver anzubauen. Ihr Kalkül war, der Wert der Baumwolle werde die Einnahmen aus der Fischerei um das Hundertfache übertreffen. 1987 ist der Aralsee auf ein Drittel
seiner ursprünglichen Größe geschrumpft, sein Salzgehalt hat sich verdreifacht. Es gibt kaum noch Fische, Darmerkrankungen und Kehlkopfkrebs nehmen zu.
Heute ist der Aral geteilt. Der nördliche Teil, 3600 Quadratkilometer groß, wurde durch den Bau eines Deiches wieder zum Leben erweckt: Der Salzgehalt ist gesunken, 20 Fischarten weisen wieder eine normale Population auf.
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