Ausstellung für Blinde eröffnet in Moskau

Eine Skulpturenausstellung für sehbehinderte und blinde Menschen kann zurzeit in der Tretjakow-Galerie in Moskau besucht werden. Die Ausstellung wurde von dem deutschen Designerbüro Franke|Steinert konzipiert und ist Teil des ambitionierten sozialen Projekts "Skulpturensprache mit Braille".

Die Ausstellung „Skulpturensprache mit Braille“ in der Trejakow-Galerie in Moskau. Foto: Jelena Potschetowa    

Seltsam, absurd oder gar grotesk - so mögen die Skulpturen, die zurzeit im Eingangsbereich des ersten Stockwerks der Tretjakow-Galerie am Krymskij Wal ausgestellt sind, auf den ersten Blick anmuten. Obwohl es überhaupt nicht nötig ist, sie anzusehen: sämtliche Arbeiten sollen nämlich auf taktile Weise wahrgenommen werden. Man kann den Rücken eines Hirsches streicheln, einen Schädel betasten oder den Finger in ein Käseloch stecken – ohne, dass dabei das übliche „nicht anfassen!" ertönt.

Die 25 Werke aus Bronze, Holz und Stein des Moskauer Bildhauers Alexander Smirnow-Panfilow erscheinen mit ihrer übertriebenen Formensprache betont grotesk und stehen auf niedrigen, breiten Sockeln, damit die Hände der Besucher beim "Betrachten" nicht ermüden. Das Ausstellungsprojekt wurde vom deutschen Designerbüro Franke|Steinert erarbeitet, das in regelmäßigen Abständen Ausstellungen für Sehbehinderte in Berliner Museen organisiert. Alle Skulpturen sind zusätzlich mit Kommentaren in der von Braille entwickelten Blindenschrift versehen.

Alexander Smirnow-Panfilow 

Der 1963 geborene Künstler Alexander Smirnow-Panfilow ist Absolvent des Moskauer Staatlichen W.I. Surikow-Kunstinstituts. Er ist Dozent für Plastik an der Kunstakademie von Ilja Glasunow. Seine Werke befinden sich in den Sammlungen des Fonds des russischen Kulturministeriums, des Russischen Museums, des Architekturinstituts (Portland, USA) sowie in privaten Sammlungen in Russland, Deutschland, Italien und den USA. Von ihm stammt auch der Entwurf des "Schach-Oscars". 

Die Ende Mai eröffnete Ausstellung "Notizen" ist speziell für Sehbehinderte konzipiert. Sie ist Teil des sozialen Projektes "Skulpturensprache mit Braille" im Rahmen des Programms "Museum, offen für alle", das seit 2007 in der Tretjakow-Galerie durchgeführt wird. Dieses Programm verfolgt das Ziel, Kunstwerke auch für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen erreichbar zu machen. 2011 wurde die Ausstellung für Blinde mit Mitteln aus dem Wladimir-Potanin-Wohltätigkeitsfonds finanziert, durch dessen Unterstützung das Projekt auch in diesem Jahr ermöglicht wurde.

Vordringen in die Welt der darstellenden Künste

Im Mittelpunkt des Konzepts der diesjährigen Ausstellung stehen Personen aus der Kunstgeschichte in der Interpretation des Bildhauers. Unter den dargestellten Künstlern befinden sich Toulouse Lautrec, van Gogh und Chagall. "Wenn Blinde den Namen van Gogh hören, bedeutet dies für sie eine absolute Abstraktion - falls ihnen überhaupt jemand etwas von van Gogh erzählt. Doch hier gibt es Porträts in Form einer Skulptur, beispielsweise von dem Maler van Gogh. Diese Porträts sind keine fotografisch genauen Wiedergaben, doch für Blinde stellen sie eine gute Möglichkeit dar, in eine für sie bislang verschlossene Welt vorzudringen", erklärt die Kuratorin der Ausstellung Jelena Gerasimowa. Ihrer Ansicht nach ermöglichen solche Ausstellungen, die auf die taktile Wahrnehmung ausgerichtet sind, eine eingehendere Beschäftigung mit dieser Art von Kunst, und für Blinde sind sie wohl die einzige Möglichkeit, in die Welt der darstellenden Kunst vorzudringen.

Die Ausstellung wird nicht nur von Blinden, sondern auch von Menschen mit normalem Sehvermögen besucht, darunter auch von sehr vielen Kindern. Allein schon die Tatsache, dass die Ausstellungsstücke angefasst werden dürfen, löst bei ihnen Begeisterungsstürme aus: "Toll! Normalerweise darf man in Museen nichts anfassen, hier aber schon. Das gefällt mir", teilt uns der junge Ausstellungsbesucher Andrej mit.

Die Skulpturenausstellung "Notizen" in der Tretjakow-Galerie ist noch bis Ende November 2012 geöffnet. Im Anschluss daran wird im Dezember eine weitere taktile Ausstellung eröffnet.

Adresse: Tretjakow-Galerie "Kunst des 21. Jahrhunderts", Krymskij Wal 10, Moskau

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