Eine Woche im Museum

Die ersten Besucher besichtigen die Ausstellung “Russen und Deutsche – 1000 Jahre Geschichte, Kunst, Kultur”.  Foto: ITAR-TASS

Die ersten Besucher besichtigen die Ausstellung “Russen und Deutsche – 1000 Jahre Geschichte, Kunst, Kultur”. Foto: ITAR-TASS

Das Historische Museum am Roten Platz in Moskau ist eines der berühmtesten Museen des Landes. Spaziert man an dem schönen, dunkelroten Gebäude vorbei, möchte man stehen bleiben und es lange, lange anschauen. Es hat so viele Details. Türmchen, Verzierungen, Spitzen, Treppen. Man möchte regelrecht hineinbeißen, weil es einer kunstvollen Schokoladentorte ähnelt, die vom besten Konditor der Welt liebevoll gebacken wurde.

In der Tat wurde es von einem der besten – zwar nicht Konditoren, dafür aber Architekten des vorletzten Jahrhunderts gebaut, Wladimir Scherwud. Den Auftrag dazu gab Zar Alexander II im Jahre 1872. Endgültig vollbracht war der Bau 1881. Und ich als waschechte Moskauerin war kein einziges Mal in diesem Meisterwerk. Dabei hat das Staatliche Historische Museum wirklich viel zu bieten: von der Vorzeit bis zum heutigen Tag, die gesamte Geschichte des Landes. Nichtsdestotrotz hielten mich die Doppelgänger Iwan des Schrecklichen, die freundlich, aber bestimmt, am Haupteingang dazu aufrufen das Museum zu besuchen, immer davon ab genau dies zu tun.

Doch im Vorfeld der Eröffnung der Ausstellung „Russen und Deutsche – 1000 Jahre Geschichte, Kunst und Kultur“ bot sich die Gelegenheit beim Aufbau mitzuwirken.

Das ehemalige Leninmuseum


Die Ausstellung sollte – und so geschah es dann auch – im Gebäude der ehemaligen Stadtduma eröffnet werden, in der sich von 1936 bis 1993 das Leninmuseum befand. Seit seiner Schließung wurde dieser Gebäudeteil restauriert. Die fast 20 Jahre Arbeit haben sich gelohnt – im weißen Marmor des Eingangsbereichs kann man sich fast spiegeln und die hohen Stuckdecken im zweiten Stock mit Hammer und Sichel inklusive Sowjetstern an den Säulen sind tatsächlich erhalten geblieben. Bei Restaurationsarbeiten alter Gebäude kann man sich da in Russland nie ganz sicher sein. Das ehemalige Leninmuseum hat auch ihren Namensgeber als Erbstück an das Historische Museum übergeben: als große, weiße Marmorstatue – mit erhobenem Arm, der sich mit geballter Faust in den Himmel streckt, steht er mit einer durchsichtigen Folie bedeckt stolz, aber vergessen im Tresorraum.

Vorbereitung der Ausstellung


Noch vor einer Woche sah es nicht so aus, als ob in Kürze alle Vitrinen fein säuberlich und Millimeter genau gefüllt werden und die Wände behängt wären, kurz gesagt: dass eine riesige Ausstellung mit über 700 Exponaten aus 75 Museen tatsächlich steht. Kisten über Kisten mit der Aufschrift „FRAGILE“ füllten die Räume. Die zerbrechlichen Exponate waren auspackbereit. Was es da nicht alles gab! Beispielsweise in einem Lederkoffer original von 1840 kam aus Hessen ein Exponat an, das Prinzessin Alexandra, der Tochter Nikolaj I gehörte: eine Toilettengarnitur aus 34 Teilen und purem Silber. Nagelneu. Denn noch bevor die frisch verheiratete Prinzessin ihr Hochzeitsgeschenk in Empfang nehmen konnte, verstarb sie. Ein weiteres nennenswertes Exponat – „das Selbstbildnis mit Bibel“ von Johann Friedrich Overbeck aus dem 19.Jahrhundert. „Bevor dieses, wie auch alle weiteren Exponate ausgestellt werden können“, erklärt der Restaurator und Konservator Timofej, der schon seit fast zehn Jahren im Historischen Museum arbeitet, „müssen wir gemeinsam mit den Kurieren das mitgebrachte Zustandsprotokoll mit dem vorliegenden Exponat vergleichen“. Und das sieht dann so aus: gebeugt über das Werk in weißen Handschuhen wird jeder Riss, jede Delle, jede noch so feine Verfärbung begutachtet und notiert. Schließlich geht es hier um wertvolle und sogar unbezahlbare Kunststücke.

Trinkschale aus Gold


Unbezahlbar, wie die Trinkschale des Zaren Iwan des Schrecklichen – 1 Kilogramm Gold, drei große Saphire, Perlen und der Gravierung: „Diese Schale befahl der Herrscher aus Polozker Gold zu fertigen, als er sein Erbe, die Stadt Polozk, am 15. Februar 1563 erobert hat." Es ist wirklich faszinierend davor zu stehen, ohne Glasscheibe dazwischen. Die Museumsmitarbeiter haben sich natürlich längst daran gewöhnt. Konservator Timofej, ein gut gelaunter junger Mann, nimmt nach der Begutachtung vorsichtig die Trinkschale in die Hand. Gemeinsam mit Konservator Evgenij, ein junger Mann mit Sommersprossen, läuft er stolz den Museumsgang in Richtung Tresor entlang. Vor ihnen – ein buntes Glasfenster mit Lenins Kopf. Wie auf Kommando singen sie: „…Und Lenin ist so jung! Und der junge Oktober steht noch bevor!“ – ein sowjetisches Lied, das der Oktoberrevolution gewidmet wurde, 1974 komponiert. So ist das Leben im Museum: Exponat aus dem 16.Jahrhundert, der Leninkopf aus den Dreißigern, ein Lied aus den Siebzigern, und Mitarbeiter von knapp dreißig Jahren, die Tag ein – Tag aus in 19 Grad kalten Räumen mit 53% Luftfeuchtigkeit (die beste Temperatur für Exponate) unsere Geschichte in ihren jungen Händen halten. Ich glaube, dass sind die ehrlichsten und klügsten Köpfe, die ich je kennen lernen durfte. 

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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