Neubukow, Sankt Petersburg, Troja

Schliemann liebte Gold und Ruhm: eine von ihm ausgegrabene mykenische 
Totenmaske. Foto: dpa/Vostock-Photo

Schliemann liebte Gold und Ruhm: eine von ihm ausgegrabene mykenische 
Totenmaske. Foto: dpa/Vostock-Photo

Vor 140 Jahren entdeckte der deutsche Abenteurer und Archäologe Heinrich Schliemann das verloren geglaubte Troja. Seine Ausgrabungen finanzierte er durch Geschäfte in Russland.

Andere träumten von ihrem Glück in Amerika, Heinrich Schliemann machte es in Russland. Sein Weg führte ihn über Amsterdam, wo der Mecklenburger mit 21 Jahren buchstäblich strandete. Angeblich war sein Schiff, das ihn nach Südamerika bringen sollte, vor der holländischen Küste zu Bruch gegangen. Aber vielleicht kam der Sohn eines protestantischen Pfarrers auch ganz normal mit der Postkutsche an. Mit der Wahrheit nahm er es nie so genau. 


Nach drei Hungerjahren erhielt er 1844 eine Anstellung bei B. H. Schröder & Co., einer Firma, die mit Indigo handelte, jenem Farbstoff, der zum Einfärben von Uniformen diente und meist aus Asien importiert wurde. Schliemann lernte Englisch und durfte im 
Korrespondenzbüro arbeiten.


Indigo für Russland


Als B. H. Schröder & Co. auf dem russischen Markt Fuß fassen wollte, sah Schliemann seine Chance: Nach eigener Methode lernte er in nur wenigen Wochen so gut Russisch, dass er im Januar 1846 als Firmenvertreter in die damalige Hauptstadt Sankt Petersburg geschickt wurde. Sogleich streckte er seine Fühler aus: Er verschaffte sich einen Eindruck von Gesellschaft, politischer Situation und Geschäftsmöglichkeiten, sah sich in dem großen Land um und reiste mit dem Pferdeschlitten nach Moskau. Schon im 
Februar 1847 beantragte er die russische Staatsbürgerschaft, gründete seine eigene Firma, wurde als Kaufmann der Zweiten Gilde in Sankt Petersburg registriert und eröffnete ein Kontor im großen Handelshof am Newski-Prospekt. Ein Jahr später hatte er 6000 Silberrubel verdient und konnte sich eine große Wohnung mit Bediensteten leisten.


Der Weltmann aus dem Dorf


Indigo war ein vorzügliches Geschäft. Die Preise waren stabil, und bis dieser Farbstoff synthetisch hergestellt werden konnte, sollten noch Jahrzehnte vergehen. Kaum in Russland etabliert, machte Schliemann Reisen durch Westeuropa, besuchte Hamburg, 
Lübeck, Paris und London. Er informierte sich über technische Fortschritte, neue Maschinen und Kommunikationsmittel und besuchte stets die großen Museen der Städte. Diese rastlosen Reisen prägten sein Leben in einer Zeit, in der Eisenbahnstrecken erst 
ausgebaut wurden und die Dampfschifffahrt noch in ihren Anfängen steckte. Bald handelte Schliemann auch mit Salpeter, Holz, Kaffee, Wein und Papier, informierte sich über Goldfunde in Amerika und Australien und führte eine weltweite Korrespondenz. Der Mann, der aus dem winzigen Dorf Neubukow stammte, dachte und handelte weltmännisch, Basis all seiner Unternehmungen blieb Sankt Petersburg.


Als Schliemann im Jahr 1864 all seine Geschäfte liquidierte, galt er als einer der reichsten Männer Europas, sein Vermögen betrug an die zehn Millionen Goldmark. Dabei hatte er vor allem vom Krimkrieg zwischen 1853 und 1856 profitiert. Er lieferte ein Drittel des von der zaristischen Armee verschossenen Pulvers sowie das gesamte Indigo, mit dem die Uniformen eingefärbt wurden. Er war ein erfolgreicher Spekulant, weil er unermüdlich und immer gut informiert war. Und er hatte Glück: Bei einem Brand im Hafen von Memel wurden allein seine Kaffeelieferungen verschont, was den Preis seiner Vorräte ins Unermessliche steigerte.


Scheidung aus der Ferne

 

Privat sah sein Leben weniger glücklich aus. 1852 heiratete er die Kaufmannstochter Jekaterina 
Lyschina in der Petersburger Isaakskathedrale, die 15 Jahre lang seine Frau blieb und ihm drei Kinder schenkte. Schliemann war eine hektische, getriebene Persönlichkeit - seine Frau liebte Komfort und Ruhe. Vor allem wollte sie ihre geliebte Heimat nicht verlassen, während Schliemann erwog, nach Dresden oder Paris umzusiedeln.


Seit etwa 1860 ließ ihn der Gedanke nicht mehr los, die Geschäfte aufzugeben und sein Leben zu verändern. Zudem hatte er immer wieder Streit mit seiner Frau. Ablenkung fand er in ausgiebigen Reisen in seine Heimat, in die Ägäis und den Orient. 1861 wurde er auf drei Jahre zum Handelsrichter in Sankt Petersburg ernannt, wohnte jedoch meist in Paris, wo ihm mehrere Häuser gehörten. Gleichwohl wurde ihm und seiner Familie in Sankt Petersburg die erbliche Ehrenbürgerschaft zugestanden, der höchste Rang, den ein Nichtadliger in Russland erreichen konnte. 


Die Lektüre von Iwan Gontscharows Reisebuch „Die Fregatte Pallas“ verstärkte sein Fernweh. Und so machte er 1865 eine Weltreise, die ihn nach China, Japan und 
Kalifornien führte. Im März 1869 erwarb er in New York die amerikanische Staatsbürgerschaft. Gekaufte Zeugen beschworen, dass er schon fünf Jahre im Lande lebe, dabei waren es nur wenige Wochen. Kurz darauf ließ er sich im Bundesstaat Indiana von seiner russischen Frau (die zu Hause geblieben war) scheiden. Wie die meisten seiner Probleme regelte er auch dies mit Geld. Bei seinem letzten Besuch in Sankt Petersburg hatte seine Frau ihn verhaften lassen wollen, aber Schliemann konnte auf abenteuerliche Weise aus 
seinem Haus und aus Russland fliehen. Inzwischen hatte er eine neue Leidenschaft entdeckt: Troja.


Deutscher, Russe, Amerikaner und Grieche

 

Ausgrabungen in Troja: 1873 erklärte Schliemann, die Überreste der antiken Stadt gefunden zu haben. Foto: Vostock-Photo


Um Ausgräber in Kleinasien zu werden, stellte der „Amerikaner“ Schliemann sein ganzes Leben auf den Kopf: Er heiratete die 17-jährige Sophia Engastroménos in Athen, wo er eine fantastische Villa bewohnte. Und er grub den Hügel aus, auf dem vielleicht einmal das mythische Troja gelegen hatte (die entsprechenden Informationen hatte er einem englischen Gelehrten abgekauft). In dem Maße, in dem er als Troja-Ausgräber weltweiten Ruhm erwarb, verklärte er sein eigenes Leben ins Legendenhafte – das war Schliemanns Paradoxon. 


Es gehört zu den Pointen dieses erstaunlichen Lebens, das 1890 in Neapel endete, dass die Schätze, die er dank seines in Russland erworbenen Reichtums ausgraben und nach Deutschland bringen konnte, 1945 in das Puschkin-
Museum in Moskau gelangten, 
was man aber erst seit wenigen Jahren weiß. Nun wird darüber 
verhandelt, ob und wie die Troja-Schätze wieder nach Berlin zurückkehren können. Aber das ist eine andere deutsch-russische Geschichte.

Manfred Flügge lebt als Schriftsteller in Berlin. Er schrieb mehrere Romane, Theaterstücke und Biografien, darunter eine über Heinrich Schliemann.

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