Eine riesige Flut in der Region Krasnodar hat mehr als 170 Menschen umgebracht, 96 Häuser vernichtet und 3.300 Personen ohne Eigentum gelassen. Foto: Ilya Pitalev / RIA Novosti
Wie ein Tsunami kam das Wasser plötzlich und ohne Vorwarnung über die 57.000 Einwohner zählende Stadt Krymsk – und das auch noch mitten in der Nacht: Das durch die Stadt fließende Flüsschen Adagum schwoll in kürzester Zeit um sechs Meter in der Höhe an.
Stille Straßen verwandelten sich in reißende Flüsse: Autos wurden mitgerissen, Zäune und Mauern niedergerissen. Ganze Familien, aber vor allem allein lebende alte Leute, ertranken in ihren Häusern, weil sie sich nicht auf Dächer oder Bäume retten konnten.
Dabei hatte es in Krymsk in der Nacht auf Samstag nur leicht geregnet. Was die Bewohner nicht wissen konnten: In den westlichsten Ausläufern des Kaukasus hinter ihrer Stadt hatte sich in diesen Stunden ein Unwetter ausgetobt. Laut Wetterdienst prasselte die Niederschlagsmenge von fünf Monaten auf einmal herunter - kaum glaubliche 300 Liter auf jeden Quadratmeter.
Tödliche Falle: Das Hochwasser steht unter Strom
Auch auf der andere Seite des Bergkamms, in der Hafenstadt Noworossijsk und dem beliebten Schwarzmeer-Badeort Gelendschik schoss das Wasser in der Schreckensnacht die Hänge herab und durch die Straßen. In Noworossijsk gab es drei Tote und in Gelendschik neun – fünf davon wurden Opfer von Stromschlägen, weil ein überflutetes Transformatorenhäuschen das Wasser im Umkreis unter Hochspannung setzte.
Daraufhin wurde in dem Katastrophengebiet die Stromversorgung gekappt und auch die Gasleitungen stillgelegt. Der Eisenbahnverkehr in Richtung Noworossijsk war ebenfalls für über 24 Stunden blockiert – am Sonntag hatten sich im Bereich von Krasnodar schon über 100 Züge aufgestaut.
Das Unwetter fiel in den Beginn der touristischen Hochsaison an der russischen Ferienküste – die zumindest für Gelendschik wohl faktisch gelaufen ist: Das Wasser hat die Uferpromenade überflutet, die Strände weggespült und viele Gebäude schwer beschädigt. „Wie nach einem Bombenangriff“ sähen heute viele Straßenzüge in dem einst üppig grünen und gepflegten Badeort aus, berichtete der TV-Sender NTW.
Präsident Wladimir Putin flog noch am Samstag in das Unglücksgebiet, verschaffte sich per Helikopter einen Überblick und mobilisierte die Behörden für eine groß angelegte Hilfsaktion.
Aufgemachte Schleusen konnten nicht die Ursache des Hochwassers sein
Putin wurde dabei auch mit einer von Bloggern aktiv verbreiteten Version über die Ursache des Hochwassers konfrontiert: Angeblich seien bei einem 20 Kilometer hinter der Stadt in den Bergen gelegenen Stausee die Wehre zu einer Notablassung des Wassers geöffnet worden.
Der zuständige Beamte erklärte Putin vor laufender Kamera, das Reservoir verfüge über gar keinen Mechanismus, den man öffnen oder schließen könne – der See ähnele konstruktiv einer Badewanne. Es gebe nur Überläufe zwei Meter unterhalb der Dammkrone, der Damm selbst sei intakt geblieben, hieß es.
Später teilte die russische Ermittlungsbehörde mit, aus dem See sei in der Tat mehrfach Wasser abgelassen worden, was aber nicht Ursache der verheerenden Folgen in Krymsk sein könne. Und ein Ökologe, der als einer der ersten die These von der Schleusenöffnung verbreitet hatte, dementierte nach einer Ortsbesichtigung: Das Wasser kam meterhoch aus allen Seitentälern hinter der Stadt, nicht nur aus jenem, wo sich das Reservoir befindet.
Bewohner von Krymsk beschuldigen Behörden
Am Sonntag stellte sich Gebietsgouverneur Alexander Tkatschew in Krymsk einer aufgebrachten Menge: Die Bürger der Stadt scheinen weiterhin davon überzeugt, dass die Katastrophe humane Ursachen hat – und sehen diese bei den örtlichen Beamten: Selbst wenn sie die Flutwelle nicht zu verantworten haben, warum wurden dann so viele Menschen nicht vor der Gefahr gewarnt?
Der Krymsker Bürgermeister beteuert, nach einer Unwetterwarnung gegen 22 Uhr schnell alle verfügbaren Kräfte mobilisiert zu haben und beinahe selbst beim Hilfseinsatz ertrunken zu sein. Ein Polizist aus seiner Stadt, der eigentlich ein örtliches Gefängnis leitet, ist unter den Toten – er wurde vom Wasser mitgerissen, als er eine Familie retten wollte.
Die Ermittlungsbehörde untersucht dennoch, ob es menschliches Versagen bei der Katastrophe gab.
Vor zehn Jahren waren bei einem schweren Unwetter im Umland von Noworossijsk schon einmal über 100 Menschen umgekommen. Damals hatten zusätzlich zum Regen auch noch Windhosen Meerwasser auf die Hänge an der Küste geworfen.
Der Staat kündigte Entschädigungen von 100.000 Rubel (ca. 2500 Euro) beim Totalverlust allen Besitzes und 2 Mio. Rubel für die Hinterbliebenen von Todesopfern an. Wer obdachlos geworden ist, soll zudem ein neues Haus auf sicherem Boden erhalten.
Am Montag wurde für ganz Russland Staatstrauer wegen der Naturkatastrophe angesetzt.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Russland-Aktuell.
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