Treten Sie ein zum Tam-Tam bei Repin

Russisch-finnische Wurzeln: in der Villa im ehemaligen finnischen Dorf Kuokkala hat Ilja Repin bis zu seinem Tod gewohnt Foto: RIA Novosti

Russisch-finnische Wurzeln: in der Villa im ehemaligen finnischen Dorf Kuokkala hat Ilja Repin bis zu seinem Tod gewohnt Foto: RIA Novosti

Hier schuf Repin einige seiner bedeutendsten Werke, zeichnete mit Majakowski um die Wette, am runden Esstisch saßen Gorki und Schaljapin. Und hier geriet der Maler 1918 in Isolation.

Es gibt Orte, da weht einen der gute Geist an, man taucht ein in eine vergangene und doch lebendige Welt der Kunst und erholt sich vom Lärm des Tages. Allein der Park ist die Anreise wert … In Repino, 40 Kilometer nördlich von St. Petersburg, tritt der Besucher durch ein weißes, holzgeschnitztes Tor, geht durch eine Birkenallee, fischt sich aus der Kiste am Eingang ein Paar riesige Pantoffeln und wählt im Tonband die passende Sprache aus. Dann schlurft er auf Filz, von altmodischen Kommentaren begleitet, durch ein zauberhaftes Anwesen: die „Penaten“, benannt nach den römischen Göttern, die als Hüter des Herdes gelten.

Bis 1940 war der Ort finnisch


Sie haben Revolution, Krieg und so manche Umbrüche überdauert. Als der Maler Ilja Repin (1844-1930) vor über hundert Jahren das Gut mit seiner zweiten Frau erwarb, hieß der Ort noch Kuokkala und war finnisch. 1940 fiel er an die Sowjetunion und wurde zu Ehren des bedeutenden Realisten in Repino umbenannt. Hier in den Penaten entstanden zahlreiche Varianten von Repins berühmtesten Bildern, das verwinkelte Haus ist voll mit Skizzen, Gemälden und Objekten, die seine Arbeitsweise und Suche dokumentieren. Säbel, Gusli (eine Art Zither) und Burka der Kosaken etwa benötigte Repin nicht nur für das große Gemälde „Die Saporoger Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan“, sondern auch für das Spätwerk „Die Schwarzmeerfreiwilligen“. Der Künstler fing die bedrückende Atmosphäre nach der Niederlage im russisch-japanischen Krieg ein: Das Schiff der Kosaken befindet sich im Sturm und ist dem Untergang geweiht.

Das berühmteste Gemälde von den Kosaken wurde in Repins Villa in Kuokkala vollendet. Foto: Pressebild


Repin nahm stets kritischen Anteil an den sozialen, geistigen und politischen Umbrüchen seiner Zeit, mischte sich ein. Noch zu Lebzeiten wurden viele Bilder als Vorbild für den sozialistischen Realismus vereinnahmt – die religiösen Motive in seinen Werken jedoch verschwiegen. Der Maler war geistig aber breiter orientiert, er fühlte sich den Lehren Tolstois und vor allem den „Wandermalern“ (Peredwischniki) verpflichtet, einer Avantgardegruppe mit sozialer Ausrichtung.

Selbstbedienung erwünscht

Jeden Mittwoch standen in den Penaten die Türen weit offen für Gäste. Statt einer Dienerschaft
 fand der Besucher am Eingang jedoch eine Tafel vor, die Eigeninitiative forderte. „Legen Sie den Mantel und die Galoschen

selbst ab!“ Ein großer Gong lud zum fröhlichen und kräftigen „Tam-Tam-Schlagen“. Repin und seine Lebensgefährtin, die Schriftstellerin Natalia Nordman, lebten nach liberalen demokratischen Grundsätzen, ihr Haus war ein Ort für Feste und Debatten, Treffpunkt kooperativer Versammlungen und verschiedenster Kunstströmungen. Die Literaten Gorki, Kuprin und Tschukowski oder der Sänger Schaljapin weilten hier ebenso wie der junge Revoluzzerpoet Majakowski, den Repin als Mensch hoch schätzte, als Futurist jedoch ablehnte. Er liebte dessen Zeichnungen, und manchmal skizzierten sie um die Wette.

Bildhauer, Musiker, Schauspieler, Wissenschaftler oder Maler - eine bunte Gesellschaft setzte sich zum meist vegetarischen Essen gemeinsam mit dem Personal an den von Repin entworfenen runden Tisch, der in der Mitte eine Drehscheibe besaß sowie tiefe Schubladen, in die der Gast sein gebrauchtes Geschirr stellen sollte.

Wer gegen die Regeln der Selbstbedienung verstieß und seiner Nachbarin höflich etwas auftat, wurde auf eine kleine Kanzel verdonnert und hatte dort eine improvisierte Rede zu halten. Nicht selten war es der Hausherr selbst, der zum Vergnügen aller die Strafe antreten musste.

1918 fand das lebhafte Treiben ein jähes Ende, die finnische Grenze wurde nach der Oktoberrevolution geschlossen, Repin und andere russische Künstler waren von der Heimat abgeschnitten. Hunger, Kälte und seine kranke Malerhand setzten ihm immer mehr zu. Ein Selbstporträt von 1920 zeigt leidvolle Züge. Im Atelier steht auch ein unvollendetes Bild, an dem er 30 Jahre lang arbeitete: Puschkin am Kai der Newa - ein wie aus dem Totenreich geschautes Porträt des Dichters in einer steinernen Wüstenei.

Erst 1926 erhielt Repin wieder Besuch, eine Malerdelegation kam aus der Sowjetunion. Der alte Künstler war beglückt, eine Umsiedlung aber lehnte er ab. Er starb vier Jahre später und wurde im Park beerdigt; die Penaten vermachte er der Petersburger Akademie der Künste. Im Krieg zerstört (das gesamte Interieur war rechtzeitig ausgelagert worden), wurde das Museum detailgenau rekonstruiert und 1962 wieder eröffnet. Es ist heute stiller als in den bildungshungrigen 60er- und 70er-Jahren, aber die Fahrt aus Petersburg lohnt sich allemal.

Der Austausch aller Kunstgattungen untereinander war typisch für das „Silberne Zeitalter“ und Ilja Repin einer derjenigen, die ihre Position öffentlich kundtaten. In seinen Memoiren schrieb er: „Echte, tiefe Ideen, als höhere Erscheinungsform des Verstandes, werden immer unerschütterlich wie Sterne am Himmel in der intellektuellen Welt stehen und überall die besten Herzen, die besten Köpfe anziehen.“ Er hätte sich auch heute eingemischt...

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