Fröhliches Plastikflaschenstampfen: Junge Umweltaktivisten von musora.bolshe.net bei einer Müllsammelaktion in Moskau. Foto: Pressebild
Während andere an paar freie Tage genießen, brüten Umweltaktivisten über einem logistischen Problem gigantischen Ausmaßes. Am 15. September sollen Hunderttausende Freiwillige Müll sammeln. Unter dem Motto „Sdelajem 2012“ – zu Deutsch „Machen wir!“ – findet die größte Säuberungsaktion in der Geschichte Russlands statt. Der Tag ist Teil einer weltweiten Müllkampagne, die vor vier Jahren in Estland ihren Anfang nahm. Federführend in Russland ist die Initiative musora.bolshe.net“ (kein.Müll.mehr), die sich selber als „positiv-kreativ-ökologische“ Bewegung bezeichnet.
Das Bewusstsein verändern
Anfang Juni trafen sich die regionalen Koordinatoren in dem kleinen Ort Orechowo, 70 Kilometer nördlich von St. Petersburg, tauschten sich mit anderen Aktivisten aus, wie man so eine große Aktion organisieren kann, wie man Freiwillige gewinnt und wie man mit den Behörden umgeht.
Manche Teilnehmer haben eine lange Anreise hinter sich – wie die 29-jährige Anastasija Malenina. Sie kommt aus Ufa, Hauptstadt der Republik
Baschkortostan, und hat mehrere Tage im Zug verbracht. Mit dabei ist auch Dennis Stark, Gründer von musora.bolshe.net, ein sportlicher Mittdreißiger mit hellwachen, blauen Augen. Immer wieder treten Teilnehmer an ihn heran, um sich Rat zu holen. Fragt man ihn nach den Anfängen, sagt er: „Ich habe das Projekt ins Leben gerufen, weil ich das Gefühl hatte, bis dahin nichts Sinnvolles für den Planeten getan zu haben.“
Inzwischen gibt es russlandweit 200 aktive Mitglieder, die Müll sammeln oder Freiwillige mit Handschuhen und Müllbeuteln ausstatten, über
soziale Netzwerke Aktionen organisieren und lokale Sponsoren suchen. Der Müll wird dann sortiert und abtransportiert. Darin ist die Gruppe besonders progressiv, denn Mülltrennung gibt es in Russland bislang kaum. „Wir haben kein System, das es ermöglicht, den Abfall wirtschaftlich zu trennen“, sagt Aktivist Andrej Schpartko, „man kann natürlich verschiedenfarbige Container aufstellen, aber man muss sie auch leeren und den Inhalt weiterverarbeiten.“
Eine Müllkippe so groß wie 200 Fußballfelder
Ab und an gibt es Initiativen, auch in St. Petersburg, aber die meisten scheitern. Und so landet der Müll doch wieder auf der riesigen Halde. Eine davon befindet sich im Norden von St. Petersburg, die „Sewernaja Swalka“ ist die zweitgrößte Müllhalde der Fünf-Millionen-Metropole. Sie hat eine Fläche von anderthalb Quadratkilometern und ist so hoch wie ein zehnstöckiges Haus. Eigentlich ist sie bereits seit Jahren völlig ausgelastet. Aber weil es schwierig ist, neue Flächen zu finden, lädt
die Stadt den Müll weiter dort ab. Biomüll mischt sich mit Plastik, alten Reifen, Kartonagen, Batterien und Altglas zu einer bunten, übel riechenden Masse. Andrej Schpartko sagt: „Die Wegwerfmentalität der Russen hat damit zu tun, dass das Land groß ist. Wenn man seinen Abfall einfach fünf Kilometer entfernt entsorgt, hat man das schnell wieder vergessen. Und viele wissen nicht, was damit weiter passiert.“ Während der Sowjetzeit war das zum Teil anders. Glas und Papier wurden getrennt und weiterverarbeitet, es gab weniger Verpackungen. „Heute ist alles dreifach verpackt - und die Russen konsumieren wie wild.“
Ein Teil der Müllhalden ist illegal und entzieht sich so staatlicher Kontrollen. Umweltorganisationen schätzen, dass es davon im Land mehrere zehntausend gibt. Sie sind von vielen Menschen bevölkert, auf der Suche nach wiederverwendbarem Abfall.
Aktivistin Malenina findet in ihrer Region nicht wenig Freiwillige. Das hat auch damit zu tun, dass schon früher angepackt wurde, wenn es darum ging, seine Umwelt sauber zu halten. Bis heute finden die aus der Sowjetzeit stammenden „Subbotniks“ statt, ein alljährlicher Frühjahrsputz, zu dem Bürger und Politiker gemeinsam losziehen. Der große Unterschied zu musora.bolshe.net: Die Aktion ist nur einmal im Jahr, und der Müll wird nicht getrennt.
Die 29-Jährige sagt, das Engagement der Menschen mache ihr Mut, aber die Arbeit mit Behörden und Abgeordneten sei nach wie vor schwierig. „Es ist so wie immer. Es wird viel geredet, aber wenig getan. Auch Präsident Wladimir Putin hat letztes Jahr gesagt, musora.bolshe.net sei eine sinnvolle Sache.“ Mit diesem Zugeständnis werben die Aktivisten jetzt, vor allem bei Offiziellen, wenn es um den großen Tag am 15. September geht.
„Wir müssen selber etwas dafür tun, dass dieses Leben angenehmer wird“, meint Gründervater Dennis Stark. „Bis es zur Mülltrennung kommt, werden weitere fünf bis zehn Jahre vergehen.“ Vor allem müsse mehr Aufklärung betrieben werden. Wenn das geschafft sei, werde er sich um andere Probleme kümmern, um verschmutztes Trinkwasser - oder den Ausbau von Fahrradwegen.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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