Ein deutsches Gretchen aus Sibirien

In Wologda endete das internationale Filmfestival VOICES (Vologda Independent Cinema from European Screens), das sich besonders dem jungen europäischen Film widmet. Im Mittelpunkt der diesjährigen Festivalausgabe stand die 19-jährige Schauspielerin Isolda Dychauk aus Deutschland, die in Alexander Sokurows Tragödie „Faust“ die Rolle des Gretchens spielt. Dychauk wurde in Wologda sogar als „Symbol der russisch-deutschen kinematografischen Freundschaft“ bezeichnet.

Auf russischen Filmplakaten findet man verschiedene Schreibweisen Ihres Familiennamens: „Dichauk“, „Duchauk“, „Djuschauk“, ja sogar „Djatschuk“. Wie muss es denn nun richtig heißen?

Wie mein Familienname auf Russisch genau klingt, weiß meine Mutter am besten. Ich bin ja bereits mit 9 Jahren aus Surgut nach Berlin gekommen.

Warum haben Sie Russland verlassen?

Meine Mutter hat sich in einen Deutschen verliebt und ihn geheiratet, deshalb sind wir nach Deutschland gezogen. Jetzt gibt Mama Klavierunterricht an einer Privatschule. Den ersten Personalausweis habe ich mir allerdings in Surgut ausstellen lassen, mein Onkel und meine zwei Cousins wohnen noch dort. Und im Sommer treffen wir uns alle bei meiner Oma in der Ukraine. Inzwischen spreche ich besser Deutsch als Russisch. Ich mag Fjodor Dostojewski und Lew Tolstoi, aber ich lese ihre Werke auf Deutsch, damit es schneller geht.

Sie werden manchmal als russische und manchmal als deutsche Schauspielerin bezeichnet…

Ich drehe in Deutschland und habe in keinem einzigen Film auch nur ein

Wort Russisch geredet. Zum Casting für Sokurows „Faust“ bin ich von einer Agentin eingeladen worden, weil sie erfahren hatte, dass der Regisseur ein typisch deutsches Gesicht sucht. Und das hat er dann bei mir gefunden. Als die Dreharbeiten anfingen, habe ich ihm aber doch erzählt, wer ich bin. Und ich habe sogar mit Alexander Sokurow ein bisschen Russisch geredet. Mit Johannes Zeiler, der den Faust spielt, konnte ich natürlich nur Deutsch sprechen.

Alexander Sokurow gilt als außerordentlich strenger Regisseur. Haben Sie das während der Dreharbeiten zu spüren bekommen?

Definitiv nicht. Er hat mich ganz sanft behandelt. Sokurow besitzt eine phänomenale Gabe: Wenn er mit dir redet, siehst und hörst du nichts mehr um dich herum. Da ist nur seine Stimme. Und du verstehst, was er von dir möchte. Das ist geradezu magisch.

Was haben Sie bei diesem Meister der Regiekunst gelernt?

Mich vor der Aufnahme zu konzentrieren. Alexander Sokurow hat mich gelehrt, dass man während dieser Zeit schweigen muss, sich nicht mit anderen unterhalten darf. Vorher war das ganz anders, da habe ich mit allen geplaudert und bin gleich danach zum Dreh gegangen.

Als der „Faust“ fertig war, hat sich meine Mutter den Film 20 Mal angesehen! Aber sie verehrt Alexander Sokurow sowieso abgöttisch… Nach diesem Film hat mir die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari eine Rolle in ihrem Projekt „The Capsule“ angeboten, so habe ich zum ersten Mal in einem Thriller gespielt. In den USA ist unser Film bereits im Verleih, die Europa-Premiere findet im August beim Filmfestival in Locarno statt.

In was für einem Film würden Sie noch gern mitwirken?

In einer Komödie! Ich möchte Italienisch und Französisch lernen, damit ich in einem italienischen oder französischen Film mitmachen kann. Und wenn die Dreharbeiten zu der zwölfteiligen Serie „Borgia“, in der ich die Lucrezia Borgia spiele, vorbei sind, will ich mein Handwerk vervollkommnen. Ich habe ja keine Schauspielausbildung. Jetzt freue ich mich aber erst einmal, dass mich das Festival VOICES wieder nach Russland geführt hat, wenn auch nur für eine Woche. 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitung Rossijskaja Gaseta.

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