Syrien-Konflikt tritt in eine neue Phase ein

Foto: RIAN

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Die Krise in Syrien tritt in eine neue Phase ein. Die Freie Syrische Armee (FSA), die wichtigste Kraft der bewaffneten Opposition, verkündete den Übergang zum Partisanenkrieg. Die Erklärung kommt einem Eingeständnis gleich, dass der FSA ein Sieg über das Assad-Regime nicht möglich ist. Von einer Entspannung der Situation im Land kann jedoch trotzdem keine Rede sein.

„Die Freie Syrische Armee wird den Krieg gegen die Armee des Regimes so lange führen, bis sie es mit seiner Partisanentaktik zermürbt hat”, äußerte sich am Dienstag der militärische Führer der FSA, Malik Kurdi, in einem Interview gegenüber der Washington Post. „Wir können nicht sagen, dass die FSA die vollständige Kontrolle innehat, genauso wenig können wird das von der Armee des Regimes sagen. Und das wird so lange der Fall sein, bis die FSA schwere Waffen bekommt und bis eine massenhafte Fahnenflucht einsetzt”, ergänzte Kurdi. 

Derzeit ist nicht sicher, ob es dem Assad-Regime gelingen wird, den Widerstand der bewaffneten Opposition vollständig zu unterdrücken. Fakt ist jedoch, dass diese bisher noch keine schwere Bewaffnung erhalten hat. Zwar berichteten westlicher Medien unter Berufung auf amerikanische Quellen davon, dass die Regierung des US-Präsidenten Barak Obama sich für eine Unterstützung der syrischen Opposition ausgesprochen habe - unter anderem durch die Lieferung von Kommunikationsmitteln und der Bereitstellung von Aufklärungsdaten. Von Waffenlieferungen an die Oppositionellen war jedoch nichts zu lesen. Von einem Sieg der Opposition kann also vorerst keine Rede sein.

Syrische Chemiewaffen als internationales Konfliktpotential

Die neuesten Entwicklungen des innersyrischen Konfliktes werden voraussichtlich auch nicht zu einem Nachlassen des politischen und medialen Drucks führen, die plötzliche Thematisierung der syrischen chemischen Waffen in den Medien zeugt eher vom Gegenteil. So zeigte sich Israel in den vergangenen Tagen zunehmend beunruhigt darüber, dass die chemischen Waffen in Syrien in die Hände von Islamisten - genauer genommen der Hisbollah - fallen könnten. Der Ministerpräsident Israels Benjamin Netanjahu äußerte in einem Interview gegenüber dem amerikanischen Fernsehsender Fox News die Befürchtung, dass nach dem Sturz des syrischen Regimes Chaos im Land herrschen und die Chemiewaffen in die Hände von Terroristen gelangen könnten.

„Wir möchten uns natürlich nicht der Gefahr aussetzen, dass solche Waffen in die Hände der Hisbollah oder anderer terroristischer Gruppierungen gelangen“, unterstrich Netanjahu. Zuvor hatte der Verteidigungsminister Israels Ehud Barak bereits erklärt, dass Israel die Möglichkeit militärischer Aktionen in Betracht zöge, wenn die Gefahr bestünde, dass chemische Waffen in die Hände von Terroristen gelangten. Und der Außenminister Israels Avigdor Lieberman unterstrich auf einer Pressekonferenz in Brüssel: „Wenn wir sehen, dass die Syrier ihre chemischen oder biologischen Waffen der Hisbollah übergeben, wird für uns ein kritischer Punkt erreicht sein. Von unserem Standpunkt aus betrachtet wäre dies ein ausgesprochener Casus belli, also der Anlass zum Krieg.”

Dagegen versuchte der Pressesekretär des US-Präsidenten, Jay Carney, die Journalisten zu beruhigen: „Wir glauben, dass sich die chemischen Waffen unter der Kontrolle der syrischen Regierung befinden. Aber wir sind äußerst beunruhigt über das Schicksal dieser Waffen in Anbetracht dessen, dass sich die Gewalt im Land zuspitzt und die Attacken des Regimes gegen das eigene Volk immer schärfer werden.“

Nach zwei Kriegen befindet Syrien sich auch weiterhin in einem Waffenstillstands mit Israel und sieht sich jetzt gezwungen, aus der Konfliktzone auf den Golanhöhen den größten Teil seiner Streitkräfte

abzuziehen, um sie im Landesinneren einzusetzen. Möglicherweise war die Ankündigung der israelischen Führung so buchstäblich aufgefasst worden, dass der offizielle Repräsentant der syrischen Hauptstadt Damaskus vorschnell erklärte, der Einsatz chemischer Waffen als Reaktion auf einen Angriff von außen wäre denkbar. Die Reaktion der USA und Westeuropas waren so stürmisch, dass die Äußerung bereits am nächsten Tag zurückgezogen wurde. Das Thema der syrischen C-Waffen bleibt jedoch im Zentrum der Aufmerksamkeit – mehr noch: Bei einem offiziellen Übergang des Konfliktes zu einem Bürgerkrieg erhält es eine völlig neue Bedeutung, zum Beispiel als Druckmittel gegenüber der bewaffneten Opposition.

Das syrische Regime verfügt gegenüber der FSA über einen wesentlichen Vorteil: Die Tatsache, dass Assad bereits anderthalb Jahre lang seine Machtposition aufrecht erhält, spricht für sich selbst. Der Einsatz chemischer Waffen gegenüber den Aufständischen wäre allerdings der sicherste Weg zum Untergang des syrischen Regimes, von dem sich in diesem Falle die wenigen verbliebenen Bündnispartner abwenden und in unversöhnliche Gegner verwandeln würden.

Gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax schätzte der Moskauer Militärexperte Walentin Jurtschenko die Möglichkeit des Einsatzes chemischer Waffen gegen die bewaffnete Opposition als äußert unwahrscheinlich ein, da „so ein Schritt unweigerlich eine ausländische Militärintervention nach sich zöge”. Darüber hinaus könnten seiner Meinung nach „die syrischen Militärs bei Sicherheitsproblemen ihrer Waffenbestände Kontakt zu ihren amerikanischen Kollegen aufnehmen, was beide Seiten etwas beruhigen würde.” Jurtschenko erinnerte außerdem daran, dass die Amerikaner bereits im Februar berechnet hatten, dass im Falle einer „Wachablösung“ eine Armee mit einer Stärke von 75 000 Mann zur Bewachung der Lager mit den syrischen chemischen Waffen nötig sein würde.

UN-Mandat ohne Russland nicht möglich

Doch was passiert, wenn syrische Extremisten ein Auge auf diese Arsenale werfen? Anscheinend verfügt Syrien über sogenannte

Erklärung des Außenministeriums der Russischen Föderation zu einem möglichen Einsatz chemischer Waffen in Syrien:

Russland geht davon aus, dass Syrien sich strikt an die von ihnen selbst auferlegte Verpflichtung des Verbots chemischer Waffen halten wird, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Kommentar des Außenministeriums der Russischen Föderation. „Wir möchten unterstreichen, dass Syrien das Genfer Protokoll aus dem Jahre 1925, das die Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege verbietet, 1968 ratifiziert hat. Die russische Seite geht davon aus, dass die syrischen Machthaber sich auch in Zukunft strikt an die von ihnen eingegangenen internationalen Verpflichtungen halten werden“, heißt es in der Erklärung.

Binärwaffen, deren Komponenten getrennt aufbewahrt werden müssen, erklärte ein russischer Experte auf dem Gebiet der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Der Überfall auf eines der Lager durch Extremisten würde deshalb keinesfalls bedeuten, dass sie die Waffen auch tatsächlich in ihre Gewalt bringen könnten. Trotzdem könnte ein solcher Versuch als Provokation aufgefasst werden. Gleichzeitig zeuge die „akute Behandlung des Themas der syrischen C-Waffen davon, dass diese als Anlass für eine Intervention dienen könnten.”

„Das Thema chemische Waffen wühlt die öffentliche Meinung auf. Es ist nicht ausgeschlossen, dass vor dem Hintergrund eines Bürgerkrieges der Vorschlag geäußert wird, sie unter die Kontrolle internationaler Kräfte zu bringen, unter anderem auf Grundlage eines Mandates der Vereinten Nationen. Allerdings ist ohne das Einverständnis Russlands keine Entscheidung der Vereinten Nationen zu erlangen. Und die Übernahme der Kontrolle über die syrischen Chemiewaffen wäre die Ouvertüre zur größtmöglichen Destabilisierung im Nahen Osten.“

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