Das Protokoll über die Aufnahme Russlands in das Marrakesch-Abkommen über die Gründung der WTO tritt am 22. August in Kraft. Somit wird Russland zum 156. Mitglied der Organisation. Foto: AFP_Eastnews
Nun sind sie wirtschaftlich vereint, Russland und die entwickelte Welt. Duma und Senat haben im Juli den russischen Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO ratifiziert. Auch das Oberste Gericht wollte sich nicht quer stellen. Es befand, dass die Zentrale Wahlkommission zurecht Anträge auf ein Referendum abgewiesen hatte. Am 21. Juli setzte Wladimir Putin seine Unterschrift unter den Beitrittsvertrag.
Zog es die Russen in die WTO, oder sanken sie hin? Beides, meinen die engagierten Gegner des Beitritts. Sie werfen Präsident Putin vor, das Land finsteren internationalen Mächten auf dem Silberteller zu servieren. Und natürlich greife „der Westen“ auch gerne zu, da die nimmersatten Weltkonzerne und Banken seit Anbeginn der Menschheit ein Auge auf Mütterchen Russland geworfen hätten.
Eine Woche vor der Duma-Abstimmung zogen Linke und Kommunisten durch die Zentren der Städte Russlands, um gegen den „WTO-Überfall“ zu protestieren. „WTO – der Tod Russlands“, war da zum Beispiel auf den Plakaten zu lesen. In Moskau mit dabei war auch Sergej Udalzow, ansonsten eine der Gallionsfiguren der bei den WTO-Partnern beliebten Anti-Putin-Proteste.
In der Duma herrschte bis zum Schluss der Geist der Zwietracht. Seit dem Abschluss der Verhandlungen Ende 2011 hatte man um eine gemeinsame Position gerungen, im Plenum und in eigens gebildeten Ausschüssen, um dann am Ende doch gegeneinander zu stimmen – die Regierungspartei „Einiges Russland“ dafür, der Rest dagegen. Dass alle wussten, über was genau abgestimmt wurde, darf bezweifelt werden. Das Protokoll, in dem die Bedingungen des Beitritts festgehalten sind, angeblich 1.500 Seiten dick, soll nur auf Englisch vorgelegen haben.
Die Bevölkerung insgesamt ist ebenfalls unentschieden. Das Lewada-
Center hat erhoben, dass 39 Prozent der Russen Vorteile für ihr Land erwarten, 35 Prozent dagegen eher die Nachteile sehen. In derselben Umfrage gaben übrigens 59 Prozent der Befragten an, dass Russland in die EU solle. Im Internet, bei Radiosendungen und nicht repräsentativen Umfragen lokaler Medien entspricht das Meinungsbild den starken Worten der Kommunisten. Die WTO ist unpopulär und wird es jenseits der konsumorientierten Großstädte aller Voraussicht auch bleiben.
Die Mitgliedschaft in der WTO wird in der russischen Öffentlichkeit mit der künftigen Senkung der Zölle gleichgesetzt. Ausländische Waren werden dadurch tendenziell billiger und erobern weitere Teile des Binnemarktes. Einheimische Firmen werden künftig in Russland immer weniger verkaufen – das ist unausweichlich, es sei denn, sie reißen sich am Riemen und modernisieren konsequent, bis sie ähnlich billig produzieren können, wie die besten Konkurrenten im Rest der WTO-Welt. Was der einen berechtigte Angst, ist der anderen Hoffnung.
Die Befürworter der WTO-Mitgliedschaft verweisen gerne auf die lange Vorlaufzeit. Wer bis jetzt nicht die Notwendigkeit der Modernisierung erkannt hat, dem ist ohne die Peitsche nicht zu helfen. Der enorme Erfolgsdruck durch die sinkenden Zölle werde dazu führen, dass die Rohstoffgelder gezwungenermaßen effektiver in die einheimische Wirtschaft investiert werden. Auf dem Weg dieser Anpassung werden viele Firmen und Träume liegen bleiben. Doch am Ende verfügt die eigene Wirtschaft, so die Hoffnung, über einen Stamm von produktiven Unternehmen, deren Waren auch bei den Europäern und in den USA reißenden Absatz finden. Als 156. Mitglied der WTO kann es nun auch Russland versuchen mit dem ungeschützten Welthandel.
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