"Wenn wir ein Erfolg sehen wollen, müssen wir mit vereinten Kräften und in friedlicher Weise auf die oppositionellen Gruppen einwirken und sie dazu veranlassen, mit dem Schießen aufzuhören", so Außenminister Lawrow. Foto: RIAN
„Die USA haben bereits erklärt, dass sie unter Umgehung des UN-Sicherheitsrats handeln werden. Wir können diese Position nicht nachvollziehen", erklärte der russische Außenminister Lawrow nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax am Samstag.
Im Juni war bei einem Treffen in Genf eine gemeinsame Arbeitsgruppe für Syrien eingerichtet worden, welche die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und einige Nachbarländer von Syrien zusammenbringen soll. Im Anschluss an das Treffen erklärte der Sprecher des US-Außenministeriums Patrick Ventrell: „Sie [Russland und China] haben drei Mal eine Resolution blockiert. Wir wollten, dass sie ihre Position ändern, doch dazu waren sie nicht bereit. Gäbe es Perspektiven, würden wir unsere Bemühungen über die UNO weiter fortsetzen. Schließlich verfügen wir über eine ausgeklügelte Strategie und haben keinesfalls vor, unsere Vorgehensweise nur deshalb zu beenden, weil keine Resolution zustande gekommen ist."
„Ich finde es unverantwortlich, dass Washington und einige andere Hauptstädte erklären, das 'Genfer Kommuniqué ist tot'. Dabei handelt es sich um den wichtigsten Konsens zur Beilegung des Syrienkonflikts, der unter Beteiligung der westlichen Länder, Russlands, Chinas, führender arabischer Staaten und der Türkei erreicht wurde", äußerte sich Lawrow.
„Die Erklärungen, es handele sich um ein 'totes Dokument', zeigen, dass hier voller Ungeduld nach einem Vorwand gesucht wird. Ein Vorwand, um friedliche Methoden der Konfliktbeilegung als perspektivlos bezeichnen und zu anderen Mitteln zu greifen. Das beunruhigt uns sehr, da dies zu einer großen Katastrophe in der Region führen wird", fuhr der russische Außenminister fort.
Weiterhin unterstrich er, der Rücktritt des syrischen Präsidenten Assad könne nicht von außen erzwungen werden. „Darüber haben die Syrer selbst zu entscheiden", so Lawrow.
„Dem syrischen Regime sind zweifellos viele Fehler unterlaufen. Die
Konfrontation begann zunächst gewaltlos, doch dann kam es zur Anwendung von Gewalt und dem Einsatz von Waffen. Der Konflikt konnte sich vor allem deshalb so verschärfen, weil diejenigen, die von Anfang an Assads Rücktritt forderten, die Interessen eines anderen Teils des syrischen Volkes ignorieren. Des Teils, der in Assad die Garantie seiner Rechte sowie der Sicherheit im syrischen Staat sah und noch immer sieht", unterstrich der russische Außenminister.
Lawrow verwies auf die äußerst schwierige konfessionelle und ethnische Zusammensetzung des syrischen Volkes: „Auch die Minderheiten, die hinter Assad stehen und hoffen, dass er ihre Rechte verteidigt, sind ein Teil des syrischen Volkes.“
Der Minister schlug einen Waffenstillstand in Syrien unter Verantwortung „auswärtiger Spieler“ vor. Ohne sie werde die Mission des neuen UN-Syrienbeauftragten Lakhdar Brachimi zu keinem Ergebnis führen.
„Es wird kein politischer Dialog zustande kommen und jegliche Bemühungen werden auf lange Sicht fruchtlos sein, wenn die Gewalt nicht beendet werden kann. Wenn wir ein Erfolg sehen wollen, müssen wir mit vereinten Kräften und in friedlicher Weise auf die oppositionellen Gruppen einwirken und sie dazu veranlassen, mit dem Schießen aufzuhören. Wir müssen sie davon überzeugen, uns ihre Verhandlungsführer zu nennen und sie an einem neutralen Ort zusammenbringen, um eine Übereinkunft zu erzielen", ist der russische Außenminister überzeugt.
Im Interview mit einem ausländischen Fernsehsender dementierte Lawrow Berichte, denen zufolge Russland mit Syrien neue Verträge über Rüstungslieferungen abschließe. Der stellvertretende Staatssekretär für Europäische und Eurasische Angelegenheiten der USA Philip Gordon hatte Russland zuvor wegen der Waffenlieferungen an Syrien kritisiert. Lawrow konterete: „Lassen Sie uns bei der Wahrheit bleiben: Es geht um Waffen und Technik, die noch zu Zeiten der Sowjetunion gekauft wurden. Wir haben bereits mehrfach betont, dass wir lediglich alte Verträge erfüllt haben. Neue wurden bislang nicht abgeschlossen."
Die aus amerikanischen Militärkreisen stammenden Pläne zur Schaffung einer Flugverbotszone über Syrien hält der russische Außenminister für eine Verletzung der staatlichen Souveränität Syriens sowie für einen Verstoß gegen die Satzung der UNO.
Pulverfass Iran gar nicht so explosiv
In dem Interview äußerte sich Lawrow auch zum iranischen Atomprogramm. Seiner Ansicht nach stelle dieses keine größere Gefahr dar als viele andere internationale Probleme.
„Die Meinungsverschiedenheiten, die noch immer zwischen den Mitgliedern der Sechsergemeinschaft und dem Iran bestehen, sind sehr
ernst. Allerdings würde ich nicht sagen, dass sie schlimmer sind als die Divergenzen im palästinensisch-israelischen oder arabisch-israelischen Konflikt. Und auch nicht schlimmer als die Divergenzen über die Westliche Sahara oder die Probleme bei der Schaffung einer Zone im Nahen Osten, die frei von Massenvernichtungswaffen ist", konstatierte Außenminister Lawrow. „Ich kann keinen Grund dafür erkennen, dass ausgerechnet das iranische Atomprogramm zum einzigen Pulverfass deklariert wird, das demnächst in die Luft gehen wird", fügte er hinzu.
Lawrows Worten zufolge sieht Russland die in Istanbul und Moskau durchgeführten Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm nicht als gescheitert an. „Sowohl in Istanbul als auch in Moskau und auch bei den anschließenden Gesprächen wurde ein Fortschritt erzielt. Die Parteien haben ihre Positionen klar und detailliert dargelegt, möglicherweise in zuvor nie dagewesener Art und Weise. Und sie haben dies nicht in Form von Losungen und nicht in deklaratorischer Weise getan, sondern stets anknüpfend an konkrete Bestandteile des Problems: die Anreicherung von Uran, Prozentsätze bei der Urananreicherung und deren Einstellung, konkrete Schritte zur Kompensation usw.", führte der Leiter des russischen Außenministeriums weiter aus.
Lawrow betonte, dass die Verhandlungspartner das iranische Atomproblem stufenweise und gemeinsam lösen wollten. „Und in diese Richtung bewegen wir uns", unterstrich der Minister. Verhandlungen, nicht militärische Interventionen, seien der einzige Weg zur Lösung des Problems.
Die ungekürzte Fassung des Interviews erschien zuerst bei vz.ru.
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