Вie Brücke über die Bucht Goldenes Horn in Wladiwostok. Foto: TASS
Wichtigste geopolitische Aufgabe
Premierminister Dmitri Medwedew sprach neulich von der Notwendigkeit, Russland müsse seinen Fernen Osten vor der übermäßigen Expansion der Nachbarstaaten schützen. Tatsächlich sprach er damit vielen aus der Seele: Wenn Russland nicht endlich in die Entwicklung der lange vernachlässigten Region investiert, wird es ein Anderer tun.
Russlands Pazifik-Region – zweimal so groß wie Indien – bereitet der über 6000 km entfernten Zentrale in Moskau schon seit langem Kopfzerbrechen. Nach einer eher unentschlossenen Entwicklungspolitik zu Sowjetzeiten war die Region in den wilden 1990er Jahren weitgehend sich selbst überlassen. Die Bevölkerung ist seither um 14 Prozent geschrumpft.
Vor zehn Jahren konnte es sich der Föderalstaat noch leisten, seine äußeren Regionen in der Stagnation versinken zu lassen, ohne große Folgen spüren zu müssen. Doch nun kommt der Druck von einer anderen Seite: Das ressourcenhungrige China mit seiner 1,3 Milliarden zählenden Bevölkerung klopft an.
Die Chinesen haben bereits damit begonnen, ihre Präsenz in der Region zu markieren: In vielen Städten gibt es große chinesische Viertel und sogar zweisprachige Verkehrsbeschilderungen. Russlands Antwort beschränkte sich bisher vor allem auf die Steigerung der politischen und militärischen Präsenz vor Ort. Doch dies kann die immer offensichtlicher werdende Notwendigkeit einer echten Entwicklung der Region kaum vertuschen.
Im vergangenen Frühling hatte Präsident Wladimir Putin die Entwicklung des Fernen Ostens als „wichtigste geopolitische Aufgabe“ für Russland bezeichnet und hohe Wachstumsraten für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre gefordert. Mit der neuen Regierungsbildung im Mai dieses Jahres entstand auch ein Ministerium für die Entwicklung des Fernen Ostens. Daneben gibt es Pläne für eine neue staatliche Firma, die den Fernen Osten und Ostsibirien weiter entwickeln soll, indem sie Kohlenwasserstoff-Lizenzrechte und die Konditionen für ausländische Investitionen kontrolliert.
Mit der Entscheidung, den APEC-Gipfel in Wladiwostok durchzuführen, wurde unter großen staatlichen finanziellen Aufwendungen die Infrastruktur der Stadt modernisiert.
Die Weiterentwicklung der Region ist nicht nur eine Frage der nationalen
Sicherheit – sie hat aufgrund der Nähe zum Wachstumsmarkt Asien auch eine große wirtschaftsstrategische Bedeutung. „Die russische Wirtschaft ist immer noch zu stark auf das stagnierende Europa ausgerichtet“, sagt Artjom Lukin, Assistenzprofessor für regionale und internationale Studien an der Fernost-Universität Wladiwostok gegenüber den Moscow News. „Will Russland an der blühenden asiatischen Wirtschaft teilhaben, muss es seine pazifischen Gebiete entwickeln.“
Ressourcen in Hülle und Fülle
Die Hafenstadt Wladiwostok ist aufgrund ihrer Nähe zu China und Japan ein Schlüsselelement in Russlands wirtschaftlichem Engagement in Asien. Auch wenn die Region 36 % von Russlands gesamtem Staatsgebiet ausmacht, leistet sie gemäß dem staatlichen Statistikdienst nur 5,6 % am Bruttoinlandsprodukt. Dies ist viel eher mit mangelnder Entwicklung als etwa mit fehlendem Potential der Region zu erklären. Die Region bietet reiche Öl- und Metallvorkommen, besitzt viel anbaufähiges Land und riesige unangetastete Wälder.
Im Juli publizierte der Waldaj Diskussions-Club, ein Expertenpool aus namhaften Wissenschaftlern und Politikern, einen Bericht, in dem erklärt wird, Russland habe bei seiner Getreideernte ein Wachstumspotential von 150 %, wenn es nur seine unendlichen Weiten in Sibirien und dem Fernen Osten entwickeln würde. Die Nachfrage jedenfalls wächst im benachbarten China Tag für Tag.
Das entsprechende Exportpotential muss mit der Errichtung der nötigen Infrastruktur allerdings erst geschaffen werden. Momentan gibt es nicht einmal eine Straßenverbindung nach China, der gesamte Verkehr läuft über eine einzige Bahnlinie. Das Potential wird noch lange nicht ausgeschöpft, sind sich die Experten einig.
China ist der Schlüssel
China ist der Schlüssel
Die größten Hindernisse bei der Entwicklung der Region sind das Arbeitskräftedefizit und ein Mangel an nichtstaatlichen Investitionen, diagnostiziert Viktor Ischajew, der neue Minister für die Entwicklung des Fernen Ostens.
“Staatliche Pläne zur Umsiedlungen von ganzen Bevölkerungsteilen in den Fernen Osten zu Sowjetzeiten haben nicht funktioniert. Vielmehr müssen wir Jobs mit wettbewerbsfähigen Löhnen schaffen“, äußerte sich Ischajew bei einem Journalisten-Briefing in Moskau vergangene Woche.
Ironischerweise ist es China mit seiner boomenden Wirtschaft und riesigen Bevölkerung, das die Lösung für beide Probleme liefert. Für kein anderes Land ist der Anreiz so groß, in die Entwicklung der Region zu investieren.
Eine Umfrage des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung hat jüngst ergeben, dass etwa 60 % der Befragten, welche die Region wegen Arbeitslosigkeit oder zu niedrigen Löhnen verlassen möchten, bleiben würden, wenn chinesische Firmen großangelegte und langfristig orientierte gemeinsame Entwicklungsprojekte starten würden.
Trotz des immer wiederkehrenden Themas der nationalen Sicherheit
haben die föderalen Behörden allem Anschein nach nun realisiert, wie nötig es ist, bei der Entwicklung der Region mit den Chinesen zusammenzuarbeiten. Eine Reihe von Wirtschaftsabkommen zwischen Moskau und Peking ist bereits unterzeichnet. Große chinesische Firmen haben ihren Willen bekundet, mit dem neuen Ministerium für die Entwicklung des Fernen Ostens direkt zusammenzuarbeiten. Einige sprechen bereits über mögliche Milliardeninvestitionen in Infrastruktur- und Energieprojekte.
Eine neue Hauptstadt?
Doch falls es Russland mit der Entwicklung seines Fernen Ostens wirklich ernst meine, sei das größte zu überwindende Hindernis die extreme Abhängigkeit von Moskau, kommt der Waldaj-Bericht zum Schluss. Die Behörden können noch so viel Bemühungen in die Heranziehung von Investitionen und Arbeitskräften stecken, doch wenn die Verantwortlichen sieben Zeitzonen von der Region entfernt in Moskau sitzen, können sie ihr niemals die nötige Aufmerksamkeit schenken.
Das neue Ministerium für die Entwicklung des Fernen Ostens mit Sitz in der Regionalhauptstadt Chabarowsk ist ein Schritt in die richtige Richtung. Einige Analysten gehen davon aus, dass der russische Staat sogar weitergehen und Wladiwostok zur informellen dritten Hauptstadt nach Moskau und St. Petersburg machen könnte.
“Die internationale Erfahrung zeigt, dass einer der effektivsten Wege zur Entwicklung neuer prioritärer Regionen die Verlegung der Hauptstadt oder zumindest einzelner hauptstädtischer Funktionen ist“, führt der Waldaj-Bericht weiter aus.
Die Autoren des Berichts empfehlen die Verlegung eines großen Teils der Staatsverwaltung in die Stadt am Pazifik. So solle Wladiwostok alle Sozial-, Finanz- und Wirtschaftsbehörden, St. Petersburg die kulturellen Institutionen und Moskau den Verteidigungs- und Sicherheitskomplex beherbergen.
Wie schätzt die Lokalbevölkerung die jüngsten Entwicklungen ein?
Jeder, den Sie fragen, wird ihnen sagen, dass das für die Stadt einfach phantastisch ist. Nirgendwo verfügen Städte oder Regionen über die Budgets, um so viel zu bauen. Wir haben neue Straßen, eine Brücke, ein Theater, ein Sportzentrum und ein Ozeanarium bekommen, sogar unser Abwassersystem ist neu. Ich bezweifle, dass ohne den APEC-Gipfel so viel Gutes auf die Stadt zugeflogen wäre. Jeder versteht hier, dass wir einfach sehr viel Glück hatten.
Gab es Aspekte, mit denen die Bevölkerung nicht einverstanden war?
Wäre der Universitätscampus in der Stadt und nicht auf der Insel gebaut worden, hätte das gesamte Projekt die Hälfte gekostet. Die Insel hat eine Fläche, die grösser ist als jene von ganz Wladiwostok. Alles, was es vorher dort gab, war eine Militärbasis. Es gab kein Abwassersystem, keine Elektrizität, keine Straßen. In der Stadt gibt es viele Orte, die stattdessen hätten verwendet werden können. Es sieht danach aus, dass jemand ganz weit oben einmal beschlossen hat, dass der Gipfel auf der Insel stattfinden soll, und jeder folgte diesem Beschluss, ohne dessen Logik zu hinterfragen.
Ein anderes Problem ist, dass alles aus dem föderalen Budget gebaut wurde und die Leute sich nun fragen, woher das Geld für die Instandhaltung der neuen Infrastruktur kommen soll.
Glauben Sie, dass der russische Staat daran interessiert ist, den Rest des russischen Fernen Ostens zu entwickeln?
Ich denke, es besteht ein Interesse an der Ausschöpfung des Ressourcenpotentials der Region, besonders im Bereich Öl und Gas. Es wird bereits viel Geld in die Exploration und in Bohrarbeiten auf Sachalin und Kamtschatka investiert.
Die Erdgas-Pipeline zwischen Sachalin und Wladiwostok ist fast fertiggestellt. Es wird viel geredet über die Entwicklung anderer Industriezweige in der Region, aber momentan fließt das Geld nach wie vor fast ausschließlich in die Öl- und Gasindustrie.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitung The Moscow News.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!