Das deutsche Schiff bei der Ölbekämpfungsübung in Ostsee. Foto: Pauline Tillmann
Der finnische Meerbusen ist gnädig. Der angekündigte Wellengang bleibt heute aus. Sanft schwappt das Wasser am Bug der „Küstenwache“ entlang. Das Schiff ist in die deutschen Nationalfarben getaucht. Der Wind bläst durch die Ritzen, ansonsten ist es ruhig. Fast scheint es als ob nichts passiert, aber in Wirklichkeit bringt sich die deutsche Küstenwache in Stellung. Gemeinsam mit 70 anderen Schiffen führte sie in dieser Woche die größte Ölbekämpfungsübung in der Geschichte der Ostsee durch.
Die Übung wurde vom finnischen Umweltinstitut SYKE koordiniert. Jedes Jahr findet sie in einem anderen Ostsee-Anrainerstaat statt. Dieses Jahr ist Finnland dran, deshalb wird die Übung an der Küste von Helsinki abgehalten. Chef der Operation ist Kalervo Jolma, ein hagerer Mann mit dunklem Dreitagebart. Jolma spricht davon, dass es solche Simulationen seit 1989 gibt. Im Wesentlichen werden zwei Szenarien geprobt: Entweder ein Tanker läuft auf Grund oder er kollidiert mit einem anderen. Im letzten Jahr sind in der Ostsee zehn Tanker auf Grund gelaufen – und vier kollidiert. Dabei sind einige hundert Liter Öl ausgelaufen. Das ist vergleichsweise wenig, wenn man bedenkt, dass bei der letzten großen Katastrophe im Jahr 2003 mehr als 120.000 Tonnen Öl ausgelaufen sind. Das Besondere: Mehr als 90 Prozent davon konnten von speziellen Schiffen eingesammelt und unschädlich gemacht werden.
Die Ölbekämpfungsübung in der Ostsee, „Balex Delta“, kostet mehr als eine Million Euro. „Das klingt nach viel, ist aber vergleichsweise wenig“, meint Kalervo Jolma, „schließlich gehen die Kosten bei einem Unfall schnell mal in die Milliarden.“ Neben deutschen sind noch finnische, schwedische, dänische, polnische, litauische, lettische, estnische und russische Schiffe im Einsatz. Außerdem wird die Übung zum ersten Mal mit Geldern der Europäischen Union unterstützt. Wenn kleinere Übungen in der Nordsee abgehalten werden, kommt auch schon mal Popcorn zum Einsatz, um das Öl zu simulieren. An der Küste von Helsinki verwendet man nur ein bisschen Torf. Da das Übungsszenario eine Fläche von 100 Quadratkilometern umfasst, spielt sich das meiste im Navigationssystem ab. Darüber hinaus werden Ölsperren ausgebreitet. Schlauchboote und Helikopter überwachen das Gebiet. Bei 15 Grad über Null üben die Seeleute wichtige Handgriffe für den Ernstfall.
Ölkatastrophe wie im Golf von Mexiko undenkbar
„So etwas wie die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko wäre in der Ostsee nicht vorstellbar“, erklärt Kalervo Jolma. Der Grund: In der Ostsee gibt es nur wenige Tiefseebohrungen. Deshalb sind die Dimensionen anders. Im Golf von Mexiko sind innerhalb von drei Monaten mehr als 780 Millionen Öl ins Meer gelaufen. In der Ostsee hält man es für wahrscheinlicher, dass ein Tanker kentert und bis zu 130.000 Tonnen Öl verliert. „Aber auch das hätte dramatische Folgen für die Umwelt“, erklärt Wissenschaftler Sakari Kuikka von der Universität Helsinki. Der 52-Jährige beschäftigt sich mit Risiko-Analysen und zitiert eine Statistik, wonach im Durchschnitt alle 50 Jahre ein Tanker mit 35.000 Tonnen Öl ausläuft. „Die Ostsee ist ein besonders empfindliches Ökosystem“, meint Kuikka, „hier leben 70 vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten – wenn sie von einem Ölteppich erstickt werden, ist ihre Art für immer verloren.“
Im letzten Jahr haben die Ostsee mehr als 20.000 Öltanker passiert – und sie haben immer mehr Öl an Bord. Das heißt, wenn ein Tanker auf Grund läuft oder kollidiert, hat das dramatischere Folgen für die Umwelt als früher. Dessen sind sich die Ölkonzerne bewusst. Und so stellt Wissenschaftler Sakari Kuikka fest: „Seit der Ölpest im Golf von Mexiko sind die Ölkonzerne offener für das Thema Sicherheit.“ Wenn man allerdings konkret nachfragt, halten sie sich in der Regel bedeckt. Aus der Presseabteilung von Shell in London heißt es: „Wir geben keinen Kommentar dazu ab, ob wir bei unserem Krisenmanagement nach der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ nachjustiert haben.“ Auch beim österreichischen Mitbewerber ÖMV ist man wortkarg und verweist lieber auf den Europäischen Fachverband der Öl- und Gasindustrie. Einer der Pressesprecher von BP in Deutschland, Detlef Brandenburg, ist trotz mehrmaliger Anfrage für eine Stellungnahme erst gar nicht zu erreichen.
Massive Fehler bei „Deepwater Horizon“
Was die Ölkonzerne also aus einer der größten Naturkatastrophen aller Zeiten gelernt haben, ist völlig unklar. Fest steht, die Explosion war „vorhersehbar und vermeidbar“, wie der Bericht der von Barack Obama eingesetzten Untersuchungskommission belegt. Demnach seien Sicherheitsvorkehrungen vernachlässigt worden – und die zuständige Regierungsaufsicht habe die Bohrungen nicht wirksam genug überwacht. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace fordert Tiefseebohrungen generell zu verbieten. Warum? Weil es weltweit tausende Bohrinseln gibt, die zu ähnlichen Katastrophen führen könnten. In der Ostsee bleibt das Problem abstrakt, konkrete Gefahr geht eher von einem havarierten Tanker aus. Und so kann man mit der Ölbekämpfungsübung zwar die Abläufe üben, damit es zu einer schnelleren Rettung kommt. Aber wenn ein Tanker zum Beispiel in Flammen aufgeht, sind auch die an „Balex Delta“ beteiligten Schiffe vor allem eins: ratlos.
Vor einigen Wochen ging der Containerfrachter „Flaminia“ in Flammen auf und trieb brennend im Atlantischen Ozean herum. Inzwischen befindet er sich vor der deutschen Küste, aber da das Schiff mit explosivem Material beladen ist, ist es schwierig das Feuer in den Griff zu bekommen. Unklar ist auch die Frage: Wer kommt überhaupt für den Schaden auf? Der Eigner – eine Reederei aus Buxtehude – oder die Versicherung? Und was ist wenn ein Tanker vor Finnland kentert? Dann sind die finnischen Rettungsschiffe zuerst vor Ort – und die Kosten trägt demnach der finnische Steuerzahler. In den meisten Fällen handelt es sich aber um keinen finnischen Tanker sondern um einen russischen. Streit ist also vorprogrammiert, wenn auch nur hinter den Kulissen.
Und so ist bei der Ölbekämpfungsübung „Balex Delta“ davon nicht viel zu spüren. Nach 31 Stunden ist alles vorbei und die Organisatoren sagen zum Abschied: Man sei erfolgreich gewesen. Woran sie den Erfolg messen, können sie zwar nicht so genau sagen, aber vielleicht – unter anderem – daran, dass sich die deutsche Küstenwache richtig in Stellung gebracht hat.
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