Päpste, Punks und Pussies

Weltweite Solidarisierung: Eine Demo der Amnesty International zur Unterstützung der Punk-Band Pussy Riot in Edinburgh, Schottland (Foto:Reuters/Vostock-Photo)

Weltweite Solidarisierung: Eine Demo der Amnesty International zur Unterstützung der Punk-Band Pussy Riot in Edinburgh, Schottland (Foto:Reuters/Vostock-Photo)

Was verbindet den Papst-Aufmacher der "Titanic" und die Pussy Riots? Klar: satirischer Hintergrund, der missverstanden wird.

 

Wenn in Deutschland ein Satiremagazin dem Papst peinliche Flecken auf die Soutane retuschiert, führt das bestenfalls zu Empörungsroutine. Natürlich regen sich ein paar Leute auf, und der Vatikan hat der Redaktion den Gefallen getan, zu klagen. Das ist gut für die Auflage. Das Ende ist absehbar: eine Geldstrafe, vielleicht ein Freispruch, weil Satire alles darf. Die Deutschen diskutieren mit Freunden darüber, mit Kopfschütteln oder Schmunzeln, aber das war’s. 

 

 

Ganz anders die Haltung der Russen zu Pussy Riot. Eine große Mehrheit fühlt sich von den drei Aktionskünstlerinnen provoziert. Dabei sind die Russen weder besonders fromm noch besonders prüde. Immer gab es extreme Avantgarde-Künstler in der Geschichte des Landes. Kein Tabu, das in den wilden 90er-Jahren nicht gebrochen wurde. Normalerweise sind es eher die Russen, die Deutsche für verklemmt halten. Warum dann die ablehnende Reaktion auf das „Punkgebet“? Russen lieben es, Normen zu übertreten, aber sie haben auch ein starkes Gefühl dafür, was „man“ nicht tut. 

 

Russland ist das Land der werkgetreuen Theateraufführungen. Shakespeare’sche Helden in Unterwäsche oder Latex sieht der Theaterfreund nicht gerne. Russen können gegenüber Unbekannten extrem unhöflich sein, aber Kinder, die Erwachsene duzen, gibt es nicht. Viele fluchen sehr ordinär, aber nie in Gegenwart einer Dame. Und in einer Kirche Unfug zu treiben, das tut man eben auch nicht. Da sind sich orthodoxe Russen mit ihren muslimischen, jüdischen oder buddhistischen Landsleuten einig. Religionszugehörigkeit ist Teil der Identität. Als Russe ist man orthodox, als Tatar ein Muslim. Und wer was gegen meine Religion sagt, der greift mich an, auch wenn ich den lieben Gott ansonsten einen guten Mann sein lasse.

 

In Russland kann man noch provozieren. Wenn, wie in Deutschland, der gröbste Tabubruch bestenfalls eine Mediendebatte hervorruft, wird der Provokateur zum Hanswurst. In Russland kann er zum Märtyrer werden, weil die Provokation ernste Folgen haben kann. Vor allem, wenn Volk und Machthaber sich gleichermaßen angegriffen fühlen.

 

Der Autor ist Experte für russisch-deutsche Spiegelungen.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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