Schwydkoj: Es gibt besondere historische Traditionen zwischen Russland und Deutschland. Foto: ITAR-TASS
Russland HEUTE: Das Doppeljahr 2012/13 ist zum Russlandjahr in Deutschland und gleichzeitig zum Deutschlandjahr in Russland ausgerufen worden. Es steht unter Schirmherrschaft der beiden Präsidenten Putin und Gauck. Nach der gemeinsamen Auftaktveranstaltung Ende Juni in Moskau und dem kleinen Gegenauftakt beim "internationalen Kinderforum" in Bonn gestaltete sich am 30. August das Gala-Konzert "Sternbild Russland" zweifellos für alle Anwesenden zu einem kulturellen Höhepunkt. Russland fuhr seine besten nationalen Ensembles für dieses bedeutende Event im kulturellen Herzen in Berlin auf: Der Pjatnizkij-Chor sang "Katjuscha" und "Kalinka", begleitet von Balalaikas und Harmonikas. Feurige Kaukasier boten die traditionelle Lesginka, dar. Und Interpreten aus dem Altai irritierten und erstaunten gleichzeitig mit ihrem Kehlkopfgesang. Warum haben Sie eigentlich keine zeitgenössischen Gruppen eingeladen?
Michail Schwydkoj: Das Bolschoj-Theater und das Marijnskij-Theater, der Pjatnizkij-Chor und das Igor-Mojssejew-Ensemble - das sind Symbole der russischen Kultur. Deshalb auch haben sie das Russland-Jahr eröffnet. Aber bereits im Herbst werden in Berlin das Festival des russischen Theaters und des zeitgenössischen Films an den Start gehen. Das Moskauer Dmitrij-Krymow-Theater wird mit dabei sein. Ebenso das russische Ingenieur-Theater AXE aus St. Petersburg. Diese Ensembles widerspiegeln den modernen Ansatz. Einer der Festival-Gäste wird der Regisseur Andrej Swjaginzew sein, der im Westen sehr gut bekannt ist.
Der Schriftsteller und Dichter Dmitrij Bykow wird anreisen. An der Buchmesse in Frankfurt am Main im Herbst werden Pawel Baginskij (Verfasser des Romans "Lew Tolstoi: Flucht aus dem Paradies", der unlängst in deutscher Übersetzung erschien) und Sachar Prilepin teilnehmen. Auf dem Literaturfestival im April wird man Ludmila Ulizkaja, der Dichterin Maria Stepanowa und dem Schriftsteller und Philologen Alexej Warlamow begegnen können. Nach Deutschland werden Autoren mit sehr persönlichen Überzeugungen und Ansichten über das politische Leben in Russland kommen. Kurz - wir werden im Russlandjahr sowohl traditionelle Folklore, als auch moderne russische Kultur nach Deutschland bringen.
Dennoch bleibt die Frage, wie nahe ist und wird Russland dem Durchschnittsdeutschen, ist das Land für die deutschen Jugendlichen interessant?
Für Menschen meiner Generation, die unmittelbar nach dem Krieg zur Welt gekommen sind, sind die russisch-deutschen Beziehungen etwas ganz Besonderes. Aber inzwischen hat sich die Situation geändert. Russland und Deutschland sind zwei unabhängige, normale Länder. Dennoch bestehen besondere historische Traditionen. In Deutschland leben fünf Millionen Migranten aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken, zudem studieren hier mehr als siebentausend russische Studenten. Sie sind ein Pfund, das unsere Länder füreinander interessant macht. Es mag sein, dass sich russische Kinder heutzutage mehr an den USA oder an China orientieren, als an Deutschland. Aber die populärste Fremdsprache an unseren Schulen und Universitäten ist gleich nach dem Englischen nach wie vor Deutsch!
Auf der Gegenseite ist Russisch in Deutschland nicht ganz so populär...
Nun, auf der Straßen von Berlin oder Dresden ist oft Russisch zu hören. Das ist ganz normal. Außerdem gibt es immer noch sehr viele Schulen, vor allem im Osten, an denen Russisch unterrichtet wird. Das kann man zum Beispiel von Italien oder Spanien nicht sagen. Generell hängt im Ausland das Verhältnis zur russischen Kultur und Sprache doch sehr davon ab, wie sich Russland im Inneren entwickelt. Zwar ist laut einer soziologischen Studie das Verhältnis der Deutschen zu den Russen viel schlechter, als das Verhältnis der Russen zu den Deutschen. Doch vergleicht man auch die Einstellung von Polen oder Franzosen gegenüber den Russen, stehen plötzlich die Deutschen gar nicht mehr so schlecht da. Ein Grund dafür mag sein, dass in Deutschland die Medien positiver über uns Russen berichten.
Glauben Sie, dass es mit dem Russland-Jahr gelingt, das Russland-Image in Deutschland aufzupolieren? Oder wird dies angesichts der Skandale der jüngsten Vergangenheit unmöglich sein?
Es gibt die Massenmedien, die auf aktuelle Ereignisse reagieren, und es gibt eine Öffentlichkeit, die sich über einen längeren Zeitraum ein eigenes Bild macht. Ich kann mir vorstellen, auf welchen Skandal Sie anspielen. Ich persönlich kann die Sängerinnen der Gruppe "Pussy Riot" nicht verstehen. Eine künstlerische Aktion ist eine Sache, ungehöriges
Verhalten eine ganz andere. Die Darstellung eines Phallus auf der Litejnij-Brücke in St. Petersburg gegenüber dem Gebäude des Geheimdienstes, die die Art-Gruppe "Wojna" angebracht hat, war eine künstlerische Aktion. Aber dann Polizeifahrzeuge umgestoßen wurden, war das Rowdytum. Da existiert immer eine Grenze. Stellen Sie sich vor, in Ihr Haus, in dem Sie wohnen, kämen wildfremde Leute und würden Ihnen erklären, dass Sie ihnen nicht gefallen und Sie ein Idiot seien. Ein normaler Mensch würde doch sofort die Polizei rufen… Das Strafmaß im Pussy-Riot-Prozess möchte ich an dieser Stelle nicht kommentieren. Es ist auf alle Fälle härter ausgefallen, als es die Tat vielleicht verdient hätte.
Welcher Zusammenhang besteht nun zum Russlandjahr?
Als wir das Russland-Jahr in Frankreich durchführten, schrieb eine französische Menschenrechtlerin: "Die Großartigkeit der russischen Kultur darf nicht die Probleme verstellen, die es in der russischen Gesellschaft gibt." Das heißt nichts anderes, als dass die russische Kultur eine magische Ausstrahlung besitzt. Mit ihrer Hilfe können wir selbst im Ausland eine Vielzahl komplexer Probleme - zumindest langfristig - lösen. Als beispielsweise die Beziehungen zwischen Russland und Großbritannien auf einem Tiefpunkt angelangt waren, wurde das Bolschoj-Theater nichtsdestotrotz als bestes Gastspielensemble gefeiert. So etwas hat natürlich einen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Und der Bürger versteht es, zwischen aktueller Politik und kultureller Nation zu unterscheiden. Deshalb auch haben solche Veranstaltungen wie das Russland-Jahr in Deutschland eine immense Bedeutung.
Über das Russland-Jahr gibt es fast keine Information - weder Plakate auf den Straßen, noch Ankündigungen im Radio oder Fernsehen. Warum ist das so?
Auch ich bin mit der Organisation der Veranstaltung nicht zufrieden und habe dies auch Konstantin Kosatschow gesagt, dem Direktor von Rossutrudnitschestwo, das für Russland die Vorbereitung - wie das Goethe-Institut auf der deutschen Seite - für die Vorbereitung verantwortlich war. Offensichtlich gab es Probleme, weil vom Finanzministerium die Gelder zu spät bereitgestellt wurden. Die Regierung hat gewechselt, Behörden wurden umorganisiert... Alles hat uns massiv zurückgeworfen. Zumindest ist absehbar, dass diese Hürde überwunden ist. Das kommende Theater- und das Kinofestival wird eine wesentlich bessere PR-Unterstützung erhalten als die vorangegangenen Veranstaltungen.
Welches Ziel hat das Studentenforum, an dem fünfzig russische und deutsche Hochschulen beteiligt sein werden?
Im Auswärtigen Amt gibt es bereits eine eigene Stiftung zur Unterstützung des Kulturaustauschs mit Russland. Das wird es nicht alleine bringen. Sondern Kontakte zwischen jungen Deutschen und Russen werden der Schlüssel für die künftigen deutsch-russischen Beziehungen sein. Bei dem Treffen in Deutschland ist vorgesehen, dass die Studenten Möglichkeit gemeinsamer wissenschaftlicher Projekte und Forschungsarbeiten diskutieren. Nur dank solcher Initiativen können wir die deutsche Jugend für Russland begeistern. Es ist kein Geheimnis, dass in Wissenschaft und Kultur die Welt schon lange international ist und keine Berührungsängste hat. Das wird auch Russland und Deutschland näher zusammenführen.
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