Wladimir Putin führt mit einem Gleitschirm einen Schwarm Jungkraniche an. Foto: Reuters Vostok-Photo
Es ist schwer zu sagen, mit welcher Pose Wladimir Putin sein Starker-Mann-Image noch nicht aufpoliert hat. Als Reiter und Angler, beides mit nacktem Oberkörper, als Tigerdompteur, Jäger, Löschflugzeug-Copilot, als Biker und Unterwasser-Archäologe. Und weil sein Beispiel Schule macht, posieren auch andere für Putin. Zum Beispiel Moskauer Studentinnen, die sich leicht bekleidet für einen Putin-Fan-Kalender ablichten ließen, garniert mit flotten Sprüchen („Sie haben Feuer gelöscht, aber ich brenne immer noch“). Bei so viel Inszenierung bleibt natürlich auch Spott nicht aus. Mein persönlicher Favorit sind die Videos, in denen Putin mit der Hauselfe Dobby aus Harry Potter in Verbindung gebracht wird, die dem russischen Präsidenten zum Verwechseln ähnlich sieht.
So ulkig es immer wieder aussieht, wenn Putin sich als harter Bursche oder Retter in Not gibt, er folgt damit einer langen Tradition. In der Antike unterstreichen Herrscher ihre Macht, in dem sie sich als Götter darstellen ließen. Ludwig XIV wirkte höchstselbst bei Ballettaufführungen mit und tanzte als Sonne im Zentrum des Geschehens. Die Kaiser Wilhelm und Nikolaus II liebten das Spiel mit historischen Kostümen. Wenn man das Schicksal der letzteren betrachtet, so scheint es jedoch, dass von dieser Art der Selbstdarstellung abzuraten ist. Schließlich kommt es nicht nur auf die Originalität der Inszenierung an, sondern vor allem auf die Botschaft. Wer in alten Klamotten herumläuft, der ist eben von gestern.
Auftritte dieser Art wollen wohl durchdacht sein. Kritiker hatten die
theatralischen und gehäuften PR-Spektakel Putins vor der Präsidentschaftswahl mit für die Demonstrationen im Winter verantwortlich gemacht. Putins neuester Einfall zeugt davon, daß er diese Lektion verstanden hat. Dieses Mal haben seine Berater voll ins Schwarze getroffen. Sie fanden eine Rolle, die zugleich Putins Führungsanspruch unterstreicht, ihn aber auch in einem sympathischen Licht erscheinen lässt. Mit einem Ultraleichtflugzeug glitt der Präsident durch die Lüfte und zeigte einem Schwarm verwaister Jungkraniche, wie ihresgleichen im Herbst den Weg in den Süden findet.
Die Botschaft ist klar. Putin hat ein Herz für die Benachteiligten, und er ist das Leittier, dem alle bedenkenlos folgen können. Nun sind Kraniche keine Menschen und folgen ihrem Anführer nicht aus Opportunismus, Angst oder Gleichgültigkeit. Sie brauchen konkrete Signale. Die kamen aus einem Lautsprecher, der die krächzenden Laute eines Muttertiers imitierte. Welche eine kraftvolle Metapher für die Rolle des „Nationalen Leaders“, wie man in Russland sagt. Er krächzt, und alle folgen. Damit die Botschaft von allen gehört wird, hat er seine Lautsprecher. Nur muss die Reise irgendwann in wärmeren Gefilden glücklich enden, sonst hätten die Kraniche nur gelernt, dass man nicht jedem folgen darf, der laut herumschreit. Bleibt zu hoffen, dass Putin diese Mission erfolgreich zu Ende führen kann. Wenn die Kraniche einmal groß sind, können sie dann ja ein neues Leittier aus ihrer Mitte wählen.
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