Seidenstraße 2.0: Auf den Spuren Marco Polos

Die LKWs an den mittelasiatischen Routen.  Foto: iru.org

Die LKWs an den mittelasiatischen Routen. Foto: iru.org

Auf der alten Seidenstraße China mit europäischen Waren versorgen? Im September wird ein Pilotprojekt abgeschlossen, per LKW die Trasse wieder befahrbar zu machen.

Das Leitmotiv von Martin Marmy klingt idealistisch: „Wir arbeiten gemeinsam für eine bessere Zukunft weltweit, die durch den wachsenden Wohlstand ermöglicht wird, den etwa der Straßentransport schafft.“ Der 67-jährige Schweizer ist Generalsekretär der International Road Union (IRU), jener Vereinigung, die seit 1948 die Interessen der LKW-Unternehmen, Trucker und aller vertritt, die mit dem Straßentransport ihr Geld verdienen.

Jetzt, im September, steht eines von Marmys wichtigsten Projekten vor dem Abschluss. Es geht um die Reaktivierung der alten Seidenstraße von Europa nach China, die Marco Polo vor mehr als 700 Jahren nutzte.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis China die USA als Wirtschaftssupermacht eingeholt hat. Der Warentransport vom Alten Kontinent ins Reich der Mitte wird also in den kommenden Jahren immer wichtiger. Aktuell gehen über 90 Prozent der Güter in Containern über den Seeweg. Der Transport auf der Straße liegt derzeit brach, soll aber nach dem Willen der IRU eine konkurrenzfähige Alternative werden.

Das Projekt, das den Namen NELTI (New Eurasian Land Transport Initiative) trägt, begann im Jahr 2008. Trucks testeten dabei Routen von Mittelasien bis nach Europa. Sie legten Zehntausende Kilometer zurück und waren wochenlang unterwegs.

Die LKW-Fahrer, die aus unterschiedlichen Ländern wie Russland oder Usbekistan stammen, dokumentierten alle Probleme und Hindernisse auf ihrem Weg. Die Daten werden nun den Durchgangsstaaten vorgelegt mit dem Ziel, eben diese Hindernisse abzubauen. Die IRU hat das Projekt gemeinsam mit der eurasischen Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit ECO auf die Beine gestellt, der Länder wie der Iran, die Türkei und Kasachstan angehören.

15 km/h und viel Bakschisch

Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Trucks lag bei nur 15 Kilometern pro Stunde. Ein Drittel der Zeit verloren die Fahrer durch die Wartezeiten an den Grenzen. Doch das war bei Weitem nicht das Unangenehmste: Um überhaupt weiterfahren zu können, mussten sie oft Schmiergelder zahlen. Den Berichten der IRU zufolge machte dieses Bakschisch in manchen Fällen bis zu 40 Prozent der Transportkosten aus.

"Das ist eine kühne Vision", urteilt deshalb etwa Ingo Hodea, Sprecher des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV) in Berlin, über die Wiederbelebung der Seidenstraße. Bis sich

ein solches Projekt verwirklichen lasse und regelmäßige Verkehre per LKW aufgebaut werden, könnten viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen. Hodea weist darauf hin, dass Versorgungseinrichtungen, Parkplätze und befahrbare Straßen fehlen. „Doch verhindern überwiegend die politischen Zustände in Ländern wie dem Iran eine baldige Realisierung“, so Hodea. Besonders wichtig sei es, die Zoll- und Einreiseformalitäten zu erleichtern. Hodea zufolge sollte mit dem Projekt wohl eher ein politisches Zeichen gesetzt werden.

Mehr als nur eine politische Deklaration sieht dagegen der Logistikspezialist Sebastian Kummer von der Wirtschaftsuniversität Wien. Denn dazu sei der Aufwand, den die Beteiligten betrieben hätten, viel zu groß. „Immerhin sind mehrere Länder und Unternehmen eingebunden, die über Jahre hinweg gezielt Daten über die Strecken sammelten“, sagt der Wissenschaftler.

350 Millionen Konsumenten

NELTI kann seinen Aussagen zufolge langfristig gesehen auch für deutsche Logistikunternehmen oder Autohersteller wie Daimler interessant werden. „Das Projekt hilft, die Wirtschaftsräume entlang der

Seidenstraße zu entwickeln“, erklärt Kummer. Die Länder, die derzeit noch von Krisen erschüttert sind, verfügten über ein beträchtliches logistisches Potenzial, das deutsche Unternehmen erschließen könnten. Tatsächlich erwirtschaften die ECO-Staaten derzeit ein gemeinsames Bruttoinlandsprodukt von etwa 1,2 Billionen Euro, etwas weniger als die Hälfte von Deutschland. Allerdings ist das Konsumentenpotenzial mit 350 Millionen Einwohnern mehr als viermal so hoch. Viele dieser Länder verfügen nicht über einen Zugang zum Meer und sind somit auf die innerländischen Verkehrswege angewiesen. Manche von ihnen wie Kasachstan haben reiche Gasvorkommen und sind deswegen sehr entwicklungsfähig. Davon zeigt sich auch Sebastian Kummer überzeugt und bewertet die Initiative NELTI grundsätzlich positiv.

Wenn es um die konkrete Lieferung von Gütern auf der Seidenstraße über Land geht, ist der Logistikfachmann allerdings skeptisch: „Hier dürfte NELTI gegenüber der Bahn im Moment noch deutlich im Hintertreffen sein“. Deren Anbindungen seien derzeit wesentlich besser und dazu kostengünstiger. 

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