Kossatschow: Westliche Gesellschaften nehmen gegenüber Russland eine zu emotionale Position. Foto: RIA Novosti / Vladimir Fedorenko
Aktuell diskutieren in Moskau die Leiter der Rossotrudnitschestwo-Vertretungen über Arbeitsformen und Methoden der Organisation. Gibt es Reformen?
Konstantin Kossatschow: Wenn wir über unsere Ziele und Methoden sprechen, darf man nicht vergessen, dass Rossotrudnitschestwo nicht aus dem Nichts entstanden ist. Ihre Existenz ist auf Traditionen und Erfahrungswerten aus der Sowjetzeit begründet. Meines Erachtens benutzte die Sowjetunion Methoden der „soft power“ – auch wenn sie nicht so genannt wurden – äußerst aktiv und in nicht weniger ausgefeilter Weise als ihre geopolitischen Gegenspieler. Das Bild, das man sich von der Sowjetunion in der Welt machte, war zumindest nicht schlechter und in einigen Aspekten sogar besser als die Realität in unserem Land.
Und wie sieht das heute aus?
Meiner Meinung nach ist Russland heute im Bereich der „hard power“
Die föderale Agentur Rossotrudnitschestwo wurde im September 2008 gegründet. Aufgabe der Organisation ist es, im Ausland eine objektive Vorstellung über das heutige Russland, über dessen materielles und geistiges Potential und über den Inhalt des innen- und außenpolitischen Kurses des Landeszu festigen. Die Agentur kümmert sich um die Anliegen der Russinnen und Russenim Ausland, nimmt an internationalen Programmen humanitärer Zusammenarbeit teilund unterstützt zahlreiche nichtstaatliche und religiöse Organisationen aus Russland.
mit seinen geopolitischen Hauptkonkurrenten etwa gleichauf. Wir besitzen Militär-, Ressourcen- und Wirtschaftsmacht. Bei der „soft power“ besteht ein solches Gleichgewicht nicht. Der Ruf und das Image Russlands in der Welt sind leider viel schlechter als die reale Situation im Land. Man könnte es so ausdrücken: Russland unterliegt weltweit einer Schuldvermutung. Wenn in Russland ein Ereignis geschieht, wird dieses im Ausland automatisch - quasi aus Gewohnheit - mehrheitlich negativ ausgelegt. Findet ein Journalist einen tragischen Tod, heißt es gleich: „In Russland werden Journalisten getötet, weil es keine Meinungsfreiheit gibt.“ Gibt es einen Konflikt mit einem Großunternehmer, kommt gleich die Antwort: „Aha, der Staat nimmt ihm sein Eigentum weg und teilt es unter anderen Beteiligten auf.“
Ein Beispiel: Vergangene Woche habe ich in Berlin mit einem Freund
und ehemaligen Kollegen aus meiner Zeit als Parlamentarier gesprochen. Dieser ist Bundestagsabgeordneter der CDU, die ja bekanntlich gegenüber Russland eine ziemlich harte Position einnimmt. Er erzählte mir, dass er neulich in einer deutschen Zeitung etwas über Pussy Riot und deren Aktionen in der Vergangenheit gelesen habe. Das Thema wühlte ihn sichtlich auf und er stellte sich die schlichte Frage: Warum hat man uns das nicht früher erzählt? Er hat mich auch gefragt: Warum habt ihr all diese Informationen nicht in der ganzen Welt breit gestreut?
Und was haben Sie ihm darauf geantwortet?
Dass alle Informationen allgemein zugänglich sind, sie aber in der westlichen Welt einseitig ausgewählt werden – aufgrund der Erwartungshaltung der Gesellschaft, aus Russland nur negative Informationen zu bekommen. Auch hier gilt die Schuldvermutung gegenüber Russland. Aber ich musste zugeben, dass wir unsererseits durchaus eine systematischere und konsequentere Informationspolitik hätten verfolgen sollen.
Wer formt denn im Westen die negative Einstellung der Gesellschaft gegenüber Russland?
Das ist eine sehr komplizierte Frage. Vergleichen wir einmal, wie leidenschaftlich im Westen Diskussionen um Russland und um andere nichtwestliche Länder, wie zum Beispiel China, geführt werden. Würde man überall die gleichen Prinzipien anwenden, müsste der kritische Beobachter auch in China vieles bemängeln oder etwa nicht?
Westliche Gesellschaften nehmen gegenüber Russland eine viel emotionalere Position ein als bei vielen anderen nichtwestlichen Ländern. Objektiv ist die politische, gesellschaftliche und humanitäre Situation in unserem Land mit absoluter Sicherheit nicht schlechter, sogar besser als in vielen anderen Ländern.
Warum dann diese emotionalere Position aus dem Westen?
Weil, wie ich meine, das Interesse gegenüber Russland jetzt viel größer
ist. Mit China wird zusammengearbeitet und niemand will das Land dabei verändern. Im Falle Russlands gibt es hingegen bereits Erfahrungen mit dem „erfolgreichen“ Druck aus dem Ausland: Erst unter Gorbatschow, dann unter Jelzin. Mit der Popularität dieser Politiker befand sich die Beliebtheit unseres Landes auf dem Höhepunkt. Die heutigen politischen Anführer unseres Landes verstehen die Interessen Russlands meiner Meinung nach bestens. Sympathie gegenüber unserem Land ist ein extrem wichtiger Faktor, aber sie kann nicht Selbstzweck sein. Man darf sich nicht der öffentlichen Meinung im Ausland unterwerfen, nur um jemandem einen Gefallen zu machen.
Vielleicht könnten wir ja von anderen postsowjetischen Ländern etwas lernen? Unter allen ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken hat Georgien im Westen das beste Image.
Lernen ist immer gut. Doch für das georgische positive Image ist zu großen Teilen die politische Konjunktur verantwortlich, obwohl tatsächlich viele Erfolge vorzuweisen sind. Wenn wir von der Schuldvermutung gegenüber Russland sprechen, so kann man in einem Atemzug die Unschuldsvermutung gegenüber Georgien im Westen hinzufügen. Egal was der georgische Präsident macht, der Applaus ist ihm sicher. Dass der georgische Premierminister und Konkurrent des Präsidenten unter mysteriösen Umständen gestorben ist, wird allerdings nicht diskutiert. Stellen Sie sich vor, welche Diskussionen im Westen entflammt wären, wenn so etwas in Russland geschehen wäre!
Doch kehren wir zu Rossotrudnitschestwo und zu unserem Ziel zurück. Meines Erachtens muss dieses so aussehen: Eine normale, objektive und unvoreingenommene Einstellung zu Russland. Es geht nicht darum, ein aufgemotztes Image zu kreieren. Das Bild von Russland soll einfach angemessen und wahrheitsnah sein. Das wäre schon ein gewaltiger Fortschritt im Vergleich zu dem, was wir heute haben.
Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst bei Kommersant.
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