Die Brücke über die Bucht Goldenes Horn in Wladiwostok. Foto: Witalij Raskalow.
Eigentlich sollte es ein Treffen wie immer werden: Schöne Reden, wenig Verbindlichkeiten; ein weiteres Meeting im Gipfelmarathon der letzten Monate. Auch die schon vor eineinhalb Jahren beschlossene Tagesordnung für das 20. APEC-Wirtschaftsforums in Wladiwostok war nicht von der Aussicht getragen, dass die Gespräche in Wladiwostok tatsächlich bedeutende Ergebnisse erzielen würden.
Erinnern wir uns: Die APEC entstand 1989 auf Initiative Australiens als informelles Wirtschaftsministergespräch von 12 Anrainerstaaten des Pazifiks, die über eine Freihandelszone diskutierten. Überhaupt ging es nie um außenpolitische Fragen, sondern die APEC verstand sich stets als Wirtschaftsraum, es ging überwiegend um volkswirtschaftliche Interessen. Inzwischen umfasst die Organisation 21 Mitgliedsstaaten, und die Themen sind vielfältiger geworden.
Auch Russland sah den Gipfel in Wladiwostok zunächst aus der außenpolitischen Warte. Eine Reihe von Umständen veränderte jedoch den Charakter des
letzten Treffens. Da ist zuerst die nicht enden wollende Finanzkrise, die in den Jahren 2010/2011 begann und mittlerweile die Volkswirtschaften der EU-Staaten ernsthaft erschüttert. Zweitens hat Russlands Stimme im Bündnis viel größeres Gewicht erlangt, seit es in diesem Sommer der WTO beigetreten ist. Ein weiterer Umstand besteht darin, dass China und die Länder Süd-Ost-Asiens einen auf mehrere Währungen gestützten Welthandel forcieren. Auch und besonders vor dem Hintergrund der Eurokrise erscheint ein „Multi-Währungs-Handel“ bereits in diesem Jahr als aussichtsreiche Alternative zur Orientierung an den beiden bisherigen Leitwährungen, nämlich US-Dollar und Euro.
Und schließlich spielen die Verschiebungen auf dem internationalen Gasmarkt, insbesondere die zunehmende Volatilität der Position Russlands, in den letzten beiden Jahren eine Rolle. Diese veränderten Umfeldbedingungen steigerten in den vergangenen Monaten das Interesse aller Beteiligten am bevorstehenden Gipfel in Wladiwostok. Alles deutete darauf hin, dass ein politisches Treffen der Staats- und Regierungschefs der APEC-Staaten stattfinden würde, das Antwort auf die aktuellen volks- und finanzwirtschaftlichen Themen sucht.
Ausgerechnet einen Tag vor Eröffnung des Gipfels, am 6. September, beschloss die Europäische Zentralbank, künftig unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenländern aufzukaufen. Damit eröffnet sich mittelfristig für die asiatischen Volkwirtschaften der APEC die Chance, die Liquidität aufzufangen, die durch die Eurorettung auf den internationalen Finanzmärkten zu erwarten ist. Das gab der Erwartungshaltung noch einmal größeres Gewicht.
Den am 9. September veröffentlichten Kommuniqué des Gipfels in Wladiwostok ist zu entnehmen, dass die APEC als Wirtschaftsgemeinschaft gut funktioniert. Als wichtigste konkrete Erfolge gelten die von den Teilnehmern bis 2015 übernommene Verpflichtung, Importzölle nicht weiter zu erhöhen, sowie die Einigung auf eine Liste von über 50 ökologischen Importpositionen, für die im Laufe der nächste drei Jahre die Importzölle von gegenwärtig 25 bis 30 Prozent auf 5 Prozent gesenkt werden sollen. Im Wesentlichen betrifft das Erzeugnisse der regenerativen Energieerzeugung und -anwendung.
Politisch gesehen gab es keine Differenzen zwischen den Positionen Russlands und Chinas, auch wenn bei den bilateralen Gesprächen zwischen Wladimir Putin und Hu Jintao nicht die großen Ergebnisse präsentiert wurden. Doch auch beim Verhältnis mit Japan gestaltete sich die politische Quintessenz des Treffens sehr positiv - und dass trotz der ungelösten Kurilen-Frage. Optimistisch stimmen die Bereitschaft Japans, sich am russischen Projekt „Wladiwostok SPG“ zum Export von Flüssiggas aus der Russischen Föderation zu beteiligen, die Vereinbarung über den Ausbau des Eisenbahnverkehrs zwischen der russischen ICT-Group und der japanischen Mitsiu sowie einige weitere Verträge.
Außerdem durfte Präsident Wladimir Putin nach Anschluss des Gipfels den baldigen Staatsbesuch des japanischen Premierministers Noda Yoshihiko in Russland avisieren. Vergegenwärtigt man sich die bisher überwiegend zurückhaltende Investitionstätigkeit Japans in Russland, dann markieren die Verhandlungen in Wladiwostok aus russischer Sicht einen durchschlagenden Erfolg.
Doch vorerst ist die Neuorientierung der russischen Wirtschaft nach Osten nur eine Option. Sie hängt eng von der weiteren Entwicklung der
Eurokrise ab. Für eine in Asien positive Grundstimmung der Gipfelgespräche, die aber auf voll auf Kosten der europäischen Handelspartner ging, sorgte Alexej Miller, der Vorstandesvorsitzende von Gazprom. Mit geradezu überschwänglichem Enthusiasmus erklärte er, die Gaslieferungen des Energiegiganten in den asiatisch-pazifischen Raum könnten in den nächsten Jahren "den Lieferumfang nach ganz Europa übersteigen“. Wladimir Putin wies auf der Pressekonferenz die EU sogar zurecht, weil sie von Russland eine fortgesetzte „Subventionierung“ durch billiges Gas aus Osteuropa verlangt. Angesichts der Schärfe dieser kritischen Äußerung scheint der Tag gekommen zu sein, dass sich Russland nach Osten wendet.
Doch der Erfolg von Wladiwostok, das sollte nicht vergessen werden, beruht vor allem im Zusammentreffen vieler günstiger Umstände. Die Realisierung der neuen Möglichkeiten dürfte sich schwieriger gestalten als das erfolgreiche APEC-Treffen auf der Wirtschafts-Insel Russland.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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