Putins PR-Stunts: „Lassen Sie das sein, Wladimir!“

Pawlowski: Putin ist ganz allein mit seinen Wünschen und Phantasien. Wenn er etwas tun möchte, kann ihm niemand sagen: „Lieber nicht!" Foto: RIA Novosti.

Pawlowski: Putin ist ganz allein mit seinen Wünschen und Phantasien. Wenn er etwas tun möchte, kann ihm niemand sagen: „Lieber nicht!" Foto: RIA Novosti.

Im Interview spricht Putins früherer PR-Berater Gleb Pawlowski über Sinn und Unsinn der PR-Stunts des russischen Präsidenten, die Veränderungen in seiner Amtsführung und darüber, ob Putin ein Diktator ist.

Der neueste PR-Stunt Wladimir Putins erfreute mal wieder Russland und die Welt. Bei seinem Besuch in der Vogelschutzwarte Kuschewat auf der westsibirischen Jamal-Halbinsel beteiligte er sich an dem Tierschutzprojekt „Flug der Hoffnung". Der Politologe und ehemalige PR-Berater Putins Gleb Pawlowski erklärt im Interview, warum diese PR-Aktionen seiner Ansicht nach auf einen Verfall der Machtstrukturen rund um den Präsidenten hindeuten.

Russland HEUTE: Putin an einem Gleitschirm als Leittier vor einem Schwarm Nonnenkraniche – diese PR-Aktion hat im Internet lebhafte Diskussionen ausgelöst. Für wen war die Inszenierung gedacht? Welche Botschaft sollte sie transportieren?


Gleb Pawlowski: Was in Moskau belacht wird, muss im Rest des

Landes nicht unbedingt die gleiche Reaktion hervorrufen. Aber nicht darin liegt das Problem. Die Crux ist viel mehr, dass es in der Umgebung des Präsidenten offenbar niemanden mehr gibt, der ihm sagen würde: „Lassen Sie das sein, Wladimir Wladimirowitsch." Doch gerade darauf wäre es angekommen, zumal die geplante Aktion auch noch mit entsprechenden Requisiten – einem weißen Kranich-Anzugnebst Schnabel – aufgehübscht werden sollte.

Den Schnabel hat der Präsident letztendlich nicht gebraucht und auch die Kranich-Schreie sind ihm erspart geblieben. Aber mal im Ernst: Werdenkt sich solche PR-Aktionen aus?


Vorschläge für derartige Initiativen kommen täglich und in großer Zahl von ‚Kreativen' verschiedenster Couleur, sowohl aus den Regionen als auch aus der Präsidialverwaltung. Aber dieser ganze Müll muss irgendwo gefiltert werden. Früher – zumindest in der Zeit, als ich noch mit der Präsidialverwaltung zu tun hatte – erfolgte dieses Aussortieren bei den Beratungen der Monatspläne und danach der Wochenpläne des Präsidenten. Eine Aktion wie diese wäre durchgefallen, denn diejenigen Wähler, die etwas mit dem Wort „Nonnenkranich" anfangen können, zählen nicht zur Wählerschaft Wladimir Putins. Allein schon deshalb hätte man die Finger von der Sache lassen sollen.

Offenbar gibt es heute keine derartigen Filter mehr. Niemand kann dem Präsidenten mehr widersprechen, ganz gleich aus welchem Anlass. Vor allem das hat die Kranich-Geschichte deutlich gemacht. Und nebenbei wurde dadurch auch die Hypothese, es gäbe so etwas wie ein Politbüro, komplett widerlegt, dennkein einziges Organ hätte derartige Dinge durchgehen lassen. Putin ist ganz allein mit seinen Wünschen und Phantasien. Wenn er etwas tun möchte, kann ihm niemand sagen: „Lieber nicht!"

Die Idee für diesen Flug an der Spitze eines Kranich-Schwarms stammt also von Wladimir Putin selbst?


Putin ist ein Meister der aktiven Selbstinszenierung,er mag allerlei Aktionen. Es gab Aktionen, die man ihm nicht empfohlen hatte und die schließlich doch erfolgreich waren. Undes gab Misserfolge. Beispielsweise war seine Fahrt am Steuer eines Lada Kalina ein Flop, was die Umfragewerte angeht. Dies gilt auch für Putins nächtlichen Motorrad-Ausflug. In diesem Metier sollte man sich nicht auf die Volkssoziologie verlassen, hier sind vielmehr repräsentative soziologische Umfragen vonnöten.

Was meinen Sie mit „Volkssoziologie"?


Eine weit verbreitete Erscheinung an der Spitze der Macht ist, die persönlichen Chauffeure und Bodyguards – üblicherweise langjährige fest angestellte Mitarbeiter der entsprechenden Geheimdienste – als Vertreterdes Volkes, als echte russische Kerle zu betrachten. Da fragt dann so ein Mächtiger seinen Untergebenen: „Wanja, magst du eigentlich Vögel?" Und Wanja antwortet: „Klar mag ich die." Schwer zu sagen, ob dieser Wanja dabei die gebratenen oder die lebendigen Vögel im Sinn hat. Derartige Dinge sind symptomatisch dafür,dass wichtige Entscheidungen ohne die Einbeziehung von Referenten getroffen werden. Es fehlt selbst der minimale Anspruch, Fragen der öffentlichen Politik zunächst zu diskutieren. Ich weiß nicht, vielleicht stellt sich Putin ja mittlerweile seine Tagespläne eigenhändig zusammen.

Und wie sind derartige Aktionen früher geplant worden?


Ich brauche hier keine Dienstgeheimnisse zu verraten, sondern kann auf ganz banale Dinge verweisen: Früher gab es Beratungen der einzelnen Verwaltungen und Beratungen zwischen den Verwaltungen. Sie fungierten als Filter, in denen schlechte Entscheidungen hängen blieben. Auf der Ebene der Verwaltungschefs wurde die Praxis dieser Beratungen bereits nach dem Ausscheiden Alexander Woloschins als Leiter der Präsidialadministration und der Amtsübernahme durch Dmitri Medwedjew abgeschafft. In der letzten Zeit wurde das Ganze an die stellvertretenden Chefs der Präsidialadministration – Wjatscheslaw Surkow, Alexej Gromow – delegiert. Ich habe nicht gehört, dass derartige Beratungen heute überhaupt noch stattfinden. Was jetzt dort oben diskutiert wird, weiß ich nicht. Vielleicht, wie wunderschön sich Wladimir Putin an seinem Gleitschirm vor dem Kranichschwarm im Licht der untergehenden Sonne ausnimmt.

Der Präsident stützt sich also nicht mehr auf Fachleute, auf Experten?


Ich habe den Eindruck, dass der Präsident mit einem immer enger werdenden Kreis von Menschen kommuniziert. Einem Kreis, zu dem Premierminister Medwedew im Übrigen nicht gehört. Unter diesen Umständen muss man sich selbst gegenüber seiner nächsten Umgebung in gewisser Weise abkapseln. Und es entstehteine Situation, wie wir sie in der Geschichte unseres Landes bereits erlebthaben. Will man nicht die späten Herrschaftsjahre Jossif Stalins ins Feldführen, kann man sich auch die Provisorische Regierung Russlands zwischen der Februar-Revolution und der Oktober-Revolution des Jahres 1917 ins Gedächtnis rufen. Bei ihren Sitzungen wurden keine ernsthaften Fragen diskutiert, weil man davon ausging, es könnten verkappte deutsche Spione anwesend sein.

Wenn man nun aber seine Umgebung für nichtverlässlich erachtet, wenn man gezwungen ist, sich selbst gegenüber Dmitri Medwedew bedeckt zu halten, wird das zu einem Faktor der Politik. Weil man wichtige Fragen, die den Staat betreffen und eine unverzügliche Entscheidung erfordern, im Alleingang durchdenken muss. Das ist sehr gefährlich. Macht man seinen Kranich-Flug davon abhängig, ob Chauffeur Wanja Vögel mag oder nicht, werden weit aus schwer wiegendere Fragen möglicherweise auf die gleiche impulsive Artund Weise entschieden.

Sind das ‚grüne Thema' im Allgemeinen und der ‚Flug der Hoffnung' im Besonderen nur eine Antwort auf die unpopuläre Entscheidung, das Pensionsalter für Staatsbedienstete auf 70 Jahre zu erhöhen?

Hier wurde ganz offenkundig ein doppeltes Signal gesendet. Das erste lautet ganz knapp „Ihr könnt lange warten" und richtet sichan das Establishment. Das zweite ist Teil der Bemühungen, zu revidieren, was Dmitri Medwedew während seiner Präsidentschaft unternommen hat. Dieses Signalgilt vor allem dem Apparat, der Bürokratie, und fordert: „Vergesst Medwedjew!"

Worin sehen Sie den Sinn dieses Tuns?

Wladimir Putin erfindet sich neu. Er kalkuliert und konzipiert ein neues Zukunftsszenario. Was den frühen Putin übrigens vom heutigen unterscheidet. Seinerzeit war er mehr der Improvisierer, der Opportunist. Jetzt scheint ihn die theatralische Seite der Macht zu reizen, er inszeniert ein neues Schauspiel mit mehreren Akten. Es besteht in der Suche nach einer Art Volkspolitik. So wie man sich die Welt, das eigene Land und einzelne Bevölkerungsgruppen zurecht denken kann, hat sich Wladimir Putin die Arbeiter gewissermaßen ersonnen.

Ist der ‚neue' Putin ein Diktator?


Die Bezeichnung „Diktator" ist Wladimir Putin unangenehm. Er arbeitet nicht auf eine Diktatur hin, wozu sollte er sie auch brauchen? Was er braucht, ist ein System, das ihm gehorcht, in dem sein zentraler Platz

vollkommen unbestritten feststeht. Unbestrittener jedenfalls als einfach nur das Präsidentenamt. Unter diesen Umständen wird eine Planung der Politik ebenso unmöglich wie der kollegiale Austausch. Wladimir Putin würde darin den Verrat von Staatsgeheimnissen sehen. Ich denke, dass er seine Pläne – mit Ausnahme der rein protokollarischen Maßnahmen – sorgfältig tarnt. Doch das hat nichts mit einer Diktatur zu tun, denn die würde eine Vertikale der Befehlsausführung voraussetzen. Wir sehen jedoch, wie das System in Bruchstücke zerfällt, zu einem chaotischen Durcheinander von Menschen, Verwaltungen und Clans wird, indem sich selbst Putin nur noch schlecht orientiert. Sicher glaubt er, die Situation zu beherrschen, doch allem Anschein nach beherrscht sie ihn. Das ist eine vertrackte Lage, in die üblicherweise Herrscher geraten, die sich sowohl von ihren Bürgern als auch von der herrschenden Klasse losgelöst haben.

Lassen Sie uns zu der PR-Aktion „Präsident fliegt mit Nonnenkranichen" zurückkehren. Wladimir Putin positionierte sich ja überdie gesamten letzten Jahre hinweg als, sagen wir einmal, Zar der Tiere. Er betäubteinen Amur-Tiger, angelt Störe, macht Jagd auf einen Grauwal ... Was ist das für ein Phänomen?

Ihm gefällt so etwas, und das kann man Wladimir Putin als exzellente menschliche Eigenschaft anrechnen, auch wenn das Wort „Zar" hier nicht passt. Alles Gute braucht aber das rechte Maß. Und dieses Maß ist zweifellos überschritten. Nicht weil Putin die Tiere so vehement liebt, sondern weil er augenscheinlich den Umgang mit den Menschen verlernt hat. Offenbar liegen hier seine Probleme. Im Grunde begegnet einem dieses Phänomen auch im ganz normalen Leben auf Schritt und Tritt: Wen persönliche Misserfolge plagen, der legt sich eine Katze oder einen Hund zu.

Das Interview erschien zuerst in The New Times.

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