WTO-Beitritt als Gasgeber des Handels: der russiche Markt ist heutzutage für die internationalen Pharmakonzerne besonders attraktiv.Foto: PhotoXPress.
Mit dem Beitritt Russlands zur WTO fallen für viele ausländische Unternehmen die bürokratischen Hürden, sich auf dem russischen Markt zu engagieren. Das beträfe ganz besondersden Arzneimittelmarkt, meint Pharmazie-Experte David Melik-Gusejnow von Cegedim Strategic Data (CSD), eines der führenden, US-amerikanisch basierten Marktforschungsunternehmen für die pharmazeutische Industrie. Erstens würden die Zölle von heute 15 auf fünf Prozent sinken und zweitens werde der Markt selbst transparenter werden.
Zum gleichen Ergebnis kommt der Verband der russischen Pharmaproduzenten, der sich darüber aber nicht so recht freuen kann, gräbt doch die Pharmaschwemme aus dem Ausland den einheimischen Produzenten das Wasser ab. Außerdem behaupten Experten der DSM Group, eines der führenden Marktforschungsinstitute in Russland, das insbesondere den Pharmamarkt beobachtet, dass binnen der nächsten zwei Jahre mit einem weiteren Nachfrageanstieg nach Arzneimitteln und Medizinprodukten westlicher Hersteller zu rechnen sei.
Schon in dennächsten zwei Jahren könnte die geplante Krankenpflichtversicherung in Russland Gesetz werden und den Bedarf weiter anheizen. Allerdings gibt es auch andere Auffassungen. Zumindest besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass das Gesundheitsministerium protektionistische Maßnahmen ergreifen wird. Der Verbandder russischen Pharmaproduzenten hat sich bereits mehrfach für zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der einheimischen Produzenten starkgemacht.
Jeder will ein Stück vom Kuchen
Der russische Pharmamarkt ist einer der größten der Welt. Er belegt den achten Platz beim Gesamtumsatz und den dritten beim Wachstumstempo. 2011 wurden in Russland Arzneimittel für umgerechnet 28 Milliarden US-Dollar verkauft. Das sind 12 Prozent mehr als noch im Jahr zuvor.
Bereits 80 Prozent des russischen Pharmamarktes teilensich ausländische Unternehmen. Die Platzhirsche sind Sanofi (Frankreich), Novartis (Schweiz), Takeda (Japan) mit seiner skandinavischen Tochter Nycomed, die deutsche Bayer, die italienische Menarini mit ihrer traditionellen ostdeutschen Tochter Berlin-Chemie und Gedeon Richter aus Ungarn. Unter den Top-20 des russischen Pharmamarktes ist nur ein russisches Unternehmen – Farmstandart.
Einige der internationalen Pharmakonzerne, wie Gedeon Richter, KRKA, Sanofi, Servier , Stada CIS oder Polpharma haben bereits eigene Produktionsstättenin Russland. Ein Teil davon sind modernisierte sowjetische Werke, ein anderer Teil wurde als Green-Field-Projekte im Rahmen von Pharmaclustern gebaut. Im Pharmacluster Kaluga wollen Berlin-Chemie, Novo Nordisk und Galenica auf dem Gelände des Technoparks Grabzjewo eigene Fertigungenaufbauen. Nycomed errichtet im Pharmacluster Jaroslawl eine eigene Produktion. Hier wird sich auch die Firma Teva niederlassen. Anlagen für eine komplette Produktion von Novartis stehen in St. Petersburg unmittelbar vor ihrer Inbetriebnahme.
Die Russen schwören auf Arbidol
Über den Apothekeneinzelhandel erwirtschaften die Pharmaunternehmen ungefähr die Hälfte ihrer Erlöse, die andere über die Belieferung von staatlichen Stellen, insbesondere Krankenhäuser. Doch der
unangefochtene Marktführer mit fast fünf Prozent im Apothekenhandel ist immernoch der russische Hersteller Farmstandart. Ein Drittel des Umsatzes wird durch das legendäre Arbidol, ein Grippemittel, erwirtschaftet. Die Regierung fördere den Absatz durchprotektionistische Maßnahmen, so der Vorwurf der überwiegend ausländischen Konkurrenz. Tatsächlich sprach sich Wladimir Putin, als er noch Ministerpräsident war, dafür aus, Arbidol "in einem für die gesamterussische Bevölkerung ausreichenden Maße bereitzustellen." In den ersten acht Monaten des Jahres 2012 wurde dieses Präparat allein im Militärbezirk Westfür fast 1 Million US-Dollar beschafft.
Doch nicht nur bei Behörden und Militär ist Arbidol beliebt, sondern ganz allgemein unter der Bevölkerung. Aufgrund derimmensen Nachfrage nach einfachen, preiswerten Medikamenten aus russischer Produktion führen russische Unternehmen immer noch die Verkaufsstatistik nach Packungseinheiten an. Beim Warenwert hingegen liegen die ausländischen Hersteller vorn.
Nach Arbidol folgen im Arzneimittelrankingdas Galle-Leber-Mittel Essentiale und daskrampflösende Mittel No-Spa, beide von Sanofi. Bestseller waren auch die Novartis-Präparate Otrivin (Nasenspray) mit einem Marktzuwachs von 90 Prozentund Sinecod (Hustenmittel) mit über 60 Prozent).
Internationales Big Pharma verdient am Staat
Auch bei den öffentlichen Aufträgen haben sich dieinternationalen Pharmakonzerne ihre Pfründe gesichert. Für viele Indikationen gibt es keine vergleichbaren russischen Alternativen. Auch bei Arzneineuentwicklungen haben die Ausländer die Nase vorn. Der russische Staat sorgt mit öffentlichen Aufträgen im Umfang von 7,5 Milliarden US-Dollar für ein Drittel des Pharmaumsatzes. Weitere 4,5 Milliarden US-Dollar setzen die Krankenhäuserum. Bedeutende Umsätze werden mit Anti-Krebs-Mitteln und HIV-Medikamenten erzielt. Bei den Ausschreibungen gehen die oftmals die Unternehen F. Hoffmann-LaRoche, Novartis und Johnson & Johnson mit seiner Tochter Janssen Pharmaceutica als Sieger hervor.
Wie geht es weiter?
Die ausländischen Pharmahersteller müssen befürchten, dass Russland denjenigen Vorzugsrechte bei öffentlichen Aufträgen einräumt, die
eigene Produktionskapazitäten in Russland unterhalten und nicht nur mit einer Vertriebsorganisationen präsent sind. Die Regeln der WTO verbieten dies nicht. Einschränkungen für protektionistische Regularien beschränken sich nämlich nur auf Markttransaktionen.Genau das verlangt der Verband der russischen Pharmaproduzenten. Dessen Vorsitzender Viktor Dmitrijew fordert: „Der Beitritt Russlands zur WTO muss mit Maßnahmen für die Unterstützung der russischen Arzneimittelhersteller begleitet werden. Sie sollten Priorität bei der Vergabe öffentlicher Aufträge erhalten und vor Dumping-, Massen- und subventionierten Importen geschützt werden".
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