Russland plant „Entzug von der Erdölsucht“

Russischer Ministerpräsident Dmitri Medwedjew während des Investitionsforums in Sotschi. Foto: ITAR-TASS.

Russischer Ministerpräsident Dmitri Medwedjew während des Investitionsforums in Sotschi. Foto: ITAR-TASS.

Die russische Regierung wird den Staatshaushalt vom Erdölpreis entkoppeln, versprach Ministerpräsident Dmitri Medwedjew auf dem XI. Investitionsforum vom 20.-23. September in Sotschi. Dies sei notwendig, um die wirtschaftliche Stabilität des Landes zu gewährleisten.

Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedjew nahm während des Investitionsforums im Schwarzmeerkurort Sotschi kein Blatt vor den Mund: Die Jahre 2008 und 2009 hätten gezeigt, dass im Zuge der Globalisierung beispielsweise ein Bankencrash wie in den USA die Volkswirtschaften praktisch aller Länder beeinträchtigen kann. Und dies sei, nach Einschätzung des Ministerpräsidenten, eine der wichtigsten Lehren aus der Krise. „Keine der großen Volkswirtschaften bleibt von der globalen Finanzkrise unberührt, so sehr sie sich das auch wünschen mag. Darauf hoffen, dass die Probleme des Nachbarn einen nichts angehen, kann man heutzutage nicht mehr", sagte Medwedjew.

Das Investitionsforum vom 20.-23. September in Sotschi fand bereits zum 11. Mal statt. Ursprünglich war es dazu gedacht, Kapital für die Wirtschaft der Region Krasnodar zu akquirieren. Bald darauf nahmen an dem Forum auch die Nachbarregionen teil, vor allem die nordkaukasischen Republiken. So wurde das Forum erst zur allrussischen und später zur internationalen Veranstaltung. Die ursprüngliche Idee blieb jedoch erhalten: Es ist vor allem ein Forum der Regionen Russlands. In diesem Jahr wurden in Sotschi mehr als 300 Verträge mit einem Gesamtvolumen von fast 400 Milliarden Rubel unterzeichnet. Neben den russischen Repräsentanten nahmen fast 500 Vertreter aus 38 Ländern an dem Forum teil.

Es bezweifelt wohl niemand, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann die Welt von einer weiteren Krise getroffen wird. Im Jahr 2009 musste Russland mit ansehen, wie das weltweit nachlassende Wachstumstempo der Industrieproduktion zu einem Sinken der Nachfrage und folglich auch der Erdölpreise führte. Deshalb, so Medwedjew, solle der Staatshaushalt in Zukunft vom Preis des schwarzen Goldes entkoppelt werden. Bereits ab dem kommenden Jahr würden Erdölpreisprognosen nicht mehr im Staatshaushalt berücksichtigt werden. „Das war eine schwere Entscheidung, aber wir haben sie getroffen und sind bereits dabei, sie umzusetzen", erklärte der Ministerpräsident. Eventuelle Überschüsse durch einen hohen Erdölpreis sollen in die Staatsreserven fließen. Der Anteil der Einnahmen aus Erdöl und Erdgas am russischen Staatshaushalt betrug 2012 mit 47,3 % etwas weniger als die Hälfte. Bei der Kalkulation des Staatshaushalts stützt die Regierung sich deshalb nicht zuletzt auf den Preis der wertvollen Rohstoffe.

Die Erdgasverkaufserlöse sind leicht zu prognostizieren, da es auf der Grundlage von Verträgen geliefert wird, die von den aktuellen Preisen an der Börse unabhängig sind. Ungewiss ist jedoch, wie viel Geld das Erdöl letztendlich in das Staatssäckel spült, denn die Jahresentwicklung der Kursnotierung des Brennstoffes an der Börse lässt sich praktisch nicht voraussagen. Deshalb werden beim Entwurf des russischen Etats immer gleich mehrere Prognosen zu Rate gezogen. Dem entsprechend existieren auch mehrere Szenarien, wie die Staatsmittel ausgegeben werden.

Während seiner Rede in Sotschi gab Dmitri Medwedjew zu verstehen, dass die Regierung beabsichtige, von dieser Praxis Abstand zu nehmen. Er teilte jedoch nicht mit, wie der Staatshaushalt in Zukunft konkret berechnet werden soll. Für das Jahr 2013 ist vorgesehen, dass die Staatseinnahmen zu 44 % aus den Erdöl- und Erdgaserlösen bestehen. Das ist weniger als 2012, aber trotz allem noch beinahe die Hälfte des Etats.

Offenbar soll der „Entzug des Staatshaushalts von der Erdölsucht" durch eine Kürzung der Staatsausgaben erfolgen. Das nimmt zumindest Darja Pitschugina an, Analystin bei Investcafé. „Für das Jahr 2013 rechnet das Finanzministerium mit einem Defizit von 0,8 % des BIP, und bereits 2015 soll der Staatshaushalt gänzlich ohne Neuverschuldung auskommen. Eine Kürzung der Staatsausgaben um 3 % soll unter anderem die Abhängigkeit des Staatshaushalts vom Erdöl- und Erdgaspreis verringern", weiß die Expertin. Das laufende Jahr wird dem Staatshaushalt allerdings voraussichtlich einen Überschuss einbringen, da der Etat noch nach dem alten Schema, also mit einer Bindung an den Erdölpreis, berechnet wurde.

Neue Lagerstätten bringen zusätzliche Einnahmen


Unklar ist, wie die Regierung die Abhängigkeit des Staatshaushalts vom Erdölpreis eigentlich verringern will. Denn schließlich sollen die Einnahmen des Staatshaushalts aus der Erdöl- und Erdgasindustrie im

Laufe der nächsten Jahre noch deutlich ansteigen. Vor ein paar Tagen beschloss die Regierung, die Exportzölle neu zu gestalten und die Steuervergünstigungen für die Erschließung neuer Förderstätten länger als ursprünglich geplant beizubehalten. Die Abgaben für Projekte in Ostsibirien werden halbiert. Für Projekte im Gebiet Irkutsk, der Region Krasnojarsk und in Jakutien gelten die Vergünstigungen noch bis 2017. Das arktische Schelf profitiert von den Maßnahmen sogar bis 2019 und das Schwarze sowie das Ochotskische Meer bis 2020. Nach Einschätzung des Energieministeriums soll so die Rentabilität der Erschließung neuer Lagerstätten erhöht werden, was unterm Strich noch einmal 11,5 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich in den Staatshaushalt spülen wird.

Für dreizehn Lagerstätten gäbe es gegenwärtig außerdem Vorzugsbedingungen beim Exportzoll, berichtet Denis Borisow von der Nomos-Bank. Diese würden für ein konkretes Modell gewährt, das sich über mehrere Jahre erstreckt. Das ermöglicht nach Meinung des Analysten eine Erhöhung des Investitionsvolumens für diese Projekte und dadurch auch der Fördermengen. So können Garantiemengen für den Betrieb eines zweiten Pipelinestrangs der Trasse Ostsibirien – Stiller Ozean gewährleistet werden.

Um die Abhängigkeit des Staatshaushalts vom Erdölpreis zu verringern, muss die Regierung den Verbrauch des Rohstoffes so weit senken, dass sogar bei fallenden Erdölpreisen auf dem Weltmarkt der Staatshaushalt einen Überschuss erwirtschaftet. Der Entwurf des Staatshaushalts muss daher mit einem sehr niedrigen Erdölpreis kalkuliert werden. Der gesamte „Überschuss", wie es Medwedjew nannte, soll in die Staatsreserven fließen.

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