Immer wieder Afghanistan

Trotz verbleibender Präsenz amerikanischer und europäischer Militärstützpunkte ist Afghanistan unter Gefahr des Bürgerkriegs. Foto: AP.

Trotz verbleibender Präsenz amerikanischer und europäischer Militärstützpunkte ist Afghanistan unter Gefahr des Bürgerkriegs. Foto: AP.

Die innenpolitischen Probleme Afghanistans lassen für die Zukunft des Landes nichts Gutes erahnen. Das Land, in dem der Bürgerkrieg nicht zur Ruhe kommt und in dem die USA eigene Ziele verfolgen, steht vor einer Zerreißprobe. Übrig könnten Restsaaten mit ethnischen und religiösen Stammesrivalitäten wie im früheren Jugoslawien oder in Libyen nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes bleiben.

In Afghanistan geht es drunter und drüber: Die herrschende afghanische Elite, mit Präsident Hamid Karzai an der Spitze, steht vor einer schwerwiegenden Richtungsentscheidung. Nach Übergabe der gesamten Macht des Landes, einschließlich der militärischen, an Karzais Administration und dem Abzug der Amerikaner, könnte zu einer großen Zerreißprobe kommen, wenn keine Übereinkunft mit den Taliban erreicht wird.

Das könnte trotz verbleibender Präsenz amerikanischer Militärstützpunkte unheilvoll für das Land sein: Es droht eine Teilung Afghanistans in einen schiitischen Norden (Tadschiken), einen sunnitischen Süden (Paschtunen) und weitere zentrale Gebiete, in denen man sich zum Buddhismus bekennt (u. a. die Bergregion Hasaradschat).

Eine besondere Gefahr liegt in der Gründung eines unabhängigen Paschunistans, das die Paschtunen Afghanistans und Pakistans vereinen könnte. Diese Möglichkeit betrachten sowohl die offizielle "Islamische Republik Afghanistan" (IRA) als auch Pakistan als Angriff auf ihre territoriale Integrität. Die Gefahr liegt auch darin, dass die USA diesen Zusammenschluss der Paschtunen tolerieren könnten. Denn die Amerikaner können sich nach Beseitigung des Al Qaida-Oberhaupts und Abschluss der strategischen Partnerschaft mit Präsident Karsai aus dem Land nach dem Prinzip „teile und herrsche" zurückziehen.

Dennoch behalten sich die USA vor, in Afghanistan auch weiterhin die Rolle des „Aufpassers" zu spielen. Hintergrund sind weniger politische

oder ökonomische, sondern geostrategische Gründe, weil das politisch instabile Nachbarland Pakistan über Kernwaffen verfügt. Weil die Mehrheit der Amerikaner den sofortigen Rückzug ihrer GI aus Afghanistan fordert, könnte Barack Obama sogar einen Vertrag mit den Taliban abschließen, vielleicht sogar ohne Hinzuziehung seiner „afghanischen Freunde". Günstig könnte sich der Umstand auswirken, dass die Taliban in Katar eine Auslandsvertretung eröffnet haben, so dass die Amerikaner mit ihnen über den künftigen Platz ihrer „bewaffneten Opposition" innerhalb der Staatsstrukturen Afghanistans in direkten Dialog treten könnten.

Wahrscheinlich ist ebenso, dass die USA aus geopolitischer und geostrategischer Sicht ihre Präsenz in Afghanistan aufrechterhalten. Sollten die Taliban doch an die Macht gelangen und bei den amerikanischen Militärbasen ein Auge zudrücken, würden sich die Amerikaner bestimmt nicht in die Bildung einer neuen Koalitionsregierung einmischen, selbst wenn extremistische und radikale Taliban daran beteiligt wären.

Die USA würden die Taliban tolerieren, auch wenn die interreligiösen Widersprüche und der Terror zunähmen. Der Irak kann hier als Beispiel dienen. Für Washington ist es nämlich wichtig, ihre Militärpräsenz in Afghanistan nicht aufzugeben. Zumal die Amerikaner schon darin geübt sind, diese Organisation in eine ihnen genehme Richtung zu manipulieren.

Man erinnere sich daran, wie die Taliban-Bewegung seinerzeit als aktive militärpolitische Kraft gegen die afghanische Regierung instrumentalisiert

wurde. Von ihnen ging auch der politisch-ideologische Einfluss auf die Staaten Zentralasiens aus, die durch die GUS mit Russland verbündet sind. Die Protest- und Oppositionsbewegungen in Tadschikistan oder in Kirgisistan, zeugten vom Einfluss der Taliban auf die zentralasiatische Region. Den USA käme weiter zu Pass, wenn die Taliban erneut für amerikanische Ziele in Zentralasien penetrierten und die Beziehungen zu Russland zu schwächen, vor allem im Rahmen der GUS und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), der größten Regionalorganisation der Welt.

Mithin bleiben die Verhältnisse in Afghanistan äußerst instabil. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass der begrenzte Bürgerkrieg, der in den beiden vergangenen Jahren dank der internationalen Koalition und der afghanischen Armee gegen die Taliban etwas abgeklungen ist, mit neuer Kraft auflodern könnte.

Auffallend ist die Ähnlichkeit zwischen der jetzigen Situation, nachdem die USA beschlossen haben, ihre Truppen bis 2014 aus Afghanistan zurückzuholen, und der Lage im Jahr 1988, als die sowjetischen Soldaten nach der Unterzeichnung des Genfer Abkommens abzogen: Ungeachtet der Verpflichtungen, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einzumischen, setzten die Mudschaheddin ihre Infiltration aus Pakistan mit aller Macht fort. Und die Opposition ließ sich auf keine Verhandlungen mit Kabul ein, da sie die Volksdemokratische Partei verdrängen wollte. Ganz ähnlich könnte sich die Situation noch vor dem Abzug der amerikanischen Militärs gestalten. Falls es den USA nicht gelingt, eine Übereinkunft mit den Taliban zu treffen, wäre das erneute Aufflammen von Kampfhandlungen sehr wahrscheinlich.

Unter diesen Randbedingungen muss Russland als Nachbarregion darauf dringen, dass die Spannungen an den Grenzen seiner GUS-Partner unter Kontrolle bleiben. Ganz unabhängig davon, ob der Bürgerkrieg in Afghanistan wieder aufflammt oder ob sich eine neue Koalition mit Beteiligung der Taliban gegen die Mitgliedsstaaten der SOZ richtet. So wird Russland gemeinsam mit den afghanischen Behörden den internationalen Terror und die Drogenkriminalität bekämpfen und das Seine tun, den Einfluss radikaler Kräfte in der Regierung Afghanistans zu begrenzen.

Für Moskau ist es wichtig, dass das neue Afghanistan, ob es sich pro-westlich, radikal oder liberal-islamisch, demokratisch oder theokratisch entwickelt, nicht gegen die Interessen, die Stabilität und Sicherheit Russlands und seiner regionalen GUS-Partner, manipuliert wird.

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