Das Folterskandal hat zu Massenproteste gegen die Regierung Saakaschwilis geführt. Foto: AP.
Die grausamen Bilder waren vor etwas mehr als einer Woche von georgischen TV-Sendern ausgestrahlt worden. Sie stammen aus dem Gefängnis Nr. 8 in Tiflis und zeigen die Misshandlungen von Gefängnisinsassen. Der Skandal zieht immer weitere Kreise: Die Ruten, die in dem Gefängnis in Tiflis als Folterwerkzeug benutzt wurden, könnten Saakaschwili vom politischen Olymp fegen.
Saakaschwili lenkte in der wuchtigen Manier ein, die man von ihm kennt: Der Strafvollzugs- und der Innenminister mussten ihre Posten räumen, die Verantwortung über die georgischen Gefängnisse liegt nun bei deren langjährigem Kritiker Georgi Tuguscha. Das sind mutige Schritte, besonders so kurz vor der Wahlperiode.
Doch das eigentliche Problem ist damit nicht gelöst. Auch wenn der Skandal zweifellos auch als typische Provokation von Seiten der Opposition gewertet werten kann, deckten die skandalträchtigen Bilder ein schwerwiegendes Problem in den georgischen Gefängnissen auf.
Überfüllte Gefängnisse
Saakaschwili führt eine Politik der Nulltoleranz gegenüber Kriminalität. Seitdem er an der Macht ist, ist die Zahl Häftlinge in den georgischen Gefängnissen um das Dreifache gestiegen. Gemessen an der Anzahl Häftlinge pro tausend Einwohner befindet sich Georgien weltweit auf dem fünften Platz. Nur die USA, zwei afrikanische und ein karibischer Staat liegen noch vor dem kleinen Land im Kaukasus. Die Sterberate ist in georgischen Gefängnissen um das Doppelte gestiegen. Gemäß einer Statistik des Obersten Gerichtes Georgiens führten 98,7 % aller Strafverfahren zu einer Verurteilung. Schnell landet man heute im Gefängnis – fraglich ist, ob man es auch wieder lebend verlässt.
Der Skandal hat das Land vor der Wahl destabilisiert. Es sind die entscheidenden Wahlen in der Regierungszeit des Präsidenten Saakaschwili und gleichzeitig die schwierigsten. Entscheidend deshalb, weil Saakaschwili gemäß Verfassung im kommenden Jahr seinen Posten räumen muss.
Genau aus diesem Grund hat Saakaschwili eine Verfassungsreform initiiert, die die bisher präsidiale Republik in eine parlamentarische verwandeln soll. Der zukünftige Präsident hätte dann zwar noch immer einen formalen Status, doch würden die Macht des Parlamentssprechers und des Premierministers gestärkt. Natürlich beabsichtigt Saakaschwili, einen dieser beiden Schlüsselposten zu übernehmen. Dafür ist er jedoch auf einen überzeugenden Sieg bei den Parlamentswahlen und eine komfortable Mehrheit im Parlament angewiesen, und genau die steht nun auf der Kippe.
Saakaschwilis Machtposition schwindet
In den neun Jahren seiner Präsidentschaft konnte sich Saakaschwili stets auf die absolute parlamentarische Mehrheit seiner Partei Vereinte
Nationale Bewegung verlassen. 2004 erreichte sie 64 % der Wählerstimmen und bekam 90 % der Parlamentssitze. 2008 waren es noch entsprechend 59 % und 80 %. Neuen Umfragen zufolge kommt Saakaschwilis Partei derzeit auf 36 bis 37 % der Stimmen – dem gegenüber stehen 12 bis 18 % für die oppositionelle Koalition Georgischer Traum. Doch diese Werte stammen aus der Zeit vor dem Skandal um die Gefängnisfolterungen. Georgische Politologen gehen davon aus, dass dieser Saakaschwilis Partei rund 10 % der Stimmen gekostet hat.
Mit dem Vorsitzenden der Oppositionspartei Bidsina Iwanischwili steht Saakaschwili erstmals ein von ihm unabhängiger Konkurrent gegenüber. Das persönliche Vermögen des Milliardärs ist höher als das Jahresbudget des ganzen Landes. Er besitzt eigene Fernsehsender und pflegt Kontakte mit Russland und dem Westen auf höchstem Niveau. Iwanischwili versucht zudem, mit seiner Herkunft aus einfachen, ländlichen Verhältnissen zu punkten. Saakaschwili stammt dagegen aus einer intellektuellen und wohlhabenden Hauptstadtfamilie. In einem Land, in dem nach wie vor die Hälfte der Bevölkerung von der Agrarwirtschaft lebt, ist das kein unwichtiger Faktor.
Das Regime Saakaschwilis ist zweifellos ins Wanken geraten. Seine westlichen Partner verlangen die Klärung des Folterskandals. Die Opposition droht mit Protestaktionen, sollten die Wahlen nicht zu ihrer Zufriedenheit verlaufen. Und Russland wird nicht müde zu unterstreichen, dass politische Kontakte überhaupt nur mit einem Nachfolger Saakaschwilis in Frage kommen. All diese Umstände ballen sich zu einem heiklen Zeitpunkt, in dem sich Saakaschwili gänzlich der Erhaltung seiner Macht widmen will. Das georgische Volk muss sich wohl auf eine längere Zeit der Instabilität und Unsicherheit gefasst machen.
Die ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zuerst bei der Zeitschrift "Russkij Reporter".
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